Weil der Zeitgeist zur Zeit so geistert, druckte ein
englisches Musikmagazin neulich eine Liste der 20 größten „Post-Punk“-Songs: „Permafrost“
(Magazine), „I Am The Fly“ (Wire), „I Found That Essence Rare“ (Gang of Four), „Complicated
Game“ (XTC) – im emotionalen Gedächtnis einzementierte Unwiederholbarkeiten
musikalischen Wagemuts aus der Aufbruchszeit von Herbst 1978 bis Herbst 1979,
als im Windschatten der implodierten Punk-Rakete soviel Unerhörtes und
Unfaßbares auf den Plattenteller kam wie nie zuvor und nie danach. Joy Division, Siouxsie & The
Banshees, Cabaret Voltaire, Josef K, Suicide, Devo … Dekoriert ist die
Liste mit zwei Photos: eins von den Talking Heads, eins von einem Quartett aus
Sunderland, dessen Mitglieder damals noch nicht mal geboren waren – The
Futureheads („Meantime“, Platz 7). Wie geht jetzt das?
Das geht, fand die Redaktion, weil die Futureheads den „wahren
Geist“ des Post-Punk einfangen, der weniger (aber doch auch) mit
eckigen-schroffen Gitarrenriffs zu tun habe als damit, die alltägliche
Heuchelei unserer Welt aufzuzeigen und den richtigen Sound dazu zu finden. So
kann man das vielleicht ausdrücken. Oder anders: Bei guter Musik geht es um
Inspiration, Genie, Interaktion, die Umsetzung von Energie in Töne; gute Bands
zeichnet aus, daß aus der Gruppendynamik etwas entsteht, was niemand allein und
niemand sonst erzeugen oder nachahmen könnte, obwohl es so einfach klingt: ein
paar Gitarrenakkorde (eckig-schroff), rasende, hypnotische Rhythmen,
Gesangsmelodien, die wie Koboldbanden durch das Gestrüpp aus merkwürdigen
Harmonien hüpfen und tauchen, und … na ja, dies und das – man kann es eben doch
nicht erklären, sonst könnte man es ja auch nachmachen.
Aus Not werden die Futureheads verglichen; die Vergleiche
sind alle unfair: Die frühen XTC wirken dagegen wie eine lahme
Beatles-Revival-Combo, Gang of Four wie ein Gitarrenworkshop von
K-Gruppen-Hippies, Franz Ferdinand wie eine zweitklassige Mainzer
Karnevalstruppe, Devo wie Agitprop-Kabarett. Ein um Gegenargumente bemühter
Bekannter bezeichnete die Band als „Streber“. Ganz falsch: Es handelt sich, um
im Bild zu bleiben, um die unverschämten Kerle aus der letzten Bankreihe, die
alles viel schneller kapieren als der schlaueste Lehrer, die Schulstunden dazu
benützen, schrillen Unfug zu treiben und Antiwitze zu erfinden und sich nicht
mal herablassen, Hochenglisch zu sprechen (der Sunderland-Dialekt klingt wie
eine Art Anglo-Ostbaierisch). Das hat die biedere deutsche Plattenindustrie
verschreckt, die so was nicht versteht und sich erst jetzt, nach fast einem
Jahr, durchringen ließ, das Album auch hier zu veröffentlichen.
Guter Witz übrigens hat nicht immer mit Lachen zu tun. Und
die besten Witze erzählen Leute, die selber nicht lachen. Die Futureheads hat
öffentlich noch kaum je einer lachen gesehen.
geschrieben Anfang Mai 2005 für KONKRET
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