Mittwoch, 23. Oktober 2013

Belästigungen #420: Von der vorrevolutionären Bedeutung des Feigenkaffees (und anderen Nebensachen)


Unheilvolles hat sich zugetragen, blitzartig fulminant. Es war förmlich wie ein Heideggersches Geworfensein ins Nichts, als vor einiger Zeit ohne Vorwarnung mein „Reformeifer“ erlahmt ist. Und das ausgerechnet als das amtlichste Uraltschlachtroß der bräsigen deutschen Biedermannwochenzeitungsjournaille verkündete, demnächst werde „die Krise“ ganz von selber heilen wie ein kleines Kratzipatzi-Wehwehchen, wenn nur eine winzige Kleinigkeit nicht passiere, nämlich wenn nur nicht „der Reformeifer erlahmt, weil die Menschen im Süden nicht mehr bereit sind, die Kürzungen zu erdulden“. Und nun: ist er also erlahmt, der „Reformeifer“ zumindest eines Menschen aus dem Süden.
Ein kleiner Trost ist, daß wir alle wissen, was die heruntergebeteten Blödwörter bedeuten: „Krise“ dient dazu, das schuftende Buckelsklavenvolk mittels „der Kürzungen“ (die nicht genauer bezeichnet werden müssen – man weiß eh, um was es geht) noch strenger auszubeuten und den Ertrag seiner Bucklerei in die Glanzschlösser und Börsenpaläste der „Besserverdienenden“ zu pumpen, wo der Mammon in die Tresore quillt wie Tubensenf unter einem Elefantenarsch.
Die Bundestante nennt das dann „gemeinsame Kraftanstrengung“, womit sie nicht ganz unrecht hätte, wenn sie ihresgleichen und ihre Befehlsgeber aus der Gemeinsamkeit ausdrücklich ausklammern täte. „Reform“ wiederum meint den Zinnober als Gesamtprojekt, das erst zu Ende ist, wenn ein einzelner Weltkaiser (der kein Mensch mehr sein wird, sondern eine Marke oder ein Konzern) rechtmäßig alles besitzt und alle anderen für sein Wohl sorgen müssen.
Einen „Reformeifer“ kann es deshalb naturgemäß nur bei denen geben, die von der „Reform“ profitieren. Alle anderen, von denen der „Eifer“ in den Brandreden der wirtschaftsfaschistischen Propagandabrüller verlangt wird, könnten sich genauso gut selbst ein Bein abschneiden, damit der Vorstand der Deutschen Bank eine Haxe auf den Galatisch bekommt – und sei es nur um zu beweisen, daß damit nichts geholfen wäre: Die wohlgeborenen Herren werden sofort zwei weitere Haxen fordern, weil unerwarteterweise plötzlich ihr Hunger ein Wachstum erlebt hat.
So weit, so banal; nun zum Kleinen, an dem sich auf der Welt das meiste erweist. Nämlich habe ich das Erlahmen meines „Reformeifers“ erfahren, als ich Feigenkaffee kaufen wollte. Für die Gentrifizierten: Das ist ein wohlriechendes Pulver aus gerösteten Feigen, das man in Kaffee hineintut, damit er nicht versehentlich so schmeckt wie euer Lattengeblödel, und das es bis vor kurzem im Supermarkt zu kaufen gab. Diesmal suchte ich vergeblich, fand statt dessen an seiner Stelle im Regal schon wieder zwölf neue Sorten Blechkapseln für schweinsteure Yuppie-Wegwerfmaschinen.
Der junge Mann, den ich diesbezüglich befragte, erwies sich als Praktikant, der mir mitteilte, er habe keine Ahnung und (dies der Subtext) sowieso keinen Bock, weil er, wenn er nicht vom Arbeitsamt in die Sklaverei gezwungen worden wäre, etwas besseres mit dem schönen Tag anzufangen wüßte als ohne Bezahlung Kisten durch diesen Laden zu wuchten. Sein Vorgesetzter hatte noch nie von Feigenkaffee gehört und verwies mich an den Filialleiter. Dieser wiederum tröstete mich mit der Information, selbstverständlich werde das Sortiment seines Ladens mitnichten reduziert, sondern vielmehr stetig erweitert und umfasse mittlerweile so und so viel zigtausend Produkte.
Diese Produkte, erklärte ich ihm, bestünden zu neunzig Prozent aus denselben Zutaten – im Fall von „Nahrung“ meistens: Weißmehl, Pflanzenfett, Tomatenkonzentrat sowie kleinen Mengen Müllsalami und Fabrikkäse. Ob es, wo wir schon dabei waren, wirklich nötig sei, das Kühlregal kilometerbreit mit „Gouda“ zu füllen, der die unterschiedlichsten Markenzeichen trage und dennoch nur aus ungenießbarer Eiweißersatzmasse bestehe?
Da seufzte er und meinte (freilich: in etwas anderem Wortlaut), er esse „das Zeug“ ja auch nicht und finde es im Grunde jammerschade, daß nicht er für den Einkauf zuständig sei, sondern eine Zentrale irgendwo in Nordrhein- oder sonst einem Westfalen, die eben feststelle, daß Gouda und Tiefkühlteigzeugs gut gehen, weshalb man irgendwann nur noch Tiefkühlteigzeugs und Gouda anbieten werde, dann aber in jeweils einer Million Sorten. Dazu werde es dann zehntausend „Gourmet“-Zeitschriften geben, die dem ahnungslosen Pack erklären, welche von den identischen Marken „hochwertig“ seien und wie man aus dem nutzlosen Geraffel etwas „Leckeres“ zubereiten könne.
Demoralisiert zog ich von dannen und fühlte meinen „Reformeifer“ zerpludern wie ein Luftballon ohne Hals. Geld kann ich nicht essen; es ist mir also weitgehend wurst, daß der mir rechtmäßig zustehende Anteil am deutschen Gesamtvermögen auf dem Schweizer Konto irgendeines Reformkrisenabsahners vergammelt. Aber, lieber Freund, bevor ich mich von „Gouda“, Tiefkühlteigzeugs und Latteplörre ernähre – bevor ich eine derartige „Kürzung erdulde“, bricht eine ganz andere Krise aus, der mit „Reformen“ nicht mehr beizukommen sein wird.
Eines nämlich könnt ihr uns nicht nehmen: das Naturrecht auf ein gutes Leben. Und wenn sich erst einmal bis in den etwas weiteren Süden herumspricht, daß ihr genau das vorhabt, nein: seit Jahrzehnten betreibt, nur um noch ein paar Nullen mehr auf euren Kontoauszügen zu lesen, könnte es selbst im Norden und sogar in euren schillernden Schlössern und Hochburgen ungemütlich werden.

Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.


Montag, 14. Oktober 2013

Belästigungen #419: 120 Millionen für nichts (und ein Hula mit Hansi Hinterseer)


Hawaii ist ein Land, von dem man wenig hört, solange man nicht an Winterwochenenden den Fernseher zu einer Zeit einschaltet, zu der nur grenzdebile Vorstadthausmeister mit Rudimentärschmalztolle aus den frühen Sechzigern ihr Mittagsbier vor der Glotze verzehren, weil der Stehausschank Urlaub macht. Da läuft dann gern mal so ein Filmchen, in dem Elvis Presley vor einer Brandungswelle steht und grinst wie ein grenzdebiler Vorstadthausmeister, weil er ein pfundiges Liedl knödeln darf.
Ansonsten feiert alle drei Jahre der durchaus pfiffige Surf-Pop ein zweitägiges Revival, zu dem Bilder von Hawaii gezeigt werden, obwohl die Insulaner zwar die ersten waren, die es lustig fanden, auf Brettern im Meer herumzudüsen, statt arbeiten zu gehen, aber mit den harmlosen Twang-Schlagern so viel zu haben wie Hansi Hinterseer mit Bayern (oder meinetwegen Österreich). Das war’s auch schon.
Dabei gäbe es aus Hawaii mancherlei Lustiges zu berichten. Das scheitert aber wohl (oder übel) an einem simplen Problemchen, das nicht darin besteht, daß man in Hawaii Geschichten lieber hulatanzt, als sie in Plapperworte zu zwängen, was eine schriftliche Verbreitung erschwert. Oder doch, denn die Vermutung, das Hulatanzen zur Weitergabe von Klatsch, Tratsch und Mythos sei nur deswegen erfunden worden, damit man sich an der hawaiianischen Landessprache nicht den Mund verrenkt, ist nicht gänzlich fernliegend.
Das fängt bei den Namen an, und mit dem ihren hatte eine Hawaiianerin so ihre Schwierigkeiten: Beim Autofahren von einem Polizisten angehalten, zeigte sie brav ihren Führerschein vor und wurde belehrt, da fehlten der Vorname und ein Buchstabe vom Nachnamen, mithin sei das Ausweiskärtchen im Grunde ungültig, weil gar nicht ihre vollständige Personenbezeichnung draufstehe.
Die lautet: Janice Lokelani Keihanaikukauakahihuliheekahaunaele. Von der zuständigen Behörde gebeten, auf das abschließende „e“ zu verzichten oder gleich die ganze Buchstabenwurst auf Vorstadthausmeisterformat zu kürzen, geriet die Dame in Rage und weigerte sich beharrlich. Und mit Recht, schließlich bedeutet Keihanaikukauakahihuliheekahaunaele (wie Lokelanis verstorbener Gatte hieß, ganz ohne Vornamen) zu deutsch „Wenn Chaos und Verwirrung herrschen, wirst du derjenige sein, der aufsteht und die Menschen dazu bringt, sich zu besinnen, um dem Chaos zu entrinnen“.
Nun stellen wir uns vor: Ein durchaus denkbarer deutscher Zeitgenosse namens Hans Günther Wennchaosundverwirrungherrschenwirstduderjenigeseinderaufstehtunddiemenschendazubringtsichzubesinnenumdemchaoszuentrinnen wird von irgendeinem Amt gebeten, sich doch bitteschön Hans Wensteverwinnen zu nennen, weil er dann künftig seine Strafzettelüberweisungen auf einem Blatt unterschreiben könne – mit Sicherheit stünden umgehend drei Facebook-Bürgerinitiativen auf dem Plan, um das dreiste und selbstherrliche Ansinnen der Behördenhalbgötter anzuprangern und per Petition zu Fall zu bringen.
Ich weiß nicht, wieso ich dabei jetzt an Josef Ackermann denken muß, aber wo wir schon mal dabei sind: Der hieß laut einer unbestätigten Vermutung meinerseits früher mal „Wenn jemand auf einem Acker oder sonst wo schuftet, muß ein Mann bereitstehen, um ihm den Ertrag seiner Arbeit zu stehlen und ihn an Kerle zu verteilen, die zu diesem Zweck Aktien und andere fälschlich so genannte Wertpapiere besitzen“, dieser Nachname wurde indes ohne behördliche Mitwirkung verkürzt, weil man sonst gar zu leicht draufkommt. Dahinter steckt pure Eitelkeit, weil Herr Ackermann ein wirksames Eingreifen irgendwelcher Initiativen oder sonstiger Betroffenheitskasperl nicht befürchten muß. Schließlich ist er „Schattenkanzler der Republik“, „Staatsmann“, „oberster Krisenmanager“ und neben Angela Merkel „die mächtigste Person des Landes“. So steht es in einem als Buch verkleideten Batzen Honig, den sich Ackermann von seinem früheren Kommunikationschef ums Maul schmieren ließ und das der (in dieser Hinsicht selten zimperliche) Econ-Verlag auch noch druckte. Ackermann selbst behauptet, er habe die „faszinierende“ Schwarte „in einer Nacht durchgelesen“ und sei zu „Erkenntnisgewinnen“ gelangt.
Das mag sein. Bislang nämlich könnte er ebenso wie wir gemeint haben, er habe mit windigen Ramschhypotheken, Spekulationswuchereien, halsbrecherischen Zinswetten, Schrott- und Schachtelpapieren, maßloser Profitgier, Leitzinsmanipulationen, Verlustschiebereien aufgrund von Insiderwissen und anderen halb- bis ganzkriminellen Wursteleien dafür gesorgt, daß Deutschland und die Welt seit Jahrzehnten von einer „Krise“ in die nächste plumpsen, daß Fantastilliarden von erschuftetem Geld auf ein paar Geheimkonten sprudeln, während ein rasant wachsender Anteil der Erdbevölkerung den historisch einmaligen Umverteilungswahnsinn mit Hunger, Not und Elend bezahlt.
Nun wissen wir es besser: Ackermann hat nämlich, so teilt sein „Biograph“ mit, von all dem überhaupt nichts gewußt. Ja – er war regelrecht „tief enttäuscht“ und „fühlte sich hintergangen“, als er von den Sauereien erfuhr, die ihm ein Privatvermögen von 120 Millionen Euro einbrachten (während der Aktienkurs der Deutschen Bank in seiner Amtszeit auf die Hälfte schrumpfte, was aber sicherlich ebenfalls ohne sein Zutun und Wissen passiert ist).
Jetzt könnten wir fragen, wie es eigentlich sein kann, daß der mächtigste Mann des Landes von nichts eine Ahnung hat, und wie er dann irgendeine „Krise“ „gemanagt“ haben soll. Und wieso ein Land, in dem so einer mächtigst sein kann und darf, es wagt, das Wort „Demokratie“ in den Mund zu nehmen und seine Bürger anzubetteln, sie möchten doch bitte wählen gehen (um zu entscheiden, wer die nächsten vier Jahre den Befehlen von Ackermann & Co. gehorchen muß).
Aber das sparen wir uns, weil es so amüsant ist wie ein Winterwochenende lang den exhumierten Leichnam von Elvis Presley anzustarren, während Hansi Hinterseer das Ackermannbuch als Hula tanzt.

Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.