„Picasso des Okkulten“, „verruchtester Mann des
Jahrhunderts“, „verderbtester Mann der Welt“ … die Liste der Werbesprüche, mit
denen auf Aleister Crowley aufmerksam und mal wieder ein Produkt mit seiner
auratischen Reizwirkung verkäuflich gemacht werden soll, ist schon deshalb so
lang und absurd, weil ein „Ruch“ (d. h.: „umlaufendes Gerede“) ja meistens
genau darin besteht, daß jemand jemanden als verrucht bezeichnet, wodurch er
somit noch verruchter wird usw. – ein kulturbetriebliches Perpetuum mobile, das
seit dem Esoterikwahn der 80er regelrecht ins Rasen geraten ist, sich aber halt
leider immer nur im Kreis dreht um ein Zentrum, das niemand genau erkennt und
das vielleicht leer ist.
Wer Aleister Crowley wirklich war, weiß und fragt niemand
von den vielen, die uns drohgrummelnd mit Geschichten von seiner magischen
Verruchtheit etc. beeindrucken wollen, die als Zeugen ihres Sehnens nach
„Freiheit“ auf der anderen Seite auch gerne mal den Marquis de Sade
herbeizerren und unter keinen Umständen einsehen wollen, daß durch die
Hintertür von Esoterik und Libertinage die düsteren Monster Faschismus und
Neoliberalismus hereinkriechen. Also: Wer und was war er, der Herr Crowley?
Der Enkel eines der ersten Fastfood-Millionäre und Sohn
fanatisch christlicher Sektierer war durch den frühen Tod des Vaters schon als
Kind so reich, daß er sich – wie das so geht – an den missionarischen Eltern
„rächen“ konnte, indem er sie gespiegelt imitierte, sich mit pornographischem
Verseschmieden und Bergsteigerei verlustierte und ein Studium der
Geisteswissenschaften hinschmiß, um fürderhin mit Drogen und „schwarzer Magie“
ein wahres Leben hinter dem wahren Leben anzustreben, das sich wie so oft als
reales Abbild zunehmender Gehirnzersetzung erwies. Er stritt sich mit allen
möglichen Ordens- und Logengesellen herum, wie das die heutige Jugend so
ähnlich aus „Buffy, the Vampire Slayer“ kennt, befehdete jeden, der ihn nicht
als größtes Genie seit Shakespeare feiern wollte, heiratete gleichgesinnt,
hatte in Ägypten ein Erweckungserlebnis, das ihn zu seinem „Buch des Gesetzes“
inspirierte, gründete auf Sizilien eine „magische“ Kommune, deren „Magie“ hauptsächlich
in exzessivem Heroinkonsum bestand, ließ sich zum „Weltheiland“ ausrufen, malte
auch noch ein bißchen und starb 1947 72jährig an Herzversagen. Hinterlassen hat
er eine Halde von pseudoreligiösem Schwurbel, über dessen Deutung sich heute
noch Menschen, die nichts besseres zu tun haben, in den Haaren liegen, was den
erwähnten „Ruch“ am Leben erhält und jedem Popmusiker oder sonstwie
Aufmerksamkeitsbedürftigen das ersehnte Kapital garantiert, wenn er nur in
einem Interview den Namen Aleister Crowley raunt.
Was die von Studenten betriebene „Poetry Society“ der
Universität Oxford bewogen haben mag, ausgerechnet Crowley, dem keinerlei
wissenschaftlicher Ruf voraneilte (abgesehen von allen möglichen Angebereien,
mit denen sein gewiefter Agent/Manager Freund, Feind und vor allem Presse
fütterte), 1930 zu einem Vortrag über Jeanne d'Arcs Zeit- und wohl auch
Gesinnungsgenossen Gilles de Rais zu laden, deutet Hans Schmid in seinem
Nachwort an: Es war wohl neben vergeblichen Bemühungen, irgendeinen anderen
Autor von Rang und Namen zu engagieren, Crowleys zwielichtige Prominenz, die
den Hörsaal schon füllen würde – aber nicht durfte, weil der Unikaplan dessen
Masche auf den Leim ging, mit disziplinarischen Maßnahmen drohte, die
Gastvorlesung öffentlichkeitswirksam abgesagt wurde (aber keineswegs „gebannt“:
Den Kaplan ging die Sache im Grunde nichts an, und sonst hatte niemand
Einwände), was Crowley – damals weitgehend verarmt – wiederum medial
ausschlachtete, indem er den Vortrag als Broschüre verkaufen und sich von der
Oxford Mail zu der „sensationellen“ Absage interviewen ließ, wobei er sich mit
der Mischung aus rückhaltloser Angeberei und der Demut des Verfolgten
inszenieren darf, die er so gut beherrschte und zu der auch der Trick gehört,
die absurden Vorwürfe, die man abstreitet, zugleich zu übertreiben: Irgendwas
wird dann schon dran gewesen sein.
In seinem Vortrag ergeht sich Crowley zunächst in aufgesetzt
witzigen, aber kreuzbanalen Ausführungen über das Problem des historischen
Wissens, wohl auch als Rechtfertigung dafür, daß er auf jegliche Art von
Nachweis, Beleg und Quelle verzichtet, sein eigentliches Thema in ein paar
Nebensätzen abhandelt (in denen fast jede Behauptung falsch ist) und meist
derart haarsträubend verallgemeinert und veroberflächlicht, daß sich solcherart
wahrscheinlich auch beweisen ließe, daß das Universum eine Stubenfliege ist.
Seine These lautet: es sei ziemlich unwahrscheinlich, daß Gilles de Rai zu
magischen Zwecken 800 Kinder geopfert habe, weil sich selbst bei grober
elterlicher Unachtsamkeit in einer dünn besiedelten Gegend kaum so viele Opfer
finden ließen – daß in den Untersuchungsprotokollen nur von 140 Opfern die Rede
war, stört ihn ebenso wenig wie daß Gilles keineswegs von der kirchlichen
Justiz (die dafür gar nicht zuständig war) zum Tode verurteilt und auch nicht
wie Jeanne d'Arc auf dem Scheiterhaufen endete, sondern am Galgen. Man setzt
Unglaubliches in die Welt, bezeichnet es als unglaublich – quot erat
demonstrandum, drum wird’s in Crowleys Nachbemerkung zum Vortrag wörtlich noch
mal wiederholt, und die Folgerung gilt, na klar, für jeden, der sich je
weitläufig ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt sah, also auch Crowley. Das ist weder
Historiographie noch Religionskritik, sondern ziemlich plumpe
Selbsthistorisierung, aber wirksam. So funktioniert sie, die Mystifiziererei.
Einer der wenigen originellen (wenn auch nicht neuen)
Gedanken ist, der Ursprung der Ketzerverfolgung durch die christliche Kirche
und ihrer Angst vor dem „jüdischen“ Bolschewismus liege darin, daß die
Urchristen selbst Ketzer, Kommunisten (und sowieso Juden) waren, weshalb ihre
staatsherrlichen Nachfolger fürchteten, dasselbe Schicksal zu erleiden wie
einst das Römische Reich. Crowley indes verfolgt auch diesen Gedanken nicht
weiter, sondern nutzt ihn nur als Rechtfertigung gegen einen Gegner, den er
braucht, um weiterhin skandalisieren und wichtigtun zu können. Darum geht es:
um den eigenen Ruhm und Ruch, das eigentliche Thema des Vortrags. Ein paar
nette Wortwitze, etwas eitle Plauderei, und schon ersteht das Ergebnis der
wissenschaftlichen Bemühung: Gilles de Rais war –
Derart knappe Texte als Buch zu veröffentlichen heißt
behaupten, es liege in jedem Wort eine Sprengkraft wie anderswo in Kapiteln
oder ganzen Bänden. Das ist nicht der Fall. In diesem Buch sprengt nichts, da
pufft es nur so vor Banalität, und der Mythos Crowley wird vor den Augen des
Lesers zum zerplatzten Bovist. Immerhin: eine Erkenntnis, aber auch die ist
trivial. Gleiches gilt für die musikalische „Umsetzung“ in den „17 Songs für
Aleister Crowley“, die als CD beigelegt sind und aus kontur- und
kompositionsfreiem, uninspiriertem Gelärme zu assoziativem Geraune bestehen –
man könnte eine ironische Absicht hinter dem „mystisch inszenierten“ Schwulst
vermuten, aber der Eindruck, daß hier jemand sich selbst viel zu wichtig nimmt,
um irgendeine Form von Witz zu entwickeln, liegt näher.
geschrieben im Januar 2011 für KONKRET
geschrieben im Januar 2011 für KONKRET
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