Da, wo ich aufgewachsen bin (nennen wir es mal
generalisierend „Obergiesing“) gab es früher ein paar Lokale, an denen wir
gelegentlich vorbeischlenderten (oder sagen wir: strawanzten) und einen Blick
hineinwarfen und zusammenfassend feststellten, da sitze ja ein sauberes Volk
drinnen. Manchmal kam dieses Volk auch heraus, das war dann nicht mehr so
idyllisch anzuschauen. Da volkte es gewaltig, sozusagen, und ab und zu kam auch
die Polizei. Oder der Sanker. Ein sauberes Volk halt.
War die Bezeichnung abwertend gemeint? Wer weiß; ein
Stückerl Ehrfurcht (oder sagen wir’s moderner: „shock and awe“) wird schon
dabeigewesen sein. Jedenfalls war es das, was wir unter der Bezeichnung „Volk“
verstanden: ein finsterer Haufen, zusammengeschmiedet durch das gemeinsame
Trinken und Stinken, Glotzen und Motzen, Grölen und Nölen, wehrhaft noch im
Delirium oder gerade dann, bisweilen von volkstümlicher (!) Freundlichkeit, der
man jedoch besser mit einem gewissen Mißtrauen begegnete, wie man ja auch nicht
jedem Wolf, der einem im bayerisch-böhmischen Grenzwald über den Weg läuft,
umstandslos die Pfote und das Käsbrot reicht und ihm einen guten Tag entbietet.
Wie man Teil dieses Volks werden konnte, blieb uns vollkommen rätselhaft. Es
gab dieses Volk wohl schon immer, und es blieb immer unter sich.
An diese soziale Gemengelage mußte ich in den letzten Wochen
oft denken, wo so viel vom „Volk“ die Rede war und ist. Da wollten die einen
das Volk sein, andere es verstehen oder vertreten oder mit ihm reden, und
insgesamt aber wollten ihm alle das beste, weil es nun mal das Volk ist und es
nur ein einziges solches gibt.
Nein, nicht nur eines: Ein griechisches Volk zum Beispiel
gab es auf einmal auch, das laut Ansicht der in der Krise geschmiedeten
Einheitsfront deutscher Medien wahnsinnig geworden ist und nicht nur
„Linkspopulisten“, sondern auch noch „Rechtspopulisten“ an die Regierung
gewählt und damit ganz Europa, besonders aber das deutsche Volk an den Rand des
Abgrunds gedrängt hat. Ja hm, was fällt dem denn ein, diesem Volk, diesem
griechischen!
Interessant ist dabei erst einmal der „Populismus“, der sich
begrifflich ja von nichts anderem herleitet als vom „populus“, also dem „Volk“,
gelt, oder nicht?
Oder vielleicht nicht. Ich bewege mich da etymologisch auf
dünnem Eis, ich weiß, aber mir ist aufgefallen, daß es ein „Volk“ im deutschen
Sinne tatsächlich nur bei den Deutschen gibt. Das Wort kommt als „folk“
allerdings auch im Englischen vor, da bezeichnet es (fast immer leicht
abwertend) eine regional verankerte Gemeinschaft von Stämmen oder Sippen, deren
Mitglieder untereinander verwandt sind. Es käme aber kein Brite auf den
Gedanken, sich als Teil eines britischen „Folk“ zu bezeichnen. Man sagt da
„people“, wie der Italiener „popolo“ und der Franzose „peuple“ sagt – da hört
man das „populus“ ebenso heraus wie den deutschen „Pöbel“ – die Bevölkerung
eben, die „Leute“, im Zweifelsfall: die „einfachen“.
Und da liegt ein vielleicht entscheidender Unterschied: Die
„Blutsverwandtschaft“ gilt den Welschen nichts, bei denen gehört zusammen, was aufgrund
historischer Zufälle und Verwerfungen im selben Land herumsitzt und gemeinsame
Interessen hat (die „res publica“, die eben nicht „res volkiga“ heißt). Dem
Deutschen ist solch Vielvölkerei suspekt; er ist ein Volk und läßt auf Dauer
nur hinein ins Land, was „deutschen Blutes“ ist und das auch nachweisen kann –
da spielen selbst etwaige Sprachkenntnisse keine große Rolle mehr. Die verlangt
man nur „Zuwanderern“ aus blutsfremden Versippungen ab, während der im zwölften
Glied irgendwie Blutsdeutsche notfalls auch nach tausend Jahren Diaspora aus
Kasachstan oder Kannitverstan anreisen kann und sofort Deutscher ist, weil er
das nun mal schon immer war.
Deshalb hat der Deutsche, insbesondere der
reinblütig-adelige Elitedeutsche, der gerne in Medienkanzeln herumsitzt und ein
„Volksempfinden“ zusammenwolkt, ein solches Problem mit „Populisten“: Die
wenden sich traditionsgemäß an „die Leute“ (die kleinen! auf der Straße!
igitt!); der brave Deutsche hingegen hängt sich an die Blutsvolksgemeinschaft;
er denkt und fühlt nicht populistisch, sondern völkisch. Und fragen Sie ihn
bloß nicht, wo ihn das in den letzten hundert Jahren hingebracht hat!
Ich möchte da jetzt keinen „deutschen Sonderweg“
hineininterpretieren, wie ihn die Historiker in den letzten Jahrzehnten gerne
mal an die Wand gemalt und dann so lange disputiert haben, bis das letzte
Barthaar gezaust und der angebliche Sachverhalt dermaßen zerspleißt und
zerspreißelt war, daß niemand mehr wußte, um was es ursprünglich ging. Aber
vielleicht steckt da einfach ein solcher deutscher Sonderweg drin. Ich kann
mich nämlich auch noch gut erinnern, was für einen Zoff ein ansonsten wenig
bedeutender Künstler vor einigen Jahren bekam, als er in eine Auftragsarbeit
für den Reichstag den Schriftzug „Der Bevölkerung“ einbringen ließ – nicht
wegen dem vermeintlich falschen Artikel, sondern wegen dem Gegensatz zur
Reichstagsaufschrift „Dem deutschen Volke“, wozu einst (1935) bereits der alte
Brecht feststellte: „Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung und statt Boden
Landbesitz sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht.“
Da saßen sie mal wieder in den Schützengräben, die deutschen
Volkslinge, und meinten, der Mann wolle (so die FAZ) dem deutschen Volk „die
Selbstachtung und das Recht auf nationale Identität“ verweigern, gar „ebendieses
Volk negieren“ – so richtig zaubertrickmäßig: einmal „Bevölkerung“
hingeschrieben, schon – puff! – ist es weg, das Volk!
Was vielleicht nicht die schlechteste Idee gewesen wäre, so
insgesamt. Hat aber halt leider nicht geklappt, drum volkt es uns weiter am
Hals herum und wird das wohl noch lange tun, wenn wir es nicht endlich doch mal
so richtig effektiv negieren. Oder insgesamt in einen Giesinger Stehausschank
hineinsperren und erst wieder herauslassen, wenn Polizei und Sanker da sind.
Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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