Dienstag, 23. Dezember 2014

Belästigungen 24/2014: Rettet die Fettmutanten (und Kolumnisten) vor der frischen Luft!

Ich werde ab und zu gefragt, was ich eigentlich esse. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, daß es heutzutage als olympische Leistung gilt, sich nicht als menschliches Äquivalent eines modernen, im Vergleich zu seinen Vorfahren auf titanische Ausmaße angeschwollenen Automobils durch die Welt zu schleppen. Denke niemand, ich wollte fettleibige Menschen diskriminieren, wie das unter amerikanisierten Fitneßgerippen seit einiger Zeit in Mode ist (wie der heutige Bewohner der kapitalisierten Welt ja überhaupt immer irgendwen oder -was diskriminieren muß, weil ihm sonst seine Identität in den unteren Bereich der Hose rutscht, aber das gehört jetzt nicht hierher).
Nein, das möchte ich ganz und gar nicht; einige meiner besten Freunde sind fettleibig und haben davon wenig Gewinn. Suchen wir uns lieber einen wohlfeilen Schuldigen, schließlich sind wir hier bei den Medien! Das Problem ist, daß weder Vladimir Putin noch die Linkspartei als Sündenbock dafür herhalten können, daß deutsche Kinder – wie eine (vermutlich „großangelegte“) Studie unlängst herausfand – sich schlecht ernähren und daher zu einem großen Teil schon bei Erreichen der Gymnasialunreife als gefälschte Elefanten durchs Bildungssystem stapfen. Sondern, so hört man: die Schulspeisung.
Etwas unter diesem Namen gab es damals bei uns auch: Da erhielt man täglich zur großen Pause eine Semmel und eine Pyramidentüte Milch oder Kakao in die Hand gedrückt. Gesund war das sicher nicht, aber wahrscheinlich auch nicht sooo ungesund wie die verkochte Fleisch-Salz-Sahne-Pampe, mit der sich heutige Schüler die Wampe mästen – schon weil man damals mittags zu Hause war und was Gescheites vorgesetzt bekam, ehe man hinaus stürmte und bis Sonnenuntergang Fangermandl, Räuber und Schandi, Fußball, Verstecksterl spielte, Bäume und Garagendächer erkletterte, Radlrennen fuhr und anderen Blödsinn betrieb, mit dem man sich den Weizen-Zucker-Bapp wieder von den Rippen trainierte.
Damals kostete es (äußerst grob geschätzt) zwei durchschnittliche Stundenlöhne, ein anständiges Essen für eine Familie auf den Tisch zu stellen. Heute dürften wir uns da im Minutenbereich bewegen, und da sollte es eigentlich niemanden mehr wundern, daß man vom Essen krank wird, zumal eine weltmächtige Industrie Billionen damit scheffelt, Abfall in Pommes, Schoki, Pizza, Baguette, Wrap, Chips etc. zu verwandeln und ganzen Bevölkerungen einzuhämmern, dabei handle es sich um Nahrung. Während andererseits eine nicht weniger milliardenfette Immobilienwirtschaft das Geld, das die Menschen „einsparen“, indem sie sich mit Müll vollstopfen, in Form von astronomischen Mietpreisen einsammelt.
Also ist die Lösung eigentlich denkbar einfach: Man braucht bloß vom Dreck auf echte Lebensmittel umzusteigen und eine knappe Generation abzuwarten, schon ist alles wieder gut. Leider können sich solch simple Weisheiten gegen die Reklamesturmgeschütze der erwähnten Industrie kaum durchsetzen, und wenn die Gefahr besteht, daß sie’s doch tun, kommt eben ein „Wird man wohl noch sagen dürfen“-Propagandist von der Abteilung „Politisch unkorrekt ist das neue Cool“ daher und „setzt“ einen „Akzent“ (wie man so sagt).
Einer dieser Lautsprecher ist der Kolumnist Harald Martenstein, der seine ressentimentgefettete Ahnungslosigkeit zu so ziemlich allem in dem transatlantisch-neoliberalen Oberschichtblatt „Die Zeit“ verbreitet und neulich feststellte: „Wenn es nach der Natur ginge, dann würden wir alle mit vierzig Jahren sterben.“ Nämlich sei das bei „unseren Vorfahren“ so gewesen, „die dieses total natürliche Leben geführt haben, mit Biofood, reichlich Rohkost, ohne Zigaretten, klimaverträglich und mit viel Bewegung in (sic!) der frischen Luft“.
Ein derartiger Bullshit wird heute gerne als „Humor“ verstanden, vor allem wenn sein Verzapfer vergnüglich mit dem Auge zwinkert, hi hi. Daß die durchschnittliche Lebenserwartung „unserer Vorfahren“ durch zwei Welt- und tausende andere Kriege, eine industrielle Revolution, diverse Pest- und andere Epidemien, von gewissen Schichten eingeleitete bzw. begünstigte Wellen von Ausbeutung, Sklaverei und Hunger sowie eine all dem und anderen Gründen geschuldete Kindersterblichkeit stärker gedrückt wurde als heute der billigste Billiglohn, daß große Teile der Welt von Bangla Desh über Sierra Leone bis in die Slums der toten Städte der USA nach wie vor oder erst recht so leben (und dort im Durchschnitt kaum ein Mensch vierzig wird), während der „Westen“ den überwiegenden Teil seines Bruttosozialprodukts dafür ausgibt, seine Fettmutanten mit Pharmazie und Gerätemedizin so lange am Leben zu erhalten, bis wirklich gar nichts mehr geht und es lohnender erscheint, ihre Organe zu verscherbeln – all das ist dann nicht mehr so wichtig. Hauptsache, wir können weiterhin Fastfood mampfen.
Übrigens hielten sich Menschen, die sich der Mühle von Unterdrückung, Ausbeutung, Kriegsvernichtung, Konsum und fremdbestimmter Arbeit entziehen konnten, schon immer relativ lange. Am schlimmsten waren wohl die Philosophen der Kyniker- und Stoikerschulen (nicht nur) im alten Griechenland, weil sie auch noch genau die Lebensweise pflegten, die Herr Martenstein so „humorvoll“ „auf die Schippe nimmt“: Zenon fiel mit 72 eine Treppe hinab, Chrysippos lachte sich mit 73 tot, Antisthenes erlag mit 80 einer Krankheit, Diogenes von Sinope hielt mit 90 die Luft an, und Kleanthes war fast hundert, als er nach einer Zahnfleischbehandlung beschloß, es gehe ihm ohne Essen besser.
Hingegen ist es ein gemeinsames Merkmal der Kolumnisten, deren Berufsstand erst im 20. Jahrhundert seine Blüte erlebte, daß sie sich gerne in relativ jungen Jahren zu Tode soffen. Wahrscheinlich weil sie den erbärmlichen Zustand der Welt, die sie beschreibend und kommentierend ertragen mußten, irgendwann nicht mehr ertrugen. Dazu indes braucht es einen Verstand, weshalb Herrn Martenstein dieses Schicksal wohl erspart bleiben wird. Und ich? Ich gehe jetzt ein Bier trinken.


Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.


Samstag, 6. Dezember 2014

Frisch gepreßt #323: Bleachers "Strange Desire"

Es gibt Momente im Leben, da hilft nur noch Pop. Und zwar POP! im Sinne von ab!-so!-lu! an!-ti!-„Indie“, ohne die geringste Spur von Unentschlossenheit, Unsicherheit, Selbstzweifel, Fragilität, ohne einen Hauch von Sensibilität und ohne ein Atom Angst vor Fettnapf, Schwulst und dem Donnerbalken lyrischer Juvenilität – POP! für den Ferrari auf der Strada del Sole, für die Discoromanze mit der Glitzerblondbombe, die Foucault für ein Haarspray und Morrissey für eine Kleinstadt an der Adria hält. POP! für das Billigkaufhaus mit den geilen Neonteilen, für die Chipswerbung und zum Anheizen im Baseballstadion. POP!, der so schmettert, knallt und zuckt, brüllt, lärmt und schallt, daß ein Poesiealbumsprücherl wie „I didn’t know I was lonely till I saw your face“ zum Schlachtruf wird, der eine ganze Regionalversammlung der Hells Angels in die Flucht schlägt (oder zum Mitgrölen animiert).
Sie kommen unvermittelt, diese Momente, und niemand weiß, woher sie kommen und warum; vielleicht steckt dahinter das spätsommerliche Gefühl der Vergeblichkeit: Wenn schon alles sinnlos und vorbei ist, dann werde ich mich jetzt so lange zubrettern, bis ich davon nichts mehr merke und mich nicht mehr dran erinnern kann! Oder liegt’s daran, daß die Sachen, die man aus hygienischen Gründen mit Stumpf und Stiel aus seinem Leben herausgerottet hat (i. e. Radiosender, die den ganzen Tag „We Built This City On Rock ’n’ Roll“, „Confusion“ von ELO, „Walking On Sunshine“ und irgendwas von den späten Genesis oder Mike & The Mechanics spielen), doch ein Vakuum hinterlassen haben, das man gelegentlich füllen muß, damit es darin nicht zur Bildung von Dunkler Energie kommt? Oder verlangt das Unterbewußtsein danach, daß man den üblen Krach der Welt mit ihren Kriegen und Vernichtungen ausblendet, indem man sozusagen stellvertretend „Lalalalalalala!“ brüllen läßt und sich symbolisch die Ohren zuhält?
Wie auch immer: Es gibt Momente, da ist ELO der Hammer und irgendeines der fürchterlichen späten Queen-Alben großartig, da kann man gar nicht genug kriegen von den zuckrigen und zickigen Schlonzeffekten, dem Zirpen und Bickseln der Rhythmuscomputer, von bombastischen Synthiflächen, vom Womp und Pomp der Unisonochöre und Elektroorchester, vom Massivbeton der Gitarrenwände, von der amtlichen Verläßlichkeit des Wechsels zwischen erwartungsvoll schwärenden Strophen und alles niederwalzenden Hymnenrefrains.
Dann ist man einem wie Jack Antonoff dankbar. Der ist übrigens kein schlechter Kerl, ist zu High-School-Zeiten mit der Punkband Outline (nein, kenne ich auch nicht) durch Florida und Texas gezogen, hat bei Steel Train (muß man nicht kennen) und einer Band mit dem vielsagenden Namen fun gespielt, die einen Nummer-eins-Hit mit dem vielsagenden Titel „We Are Young“ hatte. Antonoff hat sein Handwerk gelernt, und wenn er ein paar Jahrzehnte früher geboren wäre, hätte er wahrscheinlich „Walking On Sunshine“, „Confusion“ und „We Built This City On Rock ’n’ Roll“ geschrieben.
Daß das Debütalbum seines neuen Projekts (das ein solches wohl insofern ist, als daran dem ersten Höreindruck nach lediglich ein Tablet und ein paar Apps, aber keinerlei menschliche Unwägbarkeiten beteiligt waren) emotional und seelisch nicht die geringste Spur hinterläßt, darf man nicht falsch verstehen, sondern als Vorzug und entscheidende Stärke: In den Momenten im Leben, in denen nur noch POP! hilft, ist es fast unschlagbar, weil es knallt, fetzt und schwärt, ohne auch nur die Erinnerung zu belasten, und dabei aber frei ist von der miefigen Käsigkeit, die die „Klassiker“ des POP!-Genres ebenso unerträglich macht wie diverse Boygroup-Bemühungen.
Yeah, es gibt so Momente, aber Obacht: In anderen Momenten drohen akute Überzuckerung und temporäre Migräne.

Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.


Mittwoch, 3. Dezember 2014

Belästigungen 23/2014: Gemein: Nur noch ranzige Promis über 40 auf der Anzeigetafel (und null Streetfood-Kultur)!

Es ist halt so, daß man Zeit braucht. Zum Beispiel wenn man wo hinkommt und feststellen (oder erspüren) möchte, wie es da ist und was es da gibt und so weiter. Wenn einer in eine Stadt kommt, braucht er dafür unter Umständen sehr lange, weil eine Stadt etwas recht Großes ist, mit so vielen Ecken, Winkeln, Zipfeln, Ausläufern, Buchten, Stellen, Plätzen, Orten und Winzigkeiten, daß ein Leben wahrscheinlich gar nicht ausreicht, um sie alle zumindest einmal gesehen zu haben.
Wahrscheinlich macht das Städte so faszinierend und so anregend. In einem kleinen Ort – vor allem wenn er architektonisch und in seiner Gesamtanlage dem deutschen Ideal „Schönheit brauchen wir nicht! Dafür haben wir ein Museum!“ folgt – stößt man schnell an die Grenzen von Interesse und Neugier (solange man die Schlafzimmer und Keller der Nachbarn nicht mit einbezieht), und wenn ein menschliches Gehirn an die Grenzen von Interesse und Neugier stößt, stumpft es ab und wird, wenn es lange und gründlich abstumpft, am Ende ein Nazi oder ein Harzer Käse ohne Kümmel.
Man kann allerdings auch in Städten abstumpfen; dazu muß man sie nur oft genug wechseln und sich in der jeweils aktuellen Umgebung bloß die paar Sachen anschauen, die angeblich „typisch“ oder „wichtig“ sind – für mehr bleibt dem modernen Ausbeutungsmigranten im Normalfall sowieso keine Zeit. Deshalb wimmelt es in den letzten Jahren nur so vor Stadtbeschreibungen, in denen nichts drinsteht als ein paar Klischees, besonders gerne von sogenannten Journalisten verfaßt, die bekanntermaßen besonders oft die Stadt wechseln und ihre Buntgetränke am liebsten an den Stellen einnehmen, die angeblich gerade „typisch“ oder „trendig“ oder „angesagt“ (von wem eigentlich?) oder „wichtig“ oder pipapo sind.
Da ist München ein besonders beliebtes Opfer. (Nicht nur) Journalisten, die es in diese wunderschöne Stadt verschlagen hat, wollen generell so schnell wie möglich nach Berlin und sind, solange das noch nicht geht, grundsätzlich sauer, weil es in München Sachen gibt, die anders sind als in Berlin. Jeglichen Versuch, die Stadt kennenzulernen, erstickt der Dünkel, man kenne sie ja längst und was man noch nicht kenne, sei „lebensunwert“, dimpfelig und sowieso das Letzte.
Daß München (ebenso wie wahrscheinlich jede andere Stadt, möglicherweise aber noch ein bisserl mehr) schwer bis kaum zu durchschauen und zu verstehen ist, ist abgesehen von der erwähnten grundsätzlichen Aussichtslosigkeit solcher Bemühungen ein alter Hut. Dazu braucht man bloß die einschlägigen alten Serien von Helmut Dietl anzuschauen und zu verstehen versuchen, warum sie so schön sind; dazu kann man notfalls auch den Roman „Erfolg“ von Lion Feuchtwanger lesen und feststellen, daß nicht einmal dieser ansonsten wohl recht begabte Autor und Journalist in den einundvierzig Jahren, die er in München aufwuchs und wohnte, besonders viel von München verstanden hat (wenn er zum Beispiel versucht, Karl Valentin zu beschreiben).
Für Münchner ist das großartig: Es sorgt nämlich dafür, daß die Karrierekreisel so hurtig wie nur möglich vom Flughafen durch die Stadt wieder zum Flughafen kreiseln und zwischendurch nicht groß stören; wenn sie aus ihren Karrierezellen mal rauskommen, um eine „Freizeit“ zu haben und „die Stadt zu erleben“, rumpeln sie sofort an die einschlägigen Erlebnisausgabestellen, quetschen sich in Massenherden durch Erlebniszonen, rudeln abschließend vor „Szenetreffs“ herum und kübeln norddeutsches Industriebier, um sich am nächsten Tag nur noch daran zu erinnern, daß es irgendwie scheiße war, und den Umzug nach Berlin voranzutreiben.
Schon deshalb freut es den Münchner, daß der solch Verhalten fördernde Dumpfbullshit immer mal wieder von „Medien“ (i. e. Gespenstersehern) zum Hype aufgeblasen wird. So listete etwa kürzlich ein schludrig zusammengebappter Riemen in einer angeblich milliardenfach „gelesenen“ Onlinezeitung „15 häßliche Wahrheiten, die Ihnen ein Münchner nie über seine Stadt erzählen wird“. Zum Beispiel diese: „Die Lebenshaltungskosten sind mittlerweile so hoch, daß Unternehmen Probleme haben, neue Mitarbeiter zu finden“ (was selbstverständlich das einzig Schlimme an den hohen Kosten ist: Man findet nicht mehr genug Billiglohnsklaven).
Bemängelt wird zudem, daß es in Leipzig einen City-Tunnel gibt und in Thüringen eine „hochmoderne ICE-Trasse“ gebaut werde, man in München hingegen mit der S-Bahn fahren müsse, in deren Bahnhöfen die Anzeigetafeln „ranzig“ und die Kacheln „versifft“ seien, daß Münchner meist dort arbeiten, wo die Stadt am häßlichsten ist (während, ergänzen wir in Gedanken, Konzerne wie BMW und Siemens anderswo in Jugendstilvillen mit prächtigen Gärten und Orangerien residieren und die Menschen dort, wo es am häßlichsten ist, lediglich wohnen müssen), daß München keine „Streetfood-Kultur“ habe und „keine grüne Stadt“ sei, sondern „Deutschlands Betonhauptstadt“, daß hier „keine Kunst mehr geschaffen, sondern nur noch ausgestellt“ werde, daß die Ladenöffnungszeiten eine Zumutung seien, und zwar für jeden Arbeitnehmer (vor allem für den, der nicht bis Mitternacht an einer Ladenkasse stehen muß), weil es „keine Späti- oder Büdchenkultur“ gebe, daß das Oktoberfest kein Volksfest mehr und München eine „Stadt der Alten“ sei – weil „sämtliche relevanten Prominenten über 40 sind, die meisten sogar über 50“.
Dieser Quark wird dann noch drei-, viermal anders ausgerührt, so daß schwuppdiwupp fünfzehn einander ergänzende, widersprechende oder wiederholende „Wahrheiten“ draus werden. Und schon fliegt die Kuh, d. h.: Schon plappert man in den Szenetreffs zwischen den Berlinumzugsgesprächen fünf Minuten lang über den Schmarrn, sondert gar ein Mann von der sogenannten Abendzeitung ein paar Zeilen ab. Nächste Woche kommt dann der nächste Hype, wenn sich zum Beispiel herausstellt, daß der Englische Garten gar nicht so schön ist, weil da so viele Leute hingehen.
Da muß man sich ein bisserl zusammenreißen, aber das tut man gerne, weil: Es ist ja gut so. Kommet nur alle, ihr Nichtmünchner, kommet zu Hauf, findet keinen Arbeitsplatz, sucht vergeblich nach Späti, Büdchen, Streetfood, Jungpromis und City-Tunnel, schließt euch dem Massenaufmarsch zwischen Reichenbach- und Wittelsbacherbrücke an, bejammert versiffte Kacheln und besteigt den Zug nach Berlin, um die unfrohe Kunde weiter zu verbreiten! Aber meidet die Ecken, Winkel, Buchten, Ausläufer, Zipfel und Winzigkeiten, die Stadtteile, die (wie ebenfalls bejammert wird) „in einer Parallelwelt vor sich hindämmern“, wo man „vom bunten Leben in der Innenstadt nur wenig mitkriegt“!
Dort nämlich lebt man, dort blühen Idyllen, Kunst und Widersinn, die man nur begreifen kann, wenn man dort (und hier) lebt. Dort aber atmet man auch auf, wenn wieder mal ein Trupp von euch nach Berlin weitergezogen ist, ohne auf dem Weg noch schnell eine ganze Welt zu zerstören, um sie zum „lebenswerten“ „Hotspot“ zu kastrieren. Um das zu begreifen, braucht man Zeit, und die – ja mei – habt ihr nicht.

Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.