Sonntag, 31. März 2013

Diversifiziertes Hören #2: Dieser iPod ist zu voll!


Superheavy (2011): Eine „Supergroup“ mit Dave Stewart – das kann nicht werden, weil mit Dave Stewart fast nichts was anderes wird als zickiger, überproduzierter 80er-Aufwasch. Mick Jagger und Joss Stone krähen herum, um herauszufinden, wer lauter ist; überhaupt lärmen alle durch die Gegend, als hätten sie ihre jeweiligen Beiträge an zehn verschiedenen Tagen in zehn verschiedenen Studios aufgenommen. Haben sie wohl auch. Unerfreulich, to say the least.

Jack & The Rippers hatten auf „I Think It’s Over“ zumindest mit dem Titel sehr recht: Die Zeit für billigen, wuchtigen, poppigen Straßenpunk mit hübschen Brachialmelodien für Kneipenchöre waren 1978 definitiv vorbei. Man begann das damals gerade „Powerpop“ zu nennen, für die Vermarktung waren aber Amis zuständig, die so was mit gewaltigem Aufwand „billig“ und direkt klingen ließen. Hier klingt es direkt und ziemlich gut, teilweise sogar sagenhaft gut für einen wilden Sommer („Don’ Pretend“ knallt sogar die Barracudas an die Wand), kommt aber nun mal aus der Schweiz (aus Genf), und was hätte das die Welt gekümmert? Später wurden aus der Band die Zero Heroes, von denen eine LP in meinem Regal steht, die ich in bald dreißig Jahren nicht ein einziges Mal ganz angehört habe.

Hagood Hardy & The Montage, „Montage“ (1970): eine der vielen harmlosen Sonnenpopgruppen, die Anfang der 70er noch so tun wollten, als wäre Sommer 1967. Die Platte ist weitgehend freundlich und verträumt, hin und wieder vorsichtig funky und eigentlich recht spaßig, bleibt aber nicht wirklich, nein: überhaupt nicht als mehr im Gedächtnis als zartrosa Klangpudding. Hardy selbst ist übrigens nicht eine der beiden Sängerinnen, die sich hie und da harmonisch ein bißchen verhakeln, sondern der (ziemlich virtuose) Vibraphonist.

Gus Vali „Motion Picture Music For Belly Dancers“ (1965) ist genau das: „exotisch“ aufgepeppte Melodien aus „Charade“, „Mondo Cane“, „Alexis Sorbas“, „Cleopatra“, „Topkapi“ und anderen Hollywoodstreifen bis -schinken, viel Gedudel und Gepfriemel und Bongogetrommel, letztlich „interessant“ und nervig.

Das selbstbetitelte Album von Hallelujah Babe (1971) ist meist beschaulich-„romantischer“, bisweilen pathosgeladener Progressiv- bis Hardrock, der zweifellos kompetent gespielt ist, aber in praktisch jedem Takt die Grenze der Lächerlichkeit überschreitet. Interessant daran könnte (für Nerds) höchstens sein, daß zwei der Beteiligten (Paul Vincent und Keith Forsey) später bei der ebenfalls in diesem Genre tätigen Band Munich wirkten. Und freilich daß Forsey mit Giorgio Moroder den typischen Donna-Summer-Klang und sein Schlagzeug den „Munich Disco“-Sound etwa bei den mittleren (und meist schlimmen) Sparks, bei Boney M. und La Bionda prägte, daß er als Produzent mit Billy Idol selber einen richtigen Star gebar (was danach mit Charlie Sexton nicht so gut klappte) und mit Soundtracks wie „Flashdance“ und „Beverly Hills Cop“ eine gute Portion von dem beitrug, was die 80er so schrecklich machte. Ach, daß „Don’t You (Forget About Me)“ von den Simple Minds von ihm stammt, sei hinzugefügt, um das Bild abzurunden. Nichts davon ist hier zu ahnen, und das macht die Platte fast schon erfreulich und ein Lied wie „The Winter Song“ fast richtig schön, bei aller Käsigkeit.

Hamilton, Joe Frank & Turner: bemüht freundlicher und relaxter Softrock; leider sind die Songs und Melodien so bemüht und an den Haaren herbeigezogen, daß einem dabei sogar die Lust auf die Eagles vergeht ...

Handsome Family: netter, freundlicher Countryrock mit einem ganz kleinen Schuss Velvet Underground.

Harpers Bizarre: versponnener Hippie-Sonnenschein-Pop, so durch und durch nostalgisch verträumt, daß er damals (1967-69) schon wie aus fernvergangenen Zeiten herangeweht gewirkt haben muß. Raffinierte, einfallsreich arrangierte (und orchestrierte) Songs, die immer mal wieder an die Monkees erinnern und zwar nicht im Ohr bleiben, aber so hübsch aufbereitet sind, daß man sie tatsächlich vier Alben lang ohne Langeweile durchhält.

The Muffs waren, wenn ich mich recht erinnere, zur Zeit des Erscheinens von „Blonder And Blonder“ (1995) eine von vielen Green-Day-Punk-Bands mit biestigem Mädel am Mikro. Die hieß (und heißt) Kim Shattuck und grölt bisweilen ein bißchen aufdringlich böslich herum, aber im Vergleich mit späteren Pop-Punk-Mädelsbands ist dieses zweite Album eine echte Freude mit vielen schönen Melodien und ziemlich viel Kraft, die zwar nie an solche Granaten wie Be Your Own PET heranreicht, aber dem insgesamt doch recht braven Genre ein schönes Glanzlicht aufsetzt.

Mungo Jerry klingen auf ihrem ersten Album von 1972 wie T. Rex mit Backenbart und halbvollen Bierkrügen. Und (wenn ich mich recht erinnere) nicht nur auf dem ersten.

Muscadine „The Ballad Of Hope Nichols“ (1998) klingt wie ein kaputtes Echo des ersten Eels-Albums: ein Haufen zerfallender Fragmente von Songs, aus denen keine geworden sind, weil keine draus werden wollten. Hat einen zeitweise angenehmen Heroin-Chic ohne Heroin, aber ist halt letztlich durchgehend immer wieder und immer dasselbe.

My Vitriol „Finelines“ (2000): Epischer, theatralisch-pathetischer Lärmrock mit den üblichen leiseren Passagen, teilweise ganz angenehm zu hören, aber so seelenlos und brachial runtergeklopft, daß man sich nicht wundert, daß die Musiker nach diesem Album (bislang) dreizehn Jahre Pause machten, in denen sie „an einem zweiten Album arbeiten“. Wahrscheinlich sind sie, von ihrer eigenen Musik paralysiert, in Dauerschlaf gefallen.

Lisa Germano „Geek The Girl“ ist mir zu involviert und zu wenig musikalisch.

Ladytron soll wohl das 80er-Revival vorantreiben, ist aber ohne Romo-Welle außenrum nicht weiter als asexuelle Kirmesmusik ohne die manchmal aufblitzende Melancholie der Pet Shop Boys.

Karthago „Second Step“ (1973): Typisch deutscher Kraut-Polka-Beat; alle wollen alles, und zwar am besten gleichzeitig: so viele Töne wie nur möglich in den Takt pressen, solieren, funky sein, jazzig sein, virtuos sein, etwas „aussagen“ und möglichst schwarzamerikanisch klingen. Gelingt der Band, wenn der erste Rausch verflogen ist, erstaunlich gut, solange den Musikern ihr individuelles Können nicht allzu sehr zu Kopf steigt.

Dorian Gray „Idahaho Transfer“ (1976): Richtig dilettantisches Deutschgerocke aus Meinerzhagen im Sauerland, klingt zwischendurch nach Meinung einiger Internetsammler ein bißchen nach der späteren „Neuen deutschen Welle“, was aber vor allem daran liegt, daß Claudia Schnippel definitiv nicht singen konnte und einfach den Tönen der Baßgitarre folgt, was dann irgendwie nach Nichts und ähnlichen Bands klingt, logischerweise. Ansonsten: So schlecht, daß es schon wieder arg sympathisch ist. Bis hin zu dem herrlich idiotisch-naiven Songtitel „Nighttime Is Colder Than Outside“ ...

Downliners Sect: Eine der vielen nachträglich überschätzten Bands des ersten Beatbooms, die höchstens durch unverschämte Texte und eine besonders ruppige Spielweise auffällt. Kurios ist allerdings das in den meisten Discographien fehlende Album „Punk Rock“ von 1977, eine ziemlich krasse Mixtur aus Beat, weißem Brit-R&B (Mundharmonika) und frühem Pubrock/Rüpelpunk: So kaputt, wie das klingt, sollte es wahrscheinlich nicht klingen. Wie ein Irrer, der sich mit Ziegelsteinen die Beine und den Kopf zertrümmert.

Elliott Murphy „Elliott Murphy“ (2011): muß es wohl auch geben, so vollkommen normalen Rock. Springsteen in der Nachbarsgarage, technisch aufgemotzt, aber letztlich bei aller Feinheit der Details ein totes Pferd. Früher (1973)

Empire! Empire! I Was A Lonely Estate spielen auf „Middle Discography“ (2011) müdes Indiezeug, dem als Musikverweigerung sicherlich eine ehrenwerte Motivation zugrunde liegt, das aber auch nicht mehr als Müdigkeit erzeugt.

Federal Duck (1968) ist arg orientierungsloser und kraftfreier Hippie-Pop, der zwischendurch auch mal in Countrygefiedel und eine Fake-Jazz-Session hineinrumpelt, bei der niemand auf den anderen hört, weshalb außer Lärm wenig herauskommt.

The Feelies „Crazy Rhythms“ (1980): zickig, kantig, nervös wavig, aus heutiger Sicht wohl ziemlich überschätzt, aber auch spaßig.

FFF „Electric Violin Trash“ (1989): Punkband aus Bonn mit ziemlich nervtötend „provokantem“ Sänger, aber interessanten Breaks und – eben – einer elektrischen Geige, die die Holzhackerei mit ein paar ganz lustig zirpenden Tupfern betupft.

The Field Mice „For Keeps“ (1991): Typischer Sarah-Records-Traumpop mit achtlos dahinplätschernden Quintenharmonien und in endlosen Hallräumen wie körperlose Staubsauger dahinschwebenden Damen- und Jünglingsstimmen. In hymnischen Momenten sehr wehmütig schön, aber auf die Dauer so aufdringlich blaßhäutig und friedlich, daß man unwiderstehliche Lust auf Heavy Metal kriegt.

Fikret Kizilok „Singles 1970-1974“: Einer der größten Stars der Türkei in den frühen Siebzigern; typisch voll mit Gefühl und bebender Sehnsucht, aber ohne den Honigüberguß, den man aus diesem Genre kennt, sondern eher souverän-gelassen und mit oft überraschenden harmonischen Ideen. Später kommen dann auch Einflüsse aus dem psychedelischen Rock dazu, die er erstaunlich einheitlich in seinen Stil einbaut.

Pieta Brown „Mercury“ (2011): Freilich schöne Songwriterinnenmusik, die aus jedem Jahr und Jahrzehnt seit Joni Mitchell stammen könnte; irgendwann wird sie einem belanglos, und dafür schämt man sich dann fast ein bißchen.

Pink Military „Do Animals Believe In God?“ (1980): Regionalliga-New-Wave mit angenehmem Gespür für die Kälte der damaligen Stadtwelt, aber halt bloß Regionalliga.

Pissed Jeans „King Of Jeans“ (2009): Wow, das haut rein, und wenn der Sänger nach drei Jahren dieser Tätigkeit noch ein normales Wort rausbringt, ist er ein Poser. Schön, daß es nicht bloß knallt, sondern mit coolen Arrangements den Kopf freibläst.

The Pop (alle möglichen Singles, Alben und EPs von 1976 bis 1979): fröhlich knalliger Powerpop, wie ihn damals im Schatten von Punk alle möglichen Leute machten (die bei genauem Hinsehen gar nicht so viele waren). Man denkt immer automatisch an Elvis Costello – so gute Songs haben sie freilich nicht, aber Spaß macht’s trotzdem. Zwischendurch haben sie dann allerdings so eine Hardrockphase gekriegt, das ist enorm anstrengend und ziemlich absurd.

Mittwoch, 13. März 2013

Diversifiziertes Hören #1: Dido, Electric Mud, Elonkorjuu, Emma Ruth Rundle

Ich weiß: Menschen wie ich sollten so etwas am besten gar nicht erst hören, aber man muß sich gegen den eigenen Snobismus wehren und den Dingen eine Chance geben (heißt es). Und also: "Girl Who Got Away" (2013) ist eine Art akustischer Staubsauger, allerdings anders herum - schaltet man das Ding ein, flockt und staubt das Zeug heraus, das man nicht in der Wohnung haben möchte. Und zwar (im Gegensatz zum Staubsauger, der manchmal auch anderes schluckt) nur das.

Danach: "Electric Mud" von der gleichnamigen Band von 1971. Aus Deutschland, näheres unbekannt außer den Namen der Musiker, die dermaßen ungestüm losrödeln und in typisch deutscher 70er-Rock-Manier -düdel, -rappeln, orgeln, -hoppeln und ernsteln, daß die Lautstärke knapp über null bleiben muß. Ein bißchen teutonischer Blues, enorm viel Pathos und das übliche aufdringlich-expressiv-selbstentblöß/dende Getue, das man Anfang bis Mitte der 70er in Mikrophone knödelte, um "aufzurütteln" oder so (Songtitel: "Nichts zu essen in der Not", "Die Toten klagen euch an", "Immer das alte Lied" und "Hausfrauenreport"). Grausig und unbeholfen, freilich, aber irgendwie trotzdem sympathisch im Vergleich zum Zynismus des zuvor Erklungenen.

1972 erschienen ist "Harvest Time" von Elonkorjuu (Finnland, na klar). Der Bandname bedeutet "Ernte", deswegen hießen Elonkorjuu, als 1978 ihr zweites Album erschien, Harvest, und man kann sich denken, daß das die Welt nicht groß interessiert hat. Hätte der Sänger nicht den halbherzigen Wunsch, ein harter britischer Rocker zu sein, könnte man die Platte (die auf Vinyl 1.000 Euro wert sein soll) auch Electric Mud zuschreiben. So versteht man von dem Holzlattenenglisch kaum was, und deshalb ist das Ganze insgesamt so fröhlich lächerlich, daß man drei Songs lang fröhlich lachen muß.

Emma Ruth Rundle tut auf "Electric Guitar I" (2011) das, was sehr junge Menschen früher taten, wenn man ihnen (auf sehnlichsten Wunsch) eine elektrische Gitarre in die Hand drückte, sie aber nie gelernt hatten, Gitarre zu spielen: Sie erzeugt Geräusche, die man heutzutage "soundscapes", "experimental" oder irgendwie nennt, obwohl dabei keine Scapes entstehen und auch nicht wirklich experimentiert wird. Rundle kommt von der Post-Rock-Band Red Sparowes aus Los Angeles, die ich mir aber hiernach zumindest heute nicht anhören mag, obwohl der Titel ihres dritten Albums interessant klingt: "The Fear Is Excrutiating, But Therein Lies The Answer". Das erste Album hieß "At The Soundless Dawn", was auch von Electric Mud oder Elonkorjuu stammen könnte.

Sonntag, 10. März 2013

Belästigungen #405: Hilfe, ich habe einen digitalen Kinderwunsch!


Eine Bekannte von mir erlebte erstaunliche Abenteuer mit Internet-Dating-Seiten. Jedes Wochenende traf ein mittelalter Bursche mit Koffer oder Tasche bei ihr ein, aus Dinslaken, Grevenbroich, Visselhövede oder Stuttgart. Mit dem ging sie essen, in Konzerte und Museen und lotete zwischendurch die Möglichkeiten einer Lebenspartnerschaft aus. Zwei von den Burschen kamen mehrmals. Bei dem einen stellte sich heraus, daß er bereits verheiratet war: Seine Frau rief die Bekannte an, ob sie die Kinder am Hauptbahnhof abholen wolle. Der zweite kam eines Tages nicht, weil er wegen Kreditbetrug inhaftiert worden war. Die optimistische Freundin konnte das nicht verdrießen; sie präsentierte mir auf ihrem Laptopbildschirm freudig immer neue Optionen: Männer mit Haarausfall in unterschiedlichen Stadien und Gesichtern, die bei Ikea als Eierbecher erhältlich sind. Egal, sagte sie, sie habe nun mal einen Kinderwunsch, und ein solcher Eierbechermann laufe ihr wenigstens nicht bei der nächsten Gelegenheit davon.
Dann verließ mich meine sogenannte Partnerin, und die Schwärmerei der Bekannten über ihre Internetdates wurde vehement. Ich müsse das unbedingt probieren, sagte sie. Meinen Einwand, ich wolle von Frauen erst mal nichts mehr wissen, tat sie mit einem wehmütigen Blick und dem Hinweis ab, ich solle nicht so romantisch sein. Ich sagte, ich könne mir nicht vorstellen, daß es lebende Menschen gebe, die sich zum Flirten in der Unterhose an den Computer setzen und Formulare ausfüllen, und wenn doch, dann wolle ich mit diesen Menschen jedenfalls nichts zu tun haben.
Weil ich mich so stur wehrte, wollte sie mir einen Gefallen tun und meldete mich ohne mein Wissen bei einer Internet-Dating-Seite an. Davon erfuhr ich erst, als mich eines Tages eine Mail mit dem Betreff „Neue Nachricht für Sie!“ erreichte. Man teilte mir mit, ich hätte eine Kontaktanfrage von „Susi123“ erhalten und müsse nun den nächsten Schritt tun.
Ich beschloß, Susi123 eine Chance zu geben. Um ihre Nachricht lesen zu können, mußte ich allerdings zunächst 19,90 Euro auf ein Konto in Luxemburg überweisen. Ich hatte nicht viel Erfahrung mit Prostitution, wußte jedoch, daß in anderen Bereichen der Branche wesentlich höhere Preise verlangt wurden, selbst wenn man nur „reden“ wollte. Dann erstellte ich mein Profil. Da ich kein Foto von mir besaß, auf dem ich so aussah, wie ich mich aus dem Spiegel kannte, lud ich aus dem Internet ein Bild des jungen Robert de Niro runter, auf dem er mir ähnlicher sah als sich selbst.
Susi123 sah auf ihrem Bild aus wie Scarlett Johansson, was meine Neugier wachsen ließ. Was ich sonst von ihr erfuhr, war weniger erheblich: Alter 26, normale Größe, normale Figur, blaue Augen, Aussehen: „attraktiv“. In ihrer Nachricht fragte sie, ob ich mit ihr Kontakt aufnehmen wolle – was ich etwas ungeschickt fand, schließlich hatte sie ja bereits Kontakt mit mir aufgenommen – und ob ich einen Kinderwunsch hätte.
O ja, antwortete ich, und zwar nicht nur einen: Matchbox-Autos! eine Piratenpistole! Donald-Duck-Hefte! Im übrigen sei ich ein ganz normaler Mann und an Kontakten immer interessiert, selbst wenn es nur ums „Reden“ gehe.
Vielleicht war ich zu ungeduldig: In den folgenden Wochen wurde ich überschwemmt mit Kontaktanfragen von Frauen höheren Alters, die auf ihren Fotos aussahen wie die Behälter, in denen man Milch aus dem Allgäu nach Holland transportiert, und die ich als offensichtliche Irrläufer ignorierte. Dann lief mein „Probeabonnement“ aus, ohne daß Susi123 geantwortet hätte. Ich war so frustriert, daß ich am letzten Abend doch noch eine der Milchtransporteranfragen beantwortete: Ich schrieb an „KuschelxxFl“, ich sei an Sex interessiert und ob sie nicht heute abend nach München kommen wolle. Da die Angeschriebene in Flensburg wohnte, fühlte ich mich einigermaßen sicher.
Tatsächlich bekam ich eine Antwort, allerdings von einer Danielle, die sich als „Administrator“ bezeichnete und mir mitteilte, mein Profil sei wegen Unangemessenheit gelöscht worden.
Meine Bekannte hatte mehr Glück: Kurz darauf erzählte, sie habe einen seriösen Bewerber gefunden, mit dem sie zusammenziehen und umgehend an der Erfüllung des gemeinsamen Kinderwunsches arbeiten werde. Sie wünschte weiterhin Glück beim Internetdaten und riet mir, ich solle mich vor unseriösen Spaßvögeln in acht nehmen, die mit Bildern von Models und Schauspielern Jagd auf Unbedarfte machten. Weil sie mich gar so wehmütig ansah, fragte ich, ob sie wirklich glücklich und verliebt sei. Da schaute sie noch sehnsüchtiger und sagte, Verliebtheit sei ein romantischer Unsinn. Und weil ich jetzt doch neugierig wurde, wollte ich wissen, unter welchem Namen sie eigentlich bei dem Datingportal angemeldet gewesen sei.
„Susi123“, sagte sie, und aus ihrem rechten Auge rollte eine winzige Träne, die sie schnell abwischte, als es an ihrer Tür läutete und freudestrahlend ein glatzköpfiger Mann mit Koffer und Eierbechergesicht ins Haus stürmte. Zwei Wochen später half ich beim Auszug.
Dann hörte ich lange nichts von meiner Bekannten. Erst nach einem guten Jahr kam eine Mail, in der sie mir von der Geburt ihres Sohnes Anton berichtete. Das Kind sei gesund, die Wohnung in einem Neubauviertel in Wuppertal bezahlbar und hell, der Mann viel auf Reisen, ihr gehe es gut.
Ich habe nicht geantwortet. Das Baby auf dem beigefügten Bild hatte einen irgendwie wehmütigen Blick.

(erschienen im IN MÜNCHEN, Heft 05/2013)

Ein Beginn ...