Es gibt einen Typus Buch, der in den meisten Haushalten
ehemals geisteswissenschaftlich Studierender vegetiert: das sogenannte
„Mängelexemplar“, das (außer Stempel bzw. Strich) nur den Mangel hat, daß es im
angebotsrelevanten Zeitraum niemand lesen wollte; aus einer Ramschkiste
geborgen, weil fabrikneu und schade und man sich doch für alles interessieren
muß, gerne mal von Luchterhand o. ä., den Verlagen eben, die damals alles
Deutsche druckten, was spröde, trocken, vermutlich „anspruchsvoll“ und
unverkäuflich war. Alle paar Jahre zieht man es beim Abstauben aus dem Regal,
liest eine beliebige Seite, findet sie indifferent bis unzugänglich und
stellt’s zurück (vielleicht ist man in ein paar Jahren „aufgeschlossener“, und
neu und schade ist es ja irgendwie noch immer).
So kam einst auch ein Buch von Ursula Krechel in mein Haus,
„Zweite Natur“, 1981 erschienen und nie mehr als an- oder reingelesen, weil die
wolkigen Sätze nicht hineinwollten ins Hirn und mangels literaturbetrieblicher
Relevanzsignale auch nicht mußten. Nun aber hat Frau Krechel mit ihrem
dreiundzwanzigsten Buch (dem zweiten Roman) den „Deutschen Buchpreis“ gewonnen,
„Landgericht“ soll also der „beste deutschsprachige Roman“ des Jahres 2012 sein,
und mögen solche Preise und das sie umflatternde Geplapper auch notorische
Biotope für Schwachsinn und Bullshit sein: interessieren tut sie einen doch,
die Geschichte von dem um die Jahrhundertwende geborenen, zum Protestanten
konvertierten jüdischen Juristen, der vor den Nazis nach Kuba flieht, seine
Kinder in England, die Frau im Nazireich zurückläßt und nach seiner Rückkehr
nach einem knappen Jahrzehnt feststellen muß, daß er im notdürftig
entnazifizierten Deutschland und im Leben seiner mittlerweile an den Bodensee
umgesiedelten Frau keinen Platz findet.
Daraus hätte man ein Sachbuch machen können; das historische
Material, mit dem Krechel den Leser im vollkommen überraschungslosen Verlauf
des Buchs regelrecht zuschüttet, ist merklich authentisch. Man könnte daraus
auch einen Roman machen, aber dann müßte man erzählen können, und, ich sage das
ungern, das kann Ursula Krechel leider nicht. Ihr Text ist verkünstelt,
verstiegen, leb- und gefühllos, ungenau, randvoll mit schiefen, bisweilen
lachhaften Bildversuchen, sprachlichen Schnitzern, Fehlern (wenn etwa die Hauptfigur
zwecks „Repatrisierung“ eine UN-Hilfsorganisation aufsuchen soll, die einmal
UNRRA und zwei Seiten später UNRAA heißt – und die es 1947 gar nicht mehr gab),
einem Unmaß an Redundanz, leeren Sätzen, mit denen eine unbestimmte
Erzählstimme in weitem Abstand um das weitgehend belanglose Geschehen kreist.
Die Autorin wühlt und stöbert in Worten und Wörtern, findet kaum je die
richtigen, nie ein poetisches, mutet dem Leser aber den ganzen qualvollen,
unablässig scheiternden Suchprozeß zu. Das ist unlesbar, unerträglich, und das
kann nur für Literatur halten, wer – Verzeihung – keine Ahnung und noch nie
Freude am Lesen hatte.
„Bewundernswert kühl und modern“, „bald poetisch, bald
lakonisch“, „präzise“, gar „bewegend“ und „politisch akut“ fand diesen wirren
Wortberg die Jury. Bullshit, wie befürchtet. Und wer meint, dies sei
übertrieben, der öffne das Buch zum (beliebigen) Beispiel auf Seite 29, lese
den letzten Absatz und lasse sich überzeugen.
Anfang November 2011 für KONKRET
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