Montag, 21. Juli 2014

Belästigungen 13/2014: Vom Fracksausen unter dem Apfelbaum – oder: Wo bleibt die Schmetterlingsraupensteuer?

Es liegt mir fern, mich über Regenlosigkeit zu beschweren, weil ich kaum etwas lieber mag als sinn- und bekleidungslos auf der Erdkugel herumzuliegen, müßig-nostalgische Gedächtnisfühler in alte Donald-Duck-Hefte hineinzustrecken und zuzuhören, wie unendlich langsam leise die wundervolle Zeit dahinschmilzt und sich mit kaugummibunten, romantisch blütenduftigen Erinnerungen füllt. Aber hin und wieder tut ein bißchen Wasser keinen Schaden, und wenn’s nur dafür wäre, daß die Kaninchenbande mal wieder ein bißchen weniger unmutig schaut, weil der zweibeinige Versorgungshase mal wieder was anderes daherbringt als struppiges Distelstroh, bleiches Hartheu und staubiges Korn.
Dazu indes muß es regnen, und das tut es manchmal ungern, weil der Mensch mit solcher Emsigkeit Auto fährt, Wachstum erzeugt und das Klima verdröselt. Zum Glück hat die Natur vorgesorgt und in ihrem Keller einen Haufen von dem förderlichen Feuchtzeug gebunkert, das man notfalls heraufpumpen kann. Dabei kommt auch noch der im Brunnenrohr hausende Laubfrosch in den Genuß einer frischen Dusche, und so ist alles zur Zufriedenheit aller geregelt.
Das heißt: wäre. Leider nämlich lagern dort drunten noch andere Sachen, die Begehrlichkeiten wecken, zum Beispiel das schwarze Schmierzeug, auf das die Autofahrer so scharf sind. Viel ist davon zum Glück nicht mehr da, die Reste sind gerne mal in Steine, Sand und sonstiges hineingesickert und müssen, damit der Motor der Wirtschaftsmaschine nicht knirscht, herausgespült werden. Man frage bitte nicht genau, wie das geht; jedenfalls werden dazu große Mengen Wasser und schweinsgiftige chemische Kampfstoffe in den Leib der Erde hineingepumpt. Man nennt das angemessen martialisch „fracken“, und was zurückbleibt, sind äußerlich möglicherweise nur mittelschwer, innerlich jedoch erheblich abgefrackte Landschaftswracks, deren Wasservorräte mit schweinsgiftigen chemischen Kampfstoffen verpestet sind.
Daß diese Verpestung laut Auskunft der industriellen Täter und ihrer regierungsamtlichen Lakaien üüüberhaupt nicht schlimm und toootal unbedenklich ist, können wir getrost in den Schrank mit den Sagen und Lügenmärchen verräumen, wo diesbezüglich schon einiges lagert, von Contergan, Ritalin und anderer Arschmedizin über DDT, PVC, Gengemansche und Tralala bis hin zur bombig gesamtplanetar strahlenden Atomruine. Das müssen die sagen, weil man sie sonst nicht fracken läßt, und das müssen sie nun mal tun, wg. Wachstum.
Da trifft es sich doch pfundig, daß immer mal wieder die Terrororganisation FIFA über ein Land herfällt, es mit Betoncolosseen zubetonieren läßt und in diesen ein paar Wochen lang einen firlefantösen Karneval mit Plastikbällen veranstaltet, der die gesamte Erdbevölkerung an die Bildschirme und Leinwände fesselt, während die regierungsamtlichen Lakaien mal so eben husch husch ein Gesetz durch den parlamentarischen Wolf wursten, von dem die Betroffenen (also letztlich: alle) erst was mitkriegen, wenn sie sich über Thomas Müller und das in Stadien und Garderoben herumdümmelnde Bundesmerkelchen zu Ende beömmelt haben. Wenn unter ihrem Brunnen und ihrer Garage die Frackerei losgeht, aus dem Wasserhahn schweinsgiftige chemische Kampfstoffe hervortröpfeln und sie einigermaßen sauberes Wasser nur noch in (wenigstens weniger schweinsgiftigen) Plastikflaschen von Nestlé kaufen können.
Dann marschieren sie gerne mal hordenweise Straßen entlang, skandieren was von „dagegen“ und „Schluß“, das Merkelchen macht Tutsitutsi, der umweltministerielle Mops verdreht ein paar Bezeichnungen und Sätze so, daß am Ende „Wachstum“ herauskommt, und heißa! – da nahen ja schon die nächsten Spiele oder Meisterschaften oder sonst was.
Ich habe übrigens eine Elektropumpe, die zwar nach dreißig Jahren Aufenthalt unter einem Apfelbaum nur noch beschwerlich und keuchend läuft, aber immerhin. Die, dachte ich mir, werde ich nun, um Oberarm und Laubfrosch zu schonen, mal an die Solarzelle hängen, in Betrieb setzen und dabei neben Wasser noch das befriedigende Gefühl gewinnen, an der vielbeplapperten „Energiewende“ teilzuhaben (die selbstverständlich ein reiner Schmarrn und Humbug ist, aber dazu ein andermal).
Aber siehe da: Schon haben die regierungsamtlichen Lakaien ein weiteres Gesetz erwurstet, das diesmal vorsieht, daß für privat erzeugte und genutzte Sonnenenergie hinkünftig Steuern zu entrichten seien. Da könnte ich nun ganz renitent werden. Nämlich erzeugen und nutzen in unserem Kleinparadies nicht nur die Solarzelle und die greise Rowi-Pumpe Sonnenenergie, sondern auch der Kirschbaum samt Fruchtbestand, die Wiese, der Wein, die Pfingstrose, der Pfirsich, Spargel, Kiwi, Kaki und Marone, Him-, Brom-, Johannis-, Stachel-, Erd- und sonstige Beeren, Nüsse, Kräuter, Blumen, ja letztlich jede einzelne Hautzelle nicht nur meines Körpers, sondern auch von Vogel, Igel, Kaninchen, Maus, Grashüpfer, Libelle, Frosch und Kröte, Biene, Hummel, Weps, Hornisse und so weiter und so fort.
Man könnte ein Bataillon der findigsten Steuerbeamten auf Draht halten, indem man die erforderlichen Formulare anfordert und des Nachfragens nicht müde wird, bis auch das letzte erstellt ist: „Junger Mann, der Teerlack auf meinem Hüttendach trocknet infolge effektiver Nutzung von Sonnen- und Windenergie! Ich ersuche um Zusendung der Anlage TLAMHD in dreifacher Ausführung oder eines gängigen Ersatzschriftstücks! Und geht das auch online über Elster? Und sind die Angaben für Raupen und Puppen im Schmetterlingsbogen zu erstellen oder gibt es hierfür jeweils eigene?“
Aber was, ich mag kein Querulant nicht sein, schon gar bei diesem Wetter, und deswegen werde ich den Pumpenkrüppel gnadenweise unter den Apfelbaum pflanzen, mir statt dessen ein schnittig-modernes, luftgekühltes Viertaktbenzingerät holen und es so lange mit gefracktem Sprit beheizen, bis Deutschland endlich Rekordweltmeister ist, dem Merkelchen die Schüttelhand vergichtet und Thomas Müller sein zweitausendstes Tor erzielt. Oder ersatzweise: bis es wieder regnet.

Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.


Dienstag, 8. Juli 2014

Belästigungen 12/2014: Scheitelt die Harnröhre! und ruft den Keeper herbei!

Ich habe einen nicht geringen Teil der letzten Wochen damit verbracht, sämtliche Folgen dieser Kolumne für die ersten vier Bände einer neuen Buchausgabe durchzuschauen und zu überarbeiten. Bei einer solchen Tätigkeit gerät man nicht selten in eine Art autogene Fremdscham („Das soll ich geschrieben haben? Weia weia weia!“), vor allem aber kommt man nicht darum herum, Defizite und Unausgewogenheiten im eigenen Wortschatz zu konstatieren.
Zum Beispiel erscheint die Vokabel „Kapitalismus“ derart häufig, als hätte es mir irgendwann in den Neunzigern eine Zentnerpackung davon in den Händen zerrissen. Darüber hinaus wurlt es nur so vor Neologismen, die meine Deutschlehrer zum kollektiven Fenstersprung veranlaßt hätten, vom Zerzilpen bis zum Glitzen, vom Schwommel bis zum Pfanz. Hingegen: nicht ein einziges Mal der durchaus gängige deutsche Begriff „Harnröhre“. Dabei sind wir Menschen mit dem dazugehörigen Gegenstand mehrmals täglich konfrontiert, zumal zu Sommerszeiten, wo man titanische Kübeleinheiten an Kaltgetränken in sich hinein- und nach Eintritt der beabsichtigten Wärmeaustausch- und Rauschwirkung wieder hinausbefördern muß.
Na gut, meinetwegen geschieht dies unbewußt, wie in einer idealtypischen 21st-Century-Zweierkiste, wo man ja auch nicht mehr weiß, mit wem man da eigentlich wochenends durchs alpine Freizeitressort rödelt und dabei die Besteigung der Praktikantin aus dem Nebenbüro imaginiert. Das gilt indes für mancherlei: Wem wäre denn, während er seinen gesamten Tag an öden Arbeitsplätzen, auf öden Autobahnen, in öden Supermärkten, mit der Betrachtung öder Fernsehprogramme und Internetseiten sowie notfalls auf, unter, über, hinter öden Praktikantinnen verbringt, in jeder Sekunde bewußt, daß daran der Kapitalismus schuld ist?
Eben. Und deswegen wundert mich das. Und während mich das wundert und ich ansonsten gänzlich unbewußt mit dem Fahrrad durch den Münchner Norden flaniere, fällt mir in der Außenreklame eines örtlichen Supermarkts ein neues Wort auf, das ich noch nie gehört habe und das sich mit dem Begriff „Harnröhre“ in einen nicht uninteressanten Zusammenhang bringen läßt: „Mehrweggetränke“.
An einem idyllisch schönen Montag mag ich mir nicht vorstellen, wie so etwas funktioniert. Gibt es dafür Tanks? Ebensowenig möchte ich wissen, was es mit den „Probierwochen“ auf sich hat, mit denen ein internationaler Rindviecherzerwolfungskonzern derzeit tausendweise auf Plakatwänden renommiert. Gibt es neuerdings Wochen, die man bei Nichtgefallen einfach wieder zusammenfalten und auf den Tresen knallen kann: „Taugt nichts, der Gammel! Eine neue her, Dienstleister!“? Werden die dann an jemand anderen weiterverscherbelt, der nicht so anspruchsvoll ist? Oder bezieht es sich nur auf die „Produkte“ der Fleischsemmelfabrik, die man während dieser Zeit keinesfalls schlucken, sondern lediglich anmampfen darf und dann wie bei einer Weinprobe in vorbereitete Tröge speien muß?
Fragen über Fragen, allesamt gänzlich unbewußt wie eine Harnröhre und dennoch drängend, wenn man gerade nichts anderes zu tun hat als die Stadt zu betrachten, die an einem vorbeiparadiert, während das Fahrrad fröhlich zwitschert, als wäre es froh, daß die Schmierölprobierwochen wieder vorbei sind und es frohgemut weiterrosten darf.
Solche Wörter sind komisch, weil man sie normalerweise nie ausspricht, nicht mal denkt und auch nicht liest (weil hierfür zuständige Menschen wie ich sie nirgends hinschreiben – schrübe man sie hin, wären sie nur noch komisch, wenn man sie zehnmal hintereinander sagt, wie zum Beispiel „Scheidplatz“, ein todsicherer Stammtischbrüller). Das läßt sich ändern: Zum Beispiel könnten wir die Blödianbegrüßung „Hallo“ (ein Alarmruf, der dazu dient, Aufmerksamkeit zu erregen) versuchsweise und zumindest in Schickiklamottenoutlets und Nobelbiomüsliboutiquen durch ein herzhaftes „Harnröhre!“ ersetzen und nach Eintritt der Verblüffungspause fortfahren: „Möchten Sie ein Mehrweggetränk? Ich hätte gerade eines bei mir! Probierwochen!“
Manchmal wiederum gerät man beim müßigen Radflanieren in Stadtbereiche hinein, wo man zwar schon mal, aber offenbar lange nicht war, weil sie plötzlich komplett anders aussehen als früher und auch anders, als Stadtteile in einer Stadt aussehen sollten, die man mag. Die werden dann verkauft, mit schlagenden Argumenten. Zum Beispiel steht man hinter dem Hirschgarten, wo ohnehin ein ganzes Areal vollgekippt worden ist mit weißen Zementwohnschachteln, unversehens vor einem Turm, der aussieht wie ein zu Plastikkotze geronnener Alptraum von Perry Rhodan, und erfährt dazu, dort gebe es für knapp 7.000 Euro pro Quadratmeter einen „zentralen Funktions-Cube“ und eine „Storage-Einheit“ für „Intelligent Wohnen“ sowie einen für „Service-Leistungen“ zuständigen „Keeper“, den man über eine „Friends-App“ buchen könne.
Da ist man erst mal baff, radelt ein paar Ecken weiter und ist froh, daß einen von dort nicht gleich der „Keeper“ verjagt, weil die zuständige Immobilienverwertungsfirma unter dem gleichfalls schlagenden Motto „Werte durch Luxus“ folgendes Szenario sich entfalten läßt: „Vor der griechischen Taverne treffen sich ein paar Jugendliche mit ihren Vespas. Die Jungs, alle gescheitelt und mit klassischen Sonnenbrillen auf der Nase, sehen aus wie aus einem Katalog. Es scheint, als wissen (sic!) sie das. Also stehen sie rum, quatschen, trinken Spezi – und sehen gut aus an diesem herrlichen Frühlingstag. Nach ein paar Minuten düsen sie zurück in die Privatschule, ein (sic!) moderner (sic!) Bau am Ende der Volpinistraße. Nun ist es wieder ganz ruhig. Aus dem Hintergrund tritt (sic!) wieder Vogelgezwitscher.“
So soll es zukünftig zugehen unweit vom „quirligen“ Rotkreuzplatz, wo jetzt noch ein „wenig ansehnlicher“, womöglich gar von Menschen bewohnter „Hausbunker“ steht. Und da stellen wir doch vorsorglich gleich mal den Antrag, ganz Nymphenburg in „Harnröhre“ umzubenennen und vom Keeper (es muß ja nicht Manuel Neuer sein) mit Mehrweggetränken versorgen zu lassen.

Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.