Es gibt ja so vieles. Zum Beispiel gibt es auch Menschen,
die sich an Popmusik abarbeiten, im reinsten und direktesten Wortsinn, weil sie
zum Beispiel meinen, das, was an deutschsprachiger solcher Musik „relevant“
sei, komme 2015 (immer noch oder überhaupt) aus Berlin oder/und Hamburg
oder/und irgendwo dazwischen. Die müssen sich dann zum Beispiel an Heinz Strunk
und Jens Friebe abarbeiten und in das halbgare Wichtiggetue irgendwas
hineinwichtigtun oder etwas daraus herausarbeiten, womit sie eine Zeitungsseite
füllen können, inklusive Claim für den taz-Titel.
Das macht nur leider keinen Spaß, höchstens wenn man Freude
an der knirschenden Selbstentlarvung und -verarschung mittelalter Pseudohipster
hat, denen so was selbstverständlich auch keinen Spaß macht, die das aber halt
müssen, weil sie sonst, wenn sie keine Sätze mit „schon mal“ und „Gender“ mehr
bilden und damit Zeitungsseiten vollbullshitten, nicht wissen, wo sie
hingehören.
Andere tauchen tausend Kilometer tiefer und springen tausend
Kilometer höher und kommen in Wien heraus, wo sich Dinge abspielen, die damit
und mit vielem anderem überhaupt nichts zu tun haben. Die Initiation ist meist
ein Zufallstreffer: „Als wir uns zum ersten Mal begegnet sind / und Schuppen
von den Augen geregnet“, da fing was an, womit ein Suchen begann, nach Spuren, Zeichen,
nach Wundern. Den Initiierten mit ihren stanniolblechern strahlenden Augen
braucht man nicht erklären, daß der Nino kein Spanier (und Bulbureal kein
Fußballverein) und Wanda kein Babe und Pille kein Schiffsarzt und Bilderbuch
kein analoges Gerät zur Weltöffnung für Nichtalphabeten ist.
Oder vielleicht doch; wir machen ein Geheimnis draus und
lächeln sanft, wenn einer fragt, weil er nichts versteht: Ausgerechnet Wien? Wo
der Tod eine Mehlspeis und jede Mehlspeis ein kleiner Tod ist? Wo zwischen
Heisl und Beisl eine Düsternis herumwest, die sich an schönen Tagen in
knallenden Beats, in Riffs entlädt, die an eine Kreissäge mit halbmondförmig
ausgefrästen Blatt erinnern?
Genau. Zum Beispiel gibt es da Bilderbuch, vier junge
Männer, die zwei rätselvoll schöne Alben für die Eingeweihten gemacht und dann
fast überall gespielt haben, wo man sie hören wollte (fast überall), derweil an
einem dritten gearbeitet, das sie dann aber zu zwei Dritteln wieder
wegschmeißen mußten, weil es irgendwie „zu indie“ geriet und sie das so nicht
mehr wollten, sondern lieber was ausprobieren, und sich deswegen mit
monatelanger Hip-Hop-Diät, Haarfärbepaste und allen möglichen Chic-Lumpen auch
äußerlich so veränderten, daß sie sich selbst kaum wiedererkannten.
„Schick Schock“ ist, sagen wir es so: ein Blitz. Technisch
ein Album von unterwegs für unterwegs, für das irgendwie auch Hamburg und
Berlin und viele Autobahnen irgendwo dazwischen eine Rolle gespielt haben, aber
das spielt keine Rolle. 2015 werden wir „Schick Schock“ hören und mit
stanniolblechern strahlenden Augen durch eine Welt tanzen, in der vieles andere
auch keine Rolle mehr spielt und das, was „relevant“ ist, gerade erst entsteht.
Wir werden „Plansch“ sagen und „OM“ und Gigolos sein, „Softdrinks“ schlürfen und
„Barry Manilow“ appreciaten.
Und niemand wird uns verstehen, das ist das Schöne an
Popmusik. Mögen die, die nichts verstehen, weise Finger recken, von Prince, Falco,
Roxy Music (Modell 1982), Kanye West, von Samples, Midi und sonst was
schwafeln. Wir schweigen und lächeln und sagen nicht mehr. „Willkommen im
Dschungel“.
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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