Ja mei, der Blues, gelt. Treibt sich seit bald 150 Jahren in
der Weltgeschichte herum, schaut dementsprechend aus, der Lotterhaderlump, und
ist kein Stück gescheiter geworden: Noch immer jault er den Mond an, wenn die
Herzensdame mal wieder garstig ist, das Haus abbrennt oder der Hund stirbt, und
noch immer nimmt er dazu eine Gitarre in die Hand, die am besten genauso alt
ist und sauber blechern schnarrt, zieht sich in eine klapprige Holzhütte
zurück, läßt sich auf scheppernden Töpfen begleiten und raspelt sich beim
Plärren die Stimmbänder wund, daß es eine Art hat.
Drum heißt es ja so: nicht „der“, sondern die Blues eigentlich
nämlich, Mehrzahl und Vielzahl der Leiden, die der elendige Verpaarungstrieb
und seine grimmigen Brüder (Überdruß, Frühling, Neuverpaarungstrieb und die
ganze Sippe) in die Welt gesetzt haben und deren literarischer Ausfluß in einem
schmalen Bändchen Platz findet: You turn me on, you don’t have to go, please
come back etc. sowie freilich Woke up this morning. Weil das tut er (belassen
wir’s aus Gewohnheit dabei) immer wieder: Kaum scheint er überwunden und
verdrängt von seinen Kindern und Kindeskindern, von Jazz, Swing, Schlager (auch
der; achten Sie mal auf die Akkordfolgen!), Rock, Pop, Punk, whatever, da
kehren die schon müde von ihrer Party heim und legen sich schlafen, und schon
wacht er wieder auf und sitzt traurig in der demolierten Küche und füllt die
Welt mit seinem Gram und Zorn.
Das Lebensalter des jeweils Befallenen spielt kaum eine
Rolle, außer beim elektrischen Blues, einem besonders ruppigen Gesellen, der
Anfang der 60er aus dem blauen Ei schlüpfte: Eric Clapton, Johnny Winter, Rory
Gallagher, Peter Green, Jimi Hendrix, Jimmy Page – alle kaum Teenager, da
lärmten sie schon auf Bühnen herum von Liebesqualen, die sie höchstens aus dem
Kino kannten. Aber er war halt einfach so schön laut, der Krach, damit ließen
sich Eltern und Nachbarn prima erschrecken und später auch die Mädels
hinreißen, die dann für eine Fortsetzung des ewigen Kreislaufs sorgten.
In den letzten Jahren ist es um den jungen, elektrischen
Blues etwas still geworden. Lag vielleicht auch an Überfüllung: Zu viele
einstmals Junge noch am Leben, die unablässig durch die Schuppen und Beizen der
ganzen Welt rumpelten, doch längst zu milde und starr, um noch für den Funken
zu sorgen, der das Herz entflammt. Jetzt (oder sagen wir: seit zwei Jahren) kommt
Jesper Munk daher (mit 23 fast schon ein Veteran, aber dies sind andere Zeiten)
und will das ändern, wieder da anknüpfen, wo der rostige Eisenfaden Anfang der
70er riß und höchstens von Jon Spencer (die hier mitproduziert hat) noch mal
zusammengedengelt wurde. Will wegblasen die genormten Popschaufensterpuppen,
die heutzutage mit militärischen Drilltänzen die Teenies beglücken. Das Loch
wieder aufreißen, in das die Beladenen, die Schwarzromantiker und
Herzgebrochenen stürzen und sich suhlen.
Und das macht er auf seinem zweiten Album nicht nur
angesichts des zeitlichen Abstands erstaunlich gut. Denn selbstverständlich ist
die historische Mimikry eine der schwersten Disziplinen im Musikgeschäft (weil
sie gar so leicht im Retroschmonz versumpft), zudem aber versteht er das Genre
sehr offen und gleitet ohne Verrenkung in benachbarte (und einige ferne)
hinein.
Vieles auf diesem schönen Album wirkt notwendig unfertig,
unentschlossen bisweilen auch, vom Songwriting bis hin zur Produktion, die
stellenweise etwas sehr auf Props und clevere Kostümierung abzielt. Aber das
ist einerseits zu erwarten, andererseits läßt es für die Zukunft viel erwarten.
Und vor allem macht es die Momente, in denen es wirklich annähernd so knallt,
wuchtet und hemmungslos rummst wie einstmals bei den ganz frühen Fleetwood Mac
(empfehlen wir dem Trackhörer: „101 Proof“, „White Picket Fence“, „Smalltalk
Gentlemen“) um so besser. Da zittert er, der Mond, da klappert die Hütte.
Ja mei, der Blues halt, gelt.
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.