Dies ist ein Notfall. Seit Wochen sitzt der Sailer in seinem
Kämmerlein, dröhnt sich mit den weltvernichterischen Hymnen der
österreichischen Band Wanda die Hirnrinde weg und wird immer grauhäutiger. Das
kann nicht so weitergehen! Wir brauchen dringend Remedur!
„Hm, da ist guter Rat teuer. Zeigt er sich insgesamt
zugänglich?“
Eher nicht. Alles sei vergänglich, behauptet er vielmehr,
und Popmusik ohnehin nur ein Lidschlag in den Äonen menschlichen Unglücks und Ungeschicks.
Da helfe nichts und sei es drum allemal besser, sich dem Wälzen des allrüden
Schicksals zu ergeben und das allsamte Ende zu gewahren. Lebkuchen lehnt er ab.
„Das ist mißlich. Glühwein ebenfalls?“
Auch diesen. Was nötig wäre, wäre ein grundmusikalischer
Theriak, in dem alles enthalten ist, was selbst in Schwerkriegszeiten und im
tiefsten nostalgoiden Abyssos der Sehnsucht die Stimmung aufhellt. Also etwa
eine Tinktur aus Maxine Brown, Carole King, Rod Stewart, Ella Fitzgerald, Louis
Armstrong, Cannonball Adderley, Billie Holiday, Frank Sinatra, Doris Day, Dean
Martin, Stan Getz, Frankie Laine, Ben Webster, Johnny Mathis, Bing Crosby, Burt
Bacharach, Herb Alpert, Sandy Shaw, Dusty Springfield, Charles Aznavour, Paul
Anka, Count Basie, Sammy Davis Jr., Brenda Lee, Sonny & Cher, Marvin Gaye,
Dinah Washington, Brian Wilson, Oscar Peterson, Chet Baker, Roy Hamilton, Cliff
Richard, Roy Orbison, Leo Sayer, Vera Lynn, Benny Goodman …
„Holla! Alles in einem? Das wird schwer.“
Im Grunde wohl; indes kommt die Rettung möglicherweise aus
Los Angeles, aus dem sonnigen kalifornischen Orangenland, wo man im offenen
Antik-DeSoto die Küste entlangbraust und das milde Sonnenglitzern die Seele
streichelt, mögen anderswo auch Atombomben detonieren. Dorten nämlich trafen
sich – selbstverständlich in einem Hollywoodstudio – dereinst die
Schauspielerin Zooey Deschanel und der in untergründigen Kreisen bereits gründlich
gesalbte Songwriter M. Ward, um ein Duett zu singen, und entdeckten dabei, daß
beide über die Maßen entzückt waren und wurden von allem, was George Martin,
Phil Spector und der mythische Ralph Peer je produziert hatten. Weil es wärmt,
heilt und gut tut, insgesamt und sonders.
„Oh!“
Es stellte sich sodann sogar heraus, daß Zooey einen ganzen
Wandschrank voller Songs geschrieben hatte, jedoch zu scheu und bescheiden war,
sie je aufzunehmen. Und es stellte sich des weiteren heraus, daß selbige Songs,
einmal aufgenommen, einen extrem weichen Punkt der gesamtamerikanischen Seele
trafen: Drei Alben auf Platz eins der US-Folkcharts, das ist, um im Jargon zu
verweilen, kein Pappenstiel.
„Ja nun. Aber die wird er doch kennen, der Verhärmte?“
Mag sein. Aber sicherlich hatte er in seinem tränenreichen
Refugium noch nicht Gelegenheit, das neue Album zu hören, auf dem die beiden mit
Großorchesterbegleitung ausschließlich Klassiker covern, und zwar solche aus
Zeiten, als Rosa noch rosa und Hellblau noch hellblau und die Horizonte eine
strahlende Verheißung waren, als Flippers glitzernde Rückenflosse den
heimeligen Ozean schnitt und Naivität die Bürde kleiner Menschen trug wie Fury
seinen Reiter.
„Dies klingt aussichtsreich. Aber wird er sie hören wollen,
die Botschaft?“
Dies wird er müssen. Nämlich ist ihm eine Ironie zu eigen,
die in ihrer durchaus tiefen Schwärze jener des Filmregisseurs Stanley Kubrick
ähnelt, der dazumal seinen wundervoll weltuntergängerischen Klassiker „Dr.
Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ mit dem unwiderstehlich
tröstlichen Lied „We’ll Meet Again“ ausklingen und dabei den Planeten in Atompilzen
zerblippen ließ. Mit selbigem, minus Pilze, endet auch dieses Album.
Widerstehen kann dem niemand.
„Pst! Ich glaube, die Tür öffnet sich. Und war da ein
erlöstes Seufzen zu vernehmen?“
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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