Samstag, 7. Februar 2015

Frisch gepreßt #328: Led Zeppelin „Houses Of The Holy (Remastered Deluxe Edition)“


1973 war ein merkwürdiges Jahr, eine grenzwertig pubertäre Mischung aus Exzeß und Psychose, aus deliriös betrunkenem Sex auf dem Hochseil und dem tiefsten Abgrund verkaterter Heuldepression. Sogar Slade, die Knallfroschabteilung der gerade noch flammenden, flirrenden und flitternden Glamrockszene, schrieben damals Balladen! Zu schweigen von Roxy, Bowie, Cockney Rebel – allerorten epochale Trauer, aufgepumpt mit Weltschmerzpathos und Nebelschwaden von Kokain oder vielmehr deren Nachwehen.
Led Zeppelin waren damals die größte Band der Welt – goldene Götter, die vor unüberschaubaren Massen weniger spielten als Messen zelebrierten und für ein Viertel der Umsätze des Plattengiganten Atlantic sorgten. Und doch wollten die Doorkeeper der wahren Großkultur sie nicht einlassen, ignorierte sie das Feuilleton als Arbeiterklassenkrawallisten, während die Rolling Stones mit Filmstars, Literaten und Andy Warhol rumhingen, Alice Cooper mit Salvador Dali tanzte und man Doktorarbeiten über Pink Floyd schrieb.
Led Zeppelin galten als „Heavy Metal“, als aufgeblasener Popanz ohne Substanz. Selbst Queen nahm man ernster: Die konnten immerhin mit der Zunge in der Backe zwinkern, Deep Purple stampften präziser und erdiger, und mit den lyrischen Phantasieuniversen von Yes konnte Robert Plants Hobbit-Geplänkel nicht mithalten.
Das fünfte Album war zumindest optisch ein Paukenschlag, wie ihn die Musikwelt noch nicht erlebt hatte: Klappcover ohne Titel und Bandnamen, nur ein Bild, aber was für eines! Musikalisch definierte und untermauerte es die ganze Größe und Tragik der Band: Es beginnt mit „The Song Remains The Same“, einem Wirrwarr aus Riffs, die Jimmy Page in seiner notorischen Schlampigkeit in die Gegend schmiert, während Robert Plant wie eine hilflose Stadiontröte irgendwas röhrt. Zu allem Überfluß wurde der Schmarrn dann auch noch – wohl um Virtuosität zu simulieren – so beschleunigt überspielt, daß der Gesang wie Minni Maus auf Helium klingt und John Bonhams wuchtige Trommeln zu einem Haufen Pappkartons degenerieren. Punkt.
„The Rain Song“ ist das komplette Gegenteil: ein verträumtes Meisterwerk aus ungreifbar ineinander verschlungenen Harmonien, gefolgt von dem ebenfalls enormen „Over The Hills And Far Away“ mit seiner nüchtern-ländlichen, von pfiffigen Triolen metrisch verzauberten Akustikfigur und klassischen Zep-III-Synkopen. Und dann aber wieder „The Crunge“, kaum mehr als ein Faschingsscherz, eine in die eigene Hose gebombte James-Brown-Funk-Verarschung mit Angebermetrum (fünf Achtel! neun Achtel!) und Monty-Python-Schlußgag, bei der man sich beim Tanzen garantiert drei Zehen bricht.
Die Frage, was an all dem „Heavy Metal“ sein soll, kann auch LP-Seite zwei nicht beantworten: weder die absurden Akkordfolgen und aufreizend antithetisch müden Gesangslinien von „Dancing Days“ noch der bizarre Bubblegum-Reggae „D'yer Mak'er“, John Paul Jones' filmisch grandioses, merkwürdig unvollendetes Meisterwerk „No Quarter“, schon gar nicht die unspektakulär wummsende Fanmassen-Hommage „The Ocean“ mit ihrem komischen Riff, dem Doo-wop-Chor und dem Dienst-nach-Vorschrift-Stechuhrschluß.
Die Höhepunkte der Platte und zugleich möglicherweise des Gesamtwerks der Band zeigen vielmehr, was Led Zeppelins wahre, oft verborgene Stärken waren: sinfonisch-progressiver Glampop, der auf einem Roxy-Album nicht fremd gewesen wäre (von der Stimme mal abgesehen), und tieftraditioneller, zugleich höchst origineller Folkrock. Der Rest – mittelmäßig-belangloser Hardrock und mehr oder weniger nette Parodien – steht sinnbildlich für das fehlende Gespür, mit dem Led Zeppelin zwischen Genie und Krampf herumtorkelten.
Ein seltsames Jahr, ein seltsames Album: das beste und zugleich schlechteste einer Band, die niemand je ganz begreifen wird, weil sie sich selbst nicht begriffen hat.


Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.


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