1973 war ein merkwürdiges Jahr, eine grenzwertig pubertäre
Mischung aus Exzeß und Psychose, aus deliriös betrunkenem Sex auf dem Hochseil
und dem tiefsten Abgrund verkaterter Heuldepression. Sogar Slade, die
Knallfroschabteilung der gerade noch flammenden, flirrenden und flitternden
Glamrockszene, schrieben damals Balladen! Zu schweigen von Roxy, Bowie, Cockney
Rebel – allerorten epochale Trauer, aufgepumpt mit Weltschmerzpathos und
Nebelschwaden von Kokain oder vielmehr deren Nachwehen.
Led Zeppelin waren damals die größte Band der Welt – goldene
Götter, die vor unüberschaubaren Massen weniger spielten als Messen
zelebrierten und für ein Viertel der Umsätze des Plattengiganten Atlantic
sorgten. Und doch wollten die Doorkeeper der wahren Großkultur sie nicht
einlassen, ignorierte sie das Feuilleton als Arbeiterklassenkrawallisten,
während die Rolling Stones mit Filmstars, Literaten und Andy Warhol rumhingen,
Alice Cooper mit Salvador Dali tanzte und man Doktorarbeiten über Pink Floyd
schrieb.
Led Zeppelin galten als „Heavy Metal“, als aufgeblasener
Popanz ohne Substanz. Selbst Queen nahm man ernster: Die konnten immerhin mit
der Zunge in der Backe zwinkern, Deep Purple stampften präziser und erdiger,
und mit den lyrischen Phantasieuniversen von Yes konnte Robert Plants
Hobbit-Geplänkel nicht mithalten.
Das fünfte Album war zumindest optisch ein Paukenschlag, wie
ihn die Musikwelt noch nicht erlebt hatte: Klappcover ohne Titel und Bandnamen,
nur ein Bild, aber was für eines! Musikalisch definierte und untermauerte es
die ganze Größe und Tragik der Band: Es beginnt mit „The Song Remains The Same“,
einem Wirrwarr aus Riffs, die Jimmy Page in seiner notorischen Schlampigkeit in
die Gegend schmiert, während Robert Plant wie eine hilflose Stadiontröte
irgendwas röhrt. Zu allem Überfluß wurde der Schmarrn dann auch noch – wohl um
Virtuosität zu simulieren – so beschleunigt überspielt, daß der Gesang wie Minni
Maus auf Helium klingt und John Bonhams wuchtige Trommeln zu einem Haufen Pappkartons
degenerieren. Punkt.
„The Rain Song“ ist das komplette Gegenteil: ein verträumtes
Meisterwerk aus ungreifbar ineinander verschlungenen Harmonien, gefolgt von dem
ebenfalls enormen „Over The Hills And Far Away“ mit seiner nüchtern-ländlichen,
von pfiffigen Triolen metrisch verzauberten Akustikfigur und klassischen
Zep-III-Synkopen. Und dann aber wieder „The Crunge“, kaum mehr als ein
Faschingsscherz, eine in die eigene Hose gebombte James-Brown-Funk-Verarschung
mit Angebermetrum (fünf Achtel! neun Achtel!) und Monty-Python-Schlußgag, bei
der man sich beim Tanzen garantiert drei Zehen bricht.
Die Frage, was an all dem „Heavy Metal“ sein soll, kann auch
LP-Seite zwei nicht beantworten: weder die absurden Akkordfolgen und aufreizend
antithetisch müden Gesangslinien von „Dancing Days“ noch der bizarre
Bubblegum-Reggae „D'yer Mak'er“, John Paul Jones' filmisch grandioses, merkwürdig
unvollendetes Meisterwerk „No Quarter“, schon gar nicht die unspektakulär
wummsende Fanmassen-Hommage „The Ocean“ mit ihrem komischen Riff, dem
Doo-wop-Chor und dem Dienst-nach-Vorschrift-Stechuhrschluß.
Die Höhepunkte der Platte und zugleich möglicherweise des
Gesamtwerks der Band zeigen vielmehr, was Led Zeppelins wahre, oft verborgene Stärken
waren: sinfonisch-progressiver Glampop, der auf einem Roxy-Album nicht fremd gewesen
wäre (von der Stimme mal abgesehen), und tieftraditioneller, zugleich höchst
origineller Folkrock. Der Rest – mittelmäßig-belangloser Hardrock und mehr oder
weniger nette Parodien – steht sinnbildlich für das fehlende Gespür, mit dem
Led Zeppelin zwischen Genie und Krampf herumtorkelten.
Ein seltsames Jahr, ein seltsames Album: das beste und
zugleich schlechteste einer Band, die niemand je ganz begreifen wird, weil sie
sich selbst nicht begriffen hat.
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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