Es ist kein leichtes Los, „nur“ der Gitarrist einer Band zu
sein, deren optisches und öffentliches Aushängeschild und Sprachrohr eine
singende Galionsfigur ist. Fragen Sie mal Jimmy Page, Phil Manzanera oder Steve
Jones. Oder fragen Sie John Squire, Bernard Butler, Mick Ronson – die kennen
Sie alle nicht? Na eben. Fragen Sie zur Not Noel Gallagher, der kennt das schon
auch.
Andererseits: hat die aus narzißtischer Sicht undankbare
Rolle den kaum schätzbaren Vorteil, daß man tun kann, was, und spielen, mit wem
man will. Das ist besonders dann angenehm, wenn man Gitarrist einer Band war,
die sogenannte Experten für die wichtigste, größte und einflußreichste aller
Zeiten halten. Johnny Marr war Gitarrist bei The Smiths; richtig: das war die
Band von Morrissey. Dem Sänger, von dem tumbe Nostalgiker und Puristen immer
mal wieder behaupten, er habe seinen Beitrag zur Popgeschichte eben mit The
Smiths und seither kaum Wesentliches geleistet. Das ist grober Unfug, aber es
zeigt, wie gut es der Gitarrist einer solchen Band haben kann.
Johnny Marr hat diese angenehme Rolle weidlich ausgenutzt;
die Liste der Leute, die ihn bewundern bis vergöttern und mit denen er gespielt,
gearbeitet, Platten produziert hat, könnte diese Seite füllen: Paul McCartney,
Bryan Ferry, The Pretenders, Oasis, The Cribs, Talking Heads, Modest Mouse, Pet
Shop Boys, The The, Billy Bragg, Kirsty MacColl, Wilco, Lisa Germano, Bert
Jansch, Neil Finn, Jane Birkin …
Schwieriger wird es dann, wenn der Gitarrist die Arbeit für
und mit eines Tages über hat und selbst die Position einnehmen möchte, die
einst sein alles überragender Sänger innehatte. Kennen Sie die Solo- und
Bandalben von Bernard Butler, John Squire, Mick Ronson? von Jimmy Page, Phil
Manzanera oder sagen wir: Noel Gallagher? Johnny Marr, der in dieser Hinsicht
2003 (mit The Healers) und einem lauwarmen Album debütierte, macht da keine
Ausnahme. Auch auf seinem zweiten „echten“ Soloalbum wünscht man sich noch in
den stärksten Momenten (den Glamrockknallern „Dynamo“ und „Playland“, dem
hypnotisch walzenden Hardrocker „Speak Out Reach Out“, dem mitreißend
dahinratternden „Boys Get Straight“ und dem instrumental fast Smiths-mäßig
melancholisch flirrenden „This Tension“) einen „richtigen“ Sänger herbei oder
zumindest das penetrante Hallgerät weg, das Marrs Stimme in den weniger guten
Momenten zu einer unfreiwilligen Parodie seines eigenen Idols Marc Bolan
entstellt und die fehlende Bauchmuskelkraft, die zu dünn geratene Protzlust,
die es verhüllen soll, eher hervorhebt.
Aber so ist das eben mit Gitarristenalben. Die Vorstellung,
was aus dieser Platte geworden wäre, wenn Morrissey sie besungen hätte,
ersparen wir uns lieber, schon weil der längst auf einem anderen Planeten lebt
und sie wahrscheinlich eben nur besungen hätte (was er grundsätzlich nicht tut).
Daß Johnny Marr kein Sänger ist, hat immerhin den Vorteil, daß er sich
ansonsten nach Belieben austoben und den sechs bis zwölf Saiten seines Arsenals
von Fender-Jaguar-, Rickenbacker, Les-Paul-, ES-355- und Telecaster-Modellen
entkitzeln bis entwringen kann, wofür ihn der Teil der Menschheit, der sich für
mehr als alles überragende Sänger interessiert, bewundert bis vergöttert. Die
Dringlichkeit, jugendliche Knallenergie und uneitle Präzision, der frische Zorn
und die Knappheit, in und mit denen er das tut, erwecken den Anschein, da sei
einer am Werk, der ganz am Anfang steht, noch keine Zeit hatte, den Sturm von
Ideen, der sein Hirn, sein Herz und seine Finger durchströmt, zu bändigen, und das
erinnert dann doch wieder sehr an die Smiths.
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen