Freitag, 1. Dezember 2017

Im Regal: Christian Kracht "New Wave. Ein Kompendium 1999-2006

Darf man einen Menschen, den man nicht kennt, mit dem man nie ein Wort gesprochen, von dem man nur ein paar Texte gelesen hat, die ganz bestimmt und hoffentlich nicht zu seinen besten zählen, – darf man so jemanden einfach als dumm bezeichnen? Ich tue das jetzt mal: Ich halte Christian Kracht für einen furchtbar dummen Menschen. Einen, der in der Welt herumflitzt wie ein verbogener Brummkreisel, aber nirgends etwas erfährt. Einen, der wahrscheinlich wahnsinnig viele coole Bücher gelesen (oder durchgeblättert) hat, die er gerne selber geschrieben hätte (was er deshalb in einigen Fällen auch versucht). Einen, der sich für die schönste, klügste, wichtigste und individuellste Individualperson an jedem beliebigen Ort und überall hält und sich dabei in eine Aura von Ennui-Melancholie zu hüllen sucht wie in einen mannsgroßen Luftballon. Einen, der schreibt, als putzte und feilte er (die Augenbrauen knapp unter dem Scheitel, die Mundwinkel knapp über dem Knöpfkragen) alle fünf Minuten an seinem Gänsekiel herum, damit er auch schön glänzt und ihm keine Schande macht, wenn ihn ein zufällig hereinschneiender Bewunderer auf dem Stehpult ruhen sieht; einen aber, dem das Deutsche, seine Fein- und selbst manche grammatischen Grobheiten (vom Konjunktiv bis zur Metapher und zurück) so wenig bekannt sind wie mir die Einzelheiten der finnischen Dichtkunst des 14. Jahrhunderts.
Christian Kracht, von dem Kritiker manchmal vermuten, er schreibe „präzise“, „klar“ und „deutlich“ (gemeint ist vielleicht seine Vorliebe für grunddeutsche Adjektive wie „herrlich“ und „wunderbar“, für Bäche, die „wild strömen“, Pappeln, die „hoch aufragen“, für dies und das und jenes, das jeweils mit „schwarz“, „weiß“, „rot“, „gelb“, „grün“ oder eben „ganz herrlich“ erschöpfend dargestellt ist; versucht er hingegen, etwas genauer zu beschreiben, endet das unweigerlich in geradezu absurder Unbeholfenheit: Da werden dann „Figuren mit großer Anmut aus dem Holz gehauen“, oder es wird behauptet, „Pfefferkörner auf Salzhügeln“ seien mit „achtlos verteilten Felsen besprenkelt“, und das Ganze sei Afghanistan); – dieser Herr Kracht hat in sein Archiv gegriffen (dessen Gegenpart im Marktwainschen Haushalt aus Weidenzweigen geflochten war) und einige liegengebliebene oder schon mal gedruckte Texte hervorbefördert, sie zu einem „Kompendium“ zusammenbrimborisiert, diesem (das ein solches selbstverständlich nicht ist) einen abwegigen, aber plakativen Titel verpaßt (der, ich gestehe es, auch mich neugierig gemacht hat) und dem Verlag eine unkonventionelle, coole Aufmachung aufgetragen. Und wir kriegen solcherart ein Buch mit ein paar Reisereportagen (die an jedem beliebigen Ort der Welt spielen könnten und so gierig ins Terrain des Kitsches hineinragen, daß einem anständigen Autor beim Schreiben schlecht geworden wäre, nicht erst wenn er deutsche Hippies der frühen Siebziger als „langhaarige Soldaten der Liebe und des Friedens“ bezeichnet), einem unerträglich langen, höhepunktfreien Boris-Vian-Abklatsch, dem zur Parodie jeglicher Anflug von Lustigkeit und Witz (nebst einem Anlaß) fehlt, einem „Gespräch“ mit dem Ex-Popautor und heutigem WamS-Schreiber Bessing, ein paar belanglosen Briefwechseln. Und noch ein paar Sachen. Man wird darüber reden, „Polylux“ wird sicherlich ebenso sich äußern wie „TTT“ und „Aspekte“, und kaufen wird man’s eh. Der eine oder andere wird mal wieder anmerken, daß Krachts Worthaufen nichts enthalten und ausstrahlen als belangloses Gelaber und völlige Leere; der eine oder andere wird dagegenhalten, das sei ja gerade „der Punkt“: Daß einer so was macht, sei doch „bezeichnend“ und mache es „relevant“. Man könnte feststellen, daß das Unfug ist und die „Relevanz“ nur daher rührt, daß er es öffentlich tut. Das aber ist ein Problem der Verlage und der Medien.
Lesen jedoch braucht das Zeug niemand; es macht (abgesehen von den vielen Stilblüten) weder Spaß noch Erkenntnisgewinn, sondern faden Einton und Überdruß, und so landet das Buch besser vorher als nachher dort, wo es hergekommen ist: im Weidengeflecht oder einem seiner modernen Verwandten.

geschrieben Anfang Januar 2007 für KONKRET

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