Donnerstag, 12. November 2015

Frisch gepreßt #350: Robert Forster "Songs To Play"


Wenn Ende September der Föhn mit theatralischem Pathos (vermeintlich) endgültig zusammenbricht und der Herbst grimmig grummelnd seine bleiernen Plumeaus daherschiebt, versammeln sich die Menschen um die Feuerstelle und erzählen sich lustige und gruselige Geschichten. Wenn sie nicht auf Reisen gehen, was selbst der Autor dieser Zeilen, ansonsten nicht grundlos der exzessiven Stubenhockerei verdächtig, zu dieser Jahreszeit recht gerne mal tut. Lieber bis am liebsten ist ihm aber, wenn das Fenster, vor dem sich die herbstliche Landschaftskulisse elegant auf den Absätzen dreht und ein Szenario nach dem anderen flugs enthuscht, um dem nächsten Geschwister Raum zu machen, – wenn dieses Fenster ein Inneres ist und er auf sanften Gleisen durch die Welt schweben kann, ohne sein Sofa zu verlassen.
Ein besonders lieber Reise- weniger -führer als -begleiter ist ihm seit vielen Jahren Robert Forster. Robert wer? fragt der Zuspätgeborene und kriegt ein bisserl historische Nachhilfe: Forster, 58 Jahre alt, gründete Ende 1977 in der australischen Stadt Brisbane die Band The Go-Betweens, mit seinem Uni-Kommilitonen Grant McLennan, mit dem er eine absolut unzeitgemäße Begeisterung für supersimple, hochintelligente Popmusik und die damals so gut wie vergessenen antipodären Legenden Velvet Underground und Monkees teilte. Keine sehr schlaue Idee für eine Karriere, möchte man meinen. Aber als die Go-Betweens Anfang April 1978 (im Vorprogramm der Numbers, die später The Riptides hießen und eine Ausgrabung wert wären) das erste Mal auf der Bühne standen und zwei Songs spielten (mehr konnte der geliehene Drummer auf die Schnelle nicht einstudieren), waren ihr Charme, ihre Lässigkeit, die bezaubernd bescheidene Strahlkraft ihrer aufs Wesentlichste reduzierten Liedgeschichten so hinreißend, daß sie keine paar Wochen später einen Plattenvertrag über acht (!) Alben unterschreiben durften.
Leider ging das wagemutige Label (es hieß Beserkley und ist ebenfalls eine Wiederentdeckung wert) kurz darauf pleite, aber die Gleise waren gelegt, und der Go-Betweens-Zug rollte los. Bis das erste „richtige“ Album „Before Hollywood“ erschien, drehten sich fünf lange, ereignisreiche Jahre vor den Fenstern vorbei; inzwischen gab es eine sogenannte Indieszene um Bands wie Wire, die Smiths und die Talking Heads, die es verschmerzen ließ, daß Radiosender die Go-Betweens so stur ignorierten wie dazumal Velvet Underground. Als wollten sie die Kritiker, die sämtliche Platten der Band als Offenbarungen feierten, vorsätzlich ärgern.
Aber das Leben in der Nische ist kein leichtes, und 1989 hatten Forster und McLennan nach sechs längeren und vielen kurzen Platten genug davon, auf die Welt zu warten, und beschlossen, die Welt auf sich warten zu lassen. 2000 fuhren sie wieder los, nunmehr als „Kultband“ gehuldigt, aber weiterhin stracks an der oberen Hälfte sämtlicher Charts vorbei. Am 6. Mai 2006 starb McLennan 48jährig an einem Herzinfarkt, das war's.
Freilich nicht, denn der Songquell Robert Forster sprudelt weiter. Und obwohl man meinen möchte, er habe das Grundmodell (unverzerrt schimmernde Gitarren, simples Schlagzeug, mehr oder weniger gesprochener, an Lou Reed, Television und den frühen Morrissey erinnernder Gesang, eckig verzahnte Melodien, viiiieeeel Platz zum Hindurchschauen) so oft variiert, daß sich irgendwann mal was wiederholen müßte, tut es das nicht. „Learn To Burn“, „Let Me Imagine You“, „Turn On The Rain“ … jeder seiner neuen Songs könnte in jedem Jahr zwischen 1978 und heute entstanden sein, und jeder davon klingt so zeitlos nüchtern, frohmelancholisch und ewigrund, daß man schon heute weiß: Man wird diese Platte in zwanzig Jahren wieder auflegen und glauben, sie sei absolut neu oder fünfzig Jahre alt.
Und jeder dieser Songs ist eine Reise in einem imaginären Eisenbahnabteil, vor dessen Fenstern herbstliche Landschaften vorbeifließen, während der Betrachter die Gedanken flocken läßt und mit milde staunendem Lächeln ob ihrer Klarheit und Wahrheit den einfachsten poetischen Botschaften aller Zeiten lauscht. „Love Is Where It Is“ – o ja, wo denn sonst als hier, dort, überall und immer?

Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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