Mittwoch, 2. September 2015

Belästigungen 16/2015: Was Wohnen ist, was es kostet und was es nicht kosten darf

In einem Sommer wie dem, der nun langsam zu Ende geht, fällt es schwer, sich mit dem Thema „Wohnen“ zu befassen, weil man Wohnungen in solchen Zeiten ja höchstens zwischendurch aufsucht, ein paar Stunden lang zum Schlafen oder so. Ansonsten ergeht bzw. erliegt oder -sitzt man sich an Seen und Isarstränden, in Bier- und anderen Gärten, auf Wiesen und Festen. Anders Geneigte reihen sich in Staus auf Autobahnen ein, um mal wieder ausgiebig Bayern drei hören und überprüfen zu können, welche der fünfzig Standardplatten aus den Achtzigern immer noch nicht ganz durchgenudelt sind, oder sammeln sich an „Hipster“-Sammelstellen, lassen sich von Freiluftreklame beplärren und schütten sich Zuckerplörre in den Diekmann-Bart.
Das geht nach der jeweils bevorzugten Fasson; da ist der Mensch frei, sich zu „verwirklichen“, wie er wirklich sein oder wirken möchte. Zum Wohnen jedenfalls kommt er erst wieder, wenn er einen Platz braucht, um Regenschirm und Stiefel aufzubewahren. Und dann mag er sich eventuell auch mal fragen, was das eigentlich ist: „wohnen“.
Darüber grübelte bereits der großdeutsche Tiefdünkler Heidegger, wie stets ohne brauchbares Ergebnis, aber immerhin mit der Empfehlung, das Wohnen beim Bauen zu be-denken; nämlich be-wohne man Bauwerke „und wohnt gleichwohl nicht in ihnen, wenn Wohnen nur heißt, daß wir eine Unterkunft innehaben“. Das freilich ist eine Binsenweisheit: Be-wohnen kann man schließlich auch ein Gebüsch. Was aber ist das andere, das „existentiale“ oder eigentliche Wohnen?
Vielleicht hilft die Etymologie, derzufolge ein Mensch, der „baut“, damit bereits „wohnt“, was wiederum heißt, daß er „bleibt“ und „zufrieden ist“. Und schon erstrahlt vor dem inneren Auge eine märchenhafte Idylle, die wenig zu tun hat mit den notdürftig berümpelten Kammern, in denen der moderne Arbeitssklave ein paar Monate lang seine Fertignahrung und seine täglichen Ladungen an „Info“ einnimmt, ehe er weiterziehen muß, um anderswo dafür zu sorgen, daß die Börsen schwingen und die Säckel der Elite schwellen.
Kein Zweifel: Wir haben das Wohnen verlernt, zu einem nicht geringen Anteil sogar im gesetzlichen Sinne – weil laut BewG §181, Abs. 9 eine Wohnung aus mehreren Räumen besteht, „die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, dass die Führung eines selbständigen Haushalts möglich ist“, und die des weiteren die hierzu „notwendigen Nebenräume (Küche, Bad oder Dusche, Toilette)“ umfaßt. „Die Wohnfläche muss mindestens 23 Quadratmeter betragen.“
Wer sich im Besitz eines solchen Traumgebildes befindet, darf sich einerseits glücklich schätzen, andererseits wieder nicht. Nämlich sind die Zeiten längst vorbei, da ein normaler Ausgebeuteter wenigstens darauf vertrauen konnte, daß der ihm zugebilligte Bruchteil vom Erlös seiner Arbeit neben den zur Reproduktion der Arbeitskraft notwendigen Aufwendungen auch für den Mietzins locker reicht. Heute erleben wir die absurde Situation, daß ein Großteil der Arbeitenden schon deshalb kaum noch wohnt, weil sie immer mehr arbeiten müssen, um bis zu neunzig Prozent ihres Geldes für die irrwitzige Miete abzugeben.
Wie konnte das geschehen? fragt man sich. Die Antwort ist recht simpel, wenn man den Argumenten der Eigentümer folgt. Zum Beispiel wollten neulich die Vermieter der weltbekannten Münchner Lach-&-Schießgesellschaft dieser mal wieder die Miete beträchtlich erhöhen und meinten dazu, sie könnten darauf nicht verzichten, schließlich seien sie nicht dafür da, die Kultur zu finanzieren. Sondern umgekehrt ist die Kultur dafür da, ihren Profit zu finanzieren, gelt!
Aha! Diese verbreitete Denkprinzip bringt mich auf die Idee, von den Münchner Tageszeitungen und Reklameproduzenten (die sich ja teilweise auch für „Kultur“ halten) künftig die Zahlung einer Million, ach was: Milliarde Euro monatlich auf mein Privatkonto zu fordern, weil sie jeden Tag ihre blödsinnigen Schlagzeilen und Kaufbefehle in den öffentlichen – also auch mir gehörigen - Raum hineinbrüllen und diesen damit ebenso parasitär nutzen wie der Mieter, der im Eigentum des Vermieters herumwest. Wie bitte, die wollen nicht zahlen? Ja so was! Auf die Forderung verzichten kann ich aber keinesfalls, schließlich bin ich nicht dafür da, die „Kultur“ der Massenmanipulation zu finanzieren!
Nun könnten kommunistische Störenfriede auf die Idee kommen, zu fragen, wieso überhaupt Mieten immer teurer werden dürfen (in München in den letzten zehn Jahren durchschnittlich um die Hälfte). Schließlich ist Wohnen ein Menschenrecht, Profit hingegen nicht. Da antworten die Eigentümer: Es werde ja auch immer aufwendiger, Räume bereitzustellen, in die man die Leute hineinpferchen und ihnen Mietzins absaugen kann: Müllabfuhr, Strom, Kaminkehrer, Straßenreinigung, Instandhaltung, Renovierung – alles wird unablässig teurer, und irgendwer muß doch dafür aufkommen!
Hm. Durch einen glücklichen Zufall bewohne ich eine Wohnung, die ich sozusagen an mich selbst vermiete und die schon ziemlich ewig lang dasselbe kostet, während sich der Mietzins anderer Wohnungen in der gleichen Zeit verdoppelt oder verdreifacht hat (seien wir ruhig offen: auf das Fünf- bis Zehnfache dessen, was meine kostet). Da fragt man sich, wie und wieso das geht. Ganz einfach: weil nichts teurer geworden ist, insgesamt. Mal kostet in der Jahresabrechnung ein Posten ein bisserl mehr, mal der andere – man will ja das Dach decken, die Fassade neu verputzen, Treppenhaus, Fenster, Hof und dies und das renovieren und verschönern, Wasserschäden beseitigen, neue Stromleitungen verlegen und so weiter und so fort. Aber in der Summe: alles gleich.
Und wenn man den vermietenden Eigentümern, die unverschämt freimütig von der staatlich und städtisch gewährten Erlaubnis zur Erhöhung der Mieten Gebrauch machen, solcherart ziemlich eindeutig beweist, daß durch Mieterhöhungen keineswegs gestiegene Kosten ausgeglichen, sondern lediglich ihr sinn- und leistungsloser Profit gesteigert wird, dann sagen sie das, was Profiteure in solchen Fällen immer als Totschlagargument vorbringen: Der Markt bestimme die Preise. Das heißt: Weil einer bereit ist, eine Wuchermiete zu bezahlen, dürfen, ja müssen alle anderen ebenfalls Wuchermieten verlangen. Das heißt: Wir pressen euch aus, weil wir es können, ho ho!
Da jedoch könnten wir ein paar Gegenfragen stellen: In welchem Gesetz steht denn das? Und wenn es in keinem Gesetz steht, wieso wird es dann geduldet? Und von wem? Und wer könnte es unterbinden? Und könnten wir das am Ende vielleicht sogar selber? Und wer hat überhaupt und aus welchem Grund und mit welchem Recht und Ziel bestimmt, daß Teile unseres gemeinsamen Planeten und die darauf stehenden Gebäude irgendwem gehören dürfen oder auch nur können?
Interessante Frage. Es wird bald Herbst, Freunde. Vielleicht finden wir ein paar Antworten.

Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.


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