Im modernen Wahnkarneval um IT-, Marketing- und andere
unwürdige Plemperljobs ist es wohl unvermeidlich, daß manch ehrenwerter Beruf
längst nicht mehr die Wertschätzung erfährt, die er verdient. Zum Beispiel der
Kümmelbauer: Tagein, tagaus bestellt er sein Kümmelfeld, erntet das edle
Würzkorn, trocknet und reinigt, sortiert und poliert es, läßt es vom Kümmellieferanten
in die große Stadt karren, auf daß der Bäcker etwas Gutes daraus mache.
Leider ist der Bäcker heute kein Bäcker mehr, sondern
Fließbandminijobber bei einem (wörtlich übersetzt) „Rückenladen“-Konzern, hat
möglicherweise sogar „Sporteventmarketing“, ähem, „studiert“, dann aber nichts
zu eventmarketen gefunden, weil der gesamte Sport in Europa und der Welt
bereits geradezu surrt und brummt vor Marketing und Events, und steht nun also
in einer Blechfabrik vor einem Sack Kümmel, mit dem er wenig anzufangen weiß. Man
erklärt ihm, es handle sich um Würze, also haut er es zusammen mit
achtzehntausend Kilo Salz auf seine Teiglinge drauf, verkauft die dann als
„Bierstangerl“ o. ä. und muß zum Glück nicht zuschauen, wie achtzehntausend
verärgerte Kunden im Biergarten herumsitzen und reiben und schaben wie die
Irren und das ganze Areal in einen Wüstensturm von Körnchen verwandeln, weil –
egal ob man Kümmel mag oder nicht – die auf einem „Bierstangerl“
festzementierte Dosis Salz annähernd tödlich und jedenfalls ungenießbar ist und
man das Schlaganfallgift aber nicht runterkriegt, ohne den Kümmel mit
abzuschaben.
Arme Seelen wie ich, die Brot ohne Kümmel (und Koriander)
nicht als Nahrungsmittel, sondern als kompostierbares und somit immerhin als
Dünger verwertbares Äquivalent zu Dämmschaum und Styropor betrachten, sitzen
derweil hungernd und hilflos betrunken herum, weil der Versuch, jedes einzelne
ekle Salzkorn zu entfernen, den Kümmel aber auf dem Teigling zu belassen, Stunden
dauert und man dabei mehr Kalorien verbraucht, als man sich mit dem
Weißmehlmüll jemals zuführen könnte, weshalb man drei Maß Bier hinunterstürzt,
um überhaupt weiter rupfen, zupfen, knispeln, reiben und irgendwann mit
geplatztem Kragen doch noch schaben und das endlich nackte Ding auf den Kompost
werfen zu können.
Und der Kümmelbauer? Der kümmelt fröhlich weiter, nicht
ahnend, was mit den edlen Früchten seiner naturverbundenen Schwerstarbeit am
anderen Ende der Verwertungskette geschieht. Ein Mindestmaß an Logik kriegt man
in diesen Circus des Irrsinns nur hinein, wenn man davon ausgeht, daß der
Kümmelbauer sein Feld mit übriggebliebenen Teiglingen düngt, allerdings wird
die Sache davon nur noch irrsinniger. Und zwar spätestens dann, wenn der
Weizenbauer ins Spiel kommt.
Aber wahrscheinlich wird der Zinnober mit den Berufen
sowieso überschätzt. Vielleicht wäre es vernünftiger, derartigen Kram generell
den Eventmarketerern zu überlassen, die dann ihre Kümmelfelder mit Salz düngen,
Brennesseln ernten und sich den Kümmel (den ihre Lieferanten vernünftigerweise direkt
in die Biergärten kippen) einfach ausdrucken.
Hier stutzt der trendvergessene Kulturpessimist: Kümmel
ausdrucken? Da war der Kulturpessimist wohl mal wieder zu trendvergessen und
hat nicht aufgepaßt, als der „Soziologe“, der „Ökonom“, der „Publizist“ und der
„Politikberater“ gesprochen haben, am besten noch der „Theoretiker der
Zugangsgesellschaft“ dazu, der all das in sich vereint. Der solche trägt den
Namen Jeremy Rifkin, hat „über zwanzig Bücher“ ver-, na ja, -faßt und ist vor
ein paar Jahren mit der geilen These durch die Fernsehsender gezogen, in Europa
werde die Kultur immer die Wirtschaft „überwiegen“ (oder so). Ho ho, haben wir
damals gedacht, wer hat dem denn ins Hirn gekümmelt!
Jahre und Bücher später tingelt Herr Rifkin wieder daher und
hat neue Ideen: „In ein paar Jahren wird jeder mit seiner eigenen Energie seine
eigenen 3-D-Drucker-Produkte herausbringen. Für die Energie haben wir einen
Plan entwickelt, der auf fünf Säulen beruht. Erstens braucht man
Einspeisetarife für erneuerbare Energien, das habt ihr in Deutschland gut
gemacht. Dann wandelt man seine Häuser mit kleinen erneuerbaren Energien in
Minikraftwerke um. Wir machen das übrigens überall auf der Welt und schreiben
nicht nur Bücher darüber.“
Wow, denken wir, offenbar besteht Herr Rifkin oberhalb der
Halskrause mittlerweile nur noch aus Salz, Kümmel und Weizenmehl – ist ja auch
genug davon da. Aber da hören wir ihm lieber noch ein paar Sätze weiter zu: „Kürzlich
ist in Chicago das erste Auto ausgedruckt worden, nur mechanische Komponenten
wie Motor oder (sic!) Batterie mußten nachträglich eingebaut werden.“ Nur! Und
ob das jetzt ein Motor oder eine Batterie ist, was man da „nachträglich“ (wir
vermuten: nach der etwas enttäuschenden Probefahrt) einbaut, ist eigentlich
wurst, weil: „In China haben sie neulich zehn Häuser in vierundzwanzig Stunden
ausgedruckt.“
Und spätestens da schweigen wir dann insgesamt, drucken uns
noch ein Bier aus und notfalls die Kneipe und den Tresen dazu und finden es
höchstens als komplett vernagelte und eingenähte Kulturpessimisten ein bißchen
fragwürdig, was da als neue Welt auf uns zukommt. Weil der ganze Irrsinn ja
auch einen großen Vorteil hat: einen Kümmelbauern kann man sich ausdrucken,
notfalls zehn chinesische in vierundzwanzig Stunden, notnotfalls eine ganze
Arbeiterklasse können wir uns ausdrucken!
Hingegen ein Eventmarketing, welches auch immer: Wie druckt
man das aus? Wahrscheinlich aus purem Salz.
Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN. Die Folgen 1 bis 400 sind in vier Bänden als Buch erhältlich.
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