Für die Generationen, denen ich angehöre, war Neil Diamond
schon ein Witz, als wir noch gar nicht richtig wußten, wie man lacht. Ich
meine: Wer irgendwann mal, warum auch immer, versehentlich „Song Sung Blue“
hört, dem haut es automatisch den Vögel aus dem Häuschen (insbesondere in der
unfaßbar anti-selbstironischen und dabei vollkommen souveränen Version auf dem
Livealbum „Hot August Night“). „Everybody knows one / Every garden grows one“ –
ho! ho!
Neil Diamond war die perfekte Musik für Pseudoerwachsene,
die nicht viel mehr vorweisen konnten, um diesen Zustand zu rechtfertigen, als
Auto- und Hausschlüssel (für eine Bude, die samt Garage identisch aussah wie
35.000 andere Buden in den umliegenden Suburbs), einer treu grinsende Frau (die
fünf Jahre später, ab etwa 1977, ihrem Psychiater vorjammern würde, sie sei in
das alles hineingeschlittert), einem Job (Auto oder Atom) und der rechtlichen
Verfügungsgewalt über die Kinder (die ab sechs bei ihrem eigenen Psychiater
saßen, wegen aller möglichen „Entwicklungsstörungen“, und mit sechzehn Dad den Finger
zeigten und zu Hippiefestivals trampten, wo sie drei Tage lang im Schlamm
ertranken und hinter irgendeinem Caravan selber Kinder zeugten, die sich fünfzehn
Jahre später mittels Fastfood und Vitamintabletten in ungeschickt nachgebildete
Kopien ihrer Autos verwandelten).
Neil Diamond ist der dritterfolgreichste
Erwachsenenpopmusiker aller Zeiten, und das liegt an der Perfektion, mit der er
stets das (etwas) Falsche machte. Daß die Monkees mit seinem „I’m A Believer“
ihren und einen der größten Hits überhaupt landeten, lag wiederum an dem
haarsträubenden Kontrast zwischen der naiv-irren Versponnenheit und
witzsprühenden Renitenz der Darsteller und der gipsernen Hartfressigkeit des
Liedes, das sich nur in ihrer Version selbst entlarven und ernstnehmen zugleich
konnte.
Neil Diamond war immer, immer einer, der darzustellen
versuchte, was er nicht war: Everly Brother (ganz zu Beginn seiner Karriere),
Countrysänger, Zweitliga-Billy-Joel, Rocker, Jazzer, Jugendidol, Popstar,
Crooner, reifer Liedermacher, nachdenklicher „Great Old Man“. Bezeichnend, daß
er wirklich Neil Diamond heißt, sich aber anläßlich seines zweiten
Plattenvertrags einen Künstlernamen zulegen wollte: Noah Kaminsky oder Elce
Charry. Vielleicht typisch für ihn insgesamt ist das Album „Brother Love’s
Traveling Salvation Show“ von 1969, auf dem er sogar so etwas wie einen Hippie
zu verkörpern versuchte, sämtliche gängigen Popgenres der Zeit unfreiwillig
parodierte und zugleich Botschaften von einer derartig
reaktionär-selbstzufriedenen, höchstens mal weinerlichen Biederkeit
verbreitete, daß sich sein Publikum (s. o.) nach dem Ausschlußverfahren von
selbst bildete. Die Erzähler dieser Songs hegen vieles, aber nie und nimmer
Selbstzweifel, und daher ist die „Liebe“, von der sie oft schwärmen, nichts
anderes als Erdnußbutter und der Gott, den sie noch häufiger loben, eine Art
Ronald McDonald mit Donnerkeil.
Es mag einen zum Haareraufen bringen, daß der Sohn einer
jüdischen Familie mit polnischen und russischen Vorfahren aus den vielen
krassen Dingen, die ihm in 73 Jahren Leben widerfahren sind, nie mehr gemacht
hat als höchstens einmal pseudonachdenkliche Couplets – unbestreitbar ist
abseits der Textfrage sein Spürsinn für uramerikanisches Liedgut, für
Zewa-wisch-und-weg-Lieder und Hot-Dog-Songs, die man beim Einkaufen hört und
nie wieder vergißt, obwohl man sie gar nicht bemerkt. „Girl, You’ll Be A Woman
Soon“, „A Little Bit Me, A Little Bit You“, „Red Red Wine“, „Kentucky Woman“, „You
Don’t Bring Me Flowers“, „Solitary Man“ … Man könnte eine Riesenliste
zusammenstellen, von der mindestens die Hälfte selbst bei Semifachleuten zu dem
Ausruf „Was, das ist auch von dem?!“ führte.
Und dann kommt irgendwann die Nostalgie, die die schlimmsten
Schlimmheiten zu pflegenswertem Kulturgut macht (vgl. z. B. Elton John). Daß Rick Rubin mit seinem Versuch, den späten Neil Diamond zu einer
Johnny-Cash-ähnlichen (oder -antipodischen) „Lonesomer“-Gestalt auszubauen, scheitern
mußte, versteht sich von selbst; überraschend hingegen ist die Wohligkeit des
Fracksausens, das Angehörige meiner Generationen überkommt, wenn sie all diese (insgesamt
23) Sachen (wieder-)hören: Doch, das hat was, sogar eine Art klassischer Schönheit,
und selbst wenn’s nur die Bilder einer versunkenen Welt sind, die diese Songs
heraufbeschwören.
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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