Dem Autor dieser Zeilen ist eine gewisse Monomanie zu eigen,
die gelegentliches Einschreiten erforderlich macht. Zum Beispiel wenn ein neues
Album von einer seiner bevorzugten Brachial-Radau-Romantik-Proleten-Combos
erscheint (in diesem Falle: die zweifellos großartige, aber nicht jedermann und
Mami und Papi zumutbare Band Howler): dann bringt er es fertig, Wochen und
Monate, ja einen ganzen Sommer lang nichts anderes mehr zu hören und aufzulegen,
und zwar in einer derart dringlichen Vehemenz und missionarischen Lautstärke,
dass irgendwann die Nachbarn das Überfallkommando alarmieren und er selbst mit
flatternden Augenlidern und zerfransten Ohren nicht mehr weiß, wer und wo er
ist und warum.
Dann kühlt er sich ein bisschen runter, und schon geht’s
wieder weiter. Und dann muß man einschreiten, weil solcherart Kulturgenuss der
ledernsten Seele und ihrem sozialen Umfeld nicht zuträglich ist. Man könnte ihm
erklären, dass es auch noch andere Musik gibt, zum Beispiel einen britischen
Singer/Songwriter, der mit vierzehn sein erstes Album aufnahm und jetzt, mit
dreiundzwanzig und seinem neuen Album dreiundzwanzig Millionen Herzen von
Vierzehnjährigen brechen wird. Man könnte hinzufügen, dass der Bursche in der
Castingshow „The Voice Of Germany“ aufgetreten ist, daraufhin einen Top-ten-Hit
hatte, bei der Schlussfeier der Olympischen Spiele 2012 mit Leuten von Pink
Floyd und Genesis „Wish You Were Here“ gespielt hat, Stevie Wonder sehr mag und
ein Lied über ein Legohaus und ein anderes für einen Hobbit-Film geschrieben
hat. Dann wird der Autor dieser Zeilen ein Gesicht machen wie ein Garagentor
bei einem Hagelsturm und ein Mantra anstimmen, um das Erscheinen der neuen
Platten von Morrissey und den Manic Street Preachers zu beschleunigen.
Man könnte ihm aber auch erzählen, dass der junge Mann gar
nicht so blöd ist, schon als Kind Van Morrison und alte Stax-Platten (und zwar
die richtigen) geliebt hat, zwar noch im schlimmsten Liebeskummer enorm
freundlich klingt, aber gelegentlich zwei Satteltaschen voller Soul an seine
Stimmbänder schnallt, dass er vorzüglich, wenn auch nicht so dreckig wie einst
Jamie T., zur Akustikgitarre rappen kann, von Sex, Suff und Drogen singt, ohne
dass Mami und Papi das überhaupt mitkriegen, dass er ab und an regelrecht
zornig werden kann, erstaunlich witzige Texte schreibt und seine
Stevie-Wonder-Obsession dankenswerterweise weitgehend auf die Phase beschränkt,
als der noch gut und fast cool war.
Dann klappt der Autor dieser Zeilen (er ist ja ein höflicher
Mensch) das Garagentor vielleicht wieder zu und erklärt sich bereit, mal
reinzuhören in den vermeintlichen Mainstream-Weichspülkram, um sich (er ist ja
ein kritischer Geist) in knappen Worten zu äußern, die die Zielgruppe an der
Supermarkt- und Tankstellenkasse sowieso nicht kratzen. Geben wir ihm ein paar
Minuten (zwinker).
Es könnte nämlich durchaus sein, dass er hängenbleibt, nach
dem schmusig-nüchtern-melancholischen „One“ hineinrutscht in „I’m A Mess“ und
das unergründlich interessant und spannend findet, wie sich da und hernach zusehends
die Grenzen auflösen zwischen richtig coolen Rap-Couplets, sommerlich
dahinschwebenden Rhythmen, Teenie-WG-Problematiken und Sehnsuchtssingen,
zwischen Autoradio, Club und Eisdiele, zwischen merkwürdig angenehmem Kommerzgesums,
entwaffnend kitschfreien Lebensweisheiten zu ewig brennenden Themen wie Weinen
(„Even My Dad Does Sometimes“), Liebeskummer, sehnsüchtigen Erinnerungen sowie
Urlaub am Mittelmeer und Seitensprüngen auf abseitige Felder, auf die sich die
Backstreet Boys bei aller Reife in zehn Jahren noch nicht wagen werden.
Dann wird er sich vielleicht ein bisschen schämen, und
sicherlich fällt ihm dies und das Abfällige ein, mehr generell und allgemein
kulturkritisch, aber das haben wir ja geahnt, und warten wir’s erst mal ab. Ich
glaube nämlich, er lächelt schon ganz freundlich, der Autor dieser Zeilen …
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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