Ich hege keine spezielle Sympathie für Menschen, die
irgendeine Religion zum Prinzip ihrer Lebensgestaltung machen, weil dabei im
besten Falle eine zwanghafte Selbstkasteiung samt neurotischem Triebstau und
missionarischen Bekehrungspredigten sowie im schlimmsten Fall ein Kreuzzug mit
Millionen Toten herauskommt. Abgesehen davon kann man mir erzählen, was man
will – ich glaube den Schmarrn einfach nicht, und wenn ihn jemand anderer gerne
glauben mag, dann soll er das in seinem Privatbereich nach Herzenslust tun,
aber nicht von mir verlangen, daß ich irgendwas davon mehr als respektiere.
Andererseits haben diese Leute manchmal schon recht lustige
Ideen. Zum Beispiel die „fünf Männekes“ (Selbstbeschreibung), die neulich in
orangeroten Jäckchen mit der Aufschrift „Shariah Police“ durch Wuppertal
spazierten und vor Diskotheken und Spielhallen Jugendliche, die ihnen dem
optischen Eindruck nach „muslimisch“ erschienen (ein hübsches Thema für eine
Rassismusdiskussion, aber dieses Faß bleibt heute mal geschlossen), dazu
ermahnten, sich gefälligst eine gottgefällige Lebensweise zuzulegen, anstatt
sich Trunk-, Spiel- und sonstigen westlich-degenerierten Süchten hinzugeben.
Da sollte man eigentlich tosenden Applaus erwarten,
insbesondere aus dem Lager der sogenannt christlichen Moralapostel, die
ansonsten kaum je müde werden, derlei Ausschweifungen als Grund und Wurzel
allen Übels anzuprangern. Aber nein, in diesem Fall handelte es sich nun mal um
„Salafisten“, also Angehörige einer Art islamischer CSU, deren Bestreben
wahlweise Weltherrschaft oder Weltuntergang sein soll und deren Wuppertaler
Wortführer früher mal Feuerwehrmann war, bis sein gottgefällig wuchernder
Kinnbart nicht mehr in eine Atemmaske hineinpaßte.
Und deshalb sind Deutschlands Ordnungsfanatiker von dem
harmlosen Jux der „Shariah Police“ nicht etwa milde amüsiert angetan, sondern
stürzten sich umgehend in einen medialen Amoklauf. „Vergleichbare Vorfälle hat
es bisher nicht gegeben“, tönte ein Polizist, der offenbar noch nie von den
diversen „Bürgerwehren“, Nazibanden und Privatarmeen gehört hat, die nachts im
fernen deutschen Osten gerne mal um einiges gründlicher aufräumen und es nicht
immer beim bloßen „Klatschen“ fremdartig scheinender Nichtarier belassen.
Die echten Polizisten, die die „Shariah Police“ bei ihrem
schändlichen Tun ertappten, erstatteten Anzeige wegen Verstoß gegen das
Versammlungsgesetz (welches das kollektive Tragen „uniformähnlicher Kleidung“
untersagt, was für Oktoberfestbesucher auch eine recht interessante Information
sein könnte). Der Bundesjustizminister tobte, es handle sich um einen „Anschlag
auf unser freies Lebensmodell“, und „eine illegale Paralleljustiz werden wir nicht
dulden“, was in mir den vagen Wunsch weckte, dieses „freie Lebensmodell“ mal
ein bißchen eingehender zu diskutieren und dabei vielleicht auch zu erfahren,
welche Urteile die „Paralleljustiz“ der fünf Männekes gefällt hat.
Volker Kauder wiederum forderte umgehend ein Verbot der
„vermeintlichen Tugendwächter“ (sagte allerdings nicht dazu, wie das gehen
soll). Und der Innenminister war ebenfalls früh genug wach, um in die
„Bildzeitung“ hineinzuröhren: „Niemand darf sich anmaßen, den guten Namen der
deutschen Polizei zu mißbrauchen!“ Daß die deutsche Polizei neuerdings den
guten Namen „Police“ trägt, war mir bislang nicht bekannt. Aber immerhin
verstehen wir nun möglicherweise, weshalb die „Paralleljustiz“ der Nazimörder
Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe so lange unbehelligt „Lebensmodelle“ vernichten
durfte: weil sie schlau genug waren, sich nicht „Nationalsozialistische
Untergrund-Police“ zu nennen.
Und dann kam noch der NRW-Innenminister daher, ließ die
orangeroten Westen „sicherstellen“, um die ungeheure Bedrohung zu bannen, die
von derlei Textilien ausgeht, und dazu verlauten, es sei „eine Gefahr für die
öffentliche Sicherheit, wenn sich jemand Polizeihoheiten anmaßt“. Wachdienste
wie die notorischen „Schwarzen Sheriffs“ oder der „Ordnungsdienst“ in Fußballstadien,
den der Herr Minister so gerne lobt, dürften so etwas nicht unbedingt mit
Freuden hören.
Es ist aber auch ein simples Mißverständnis: Es ist nicht und
war noch nie Aufgabe (und schon gar nicht „Hoheit“) der Polizei, Menschen auf
den rechten Weg zu führen und irgendwelche sündigen Umtriebe zu verhindern. Sie
ist noch nicht mal dazu da, (zum Beispiel) einem Betrunkenen davon abzuhalten,
mit dem Radl heimzufahren. Sondern sie muß den Betrunkenen dabei erwischen, in
eine Klinik verschaffen, ihm Blut abzapfen lassen und damit den Verstoß gegen
die Straßenverkehrsordnung beweisen. Ginge es um „Sicherheit und Ordnung“, wäre
es der Polizei nicht nur erlaubt, sondern sie wäre sogar verpflichtet, den
offensichtlich sich selbst und andere gefährdenden Betrunkenen danach wieder
heimzufahren.
Das darf sie aber nicht. Weil das Zeit kostet, in der sich
neue Ordnungswidrigkeiten ahnden und Einnahmen generieren lassen, mit denen der
Staat Schulen, Museen und Straßen bauen lassen und Polizisten bezahlen kann,
ohne dafür die Millionäre zur Steuerkasse bitten zu müssen. Und deshalb ist die
salafistische „Shariah Police“ tatsächlich eine „Gefahr für die öffentliche
Sicherheit“, und zwar eine größere als Nazibanden und Bürgerwehren: weil ihr
Wirken eventuell das Aufkommen an Geldstrafen verringern könnte. Weil, anders
gesagt, sich strafbar macht, wer Ordnungswidrigkeiten verhindert.
Ja, die Welt ist manchmal wirr. Daß erst ein paar
salafistische Männekes daherkommen müssen, um ein paar simple Zusammenhänge zu
verdeutlichen, ist Teil dieser Wirrnis. Und drum manchmal schon ganz hilfreich.
Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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