Popmusikmänner haben, falls sie nicht früh genug sterben, um
zu „Ikonen“ zu werden, zwei Möglichkeiten, ihr späteres Berufsleben
zuzubringen: Entweder sie erreichen rechtzeitig den „Olymp“ und können sich die
folgenden Jahrzehnte darauf beschränken, ab und zu mal ein Konzert anzukündigen
und abzuspulen oder (vgl. Prince) bei Unlust auch nicht; die zahlenden Massen
interessiert das ebenso wenig wie die Schreiber, die bei jedem solchen
„Lebenszeichen“ die alte Bullshitkiste unter dem Tisch hervorziehen und die
Ikonizität der Ikone ikonisieren. Oder, falls sie zu Zeiten ihrer Blüte nicht
über die zweite Liga hinausgekommen sind: Sie touren unablässig, machen ab und
zu sogar neue Platten und lassen sich dafür nichts anderes mehr ins Stammbuch
schreiben als daß sie „noch nicht zum alten Eisen zählen“ und „kein bißchen
weise“ seien, das aber ständig und in jeder kleinen Ankündigung (größere, gar
eine echte Berichterstattung gibt es sowieso nicht mehr).
Bei Frauen ist das etwas anders, zumindest in modernen
Zeiten, wo alternde Diven nur Diven bleiben dürfen, wenn sie nicht altern,
sondern sich in Madonnamanier langsam, aber sicher in eine Art Muskelzwieback
verwandeln, von dem man nicht sagen könnte, ob sein Haltbarkeitsdatum seit fünf
oder vierzig Jahren abgelaufen ist. Ein normaler Mensch darf eine Popmusikfrau
nicht sein, schon gar nicht wenn sie irgendwann mal eine Ikone war.
Eine solche war Chrissie Hynde ohne Zweifel, und – wir
wollen nichts beschönigen – daran hat sie sauber hart gearbeitet: erst als
eigentlich schon etwas betagte (also: volljährige) Mittelfeldspielerin der
Londoner Punkszene, wohin sie 1973 aus Cleveland emigriert war und wo sie in
Malcolm McLarens „Sex“-Laden aushalf, Johnny Rotten und Sid Vicious heiraten
wollte und bei der chaotischen Sammelbewegung namens London SS mitwirkte, aus
der The Damned, The Clash und Johnny Moped hervorgingen. Als daraus für sie so
recht nichts werden mochte und die Punk-Titanic 1977 am Eisberg Kommerz
kenterte, wechselte sie aufs Oberdeck, schnappte sich mit Ray Davies (The
Kinks) einen echten Rockstar, mit dem sie fortan Bett und Proberaum teilte, aus
ein paar Halbwelthalunken mit Profierfahrung ihre eigene Band zusammenstellte –
und plötzlich schallte die coolste Frauenstimme aller Zeiten diesseits von
Patti Smith und Debbie Harry aus allen Radios der Welt: Die ersten drei Singles
– „Stop Your Sobbing“ (eine Kinks-Nummer), „Brass In Pocket“ und „Talk Of The
Town“ wurden Hits (und Teil jenes Millepromilles aller Popaufnahmen, die
tatsächlich zeitlos blieben).
Das war ein Seiltanz, der nicht lange gut ging: Die Hälfte
der Band haute sich mit Drogen kaputt und starb, es folgten Hits und Flops,
dauernde Umbesetzungen, läßliche bis peinliche Duette und dies und das, und ein
großer Teil der Welt hätte Chrissie Hynde in den 80ern, 90ern, Nuller- und
Zehnerjahren bereitwillig vergessen, wenn sie nicht immer mal wieder irgendwo
plötzlich aufgetaucht wäre (und sei es nur auf einer Vegetarierdemo) und vor
allem eines geschafft hätte, was ansonsten nur unverwüstliche Brathendl wie
Ronnie Wood hinkriegen: Sie alterte in Würde und ewigjugendlicher Frische
zugleich und sah einfach immer gleich aus, bis heute. 2013 wählte sie der
Guardian unter die 50 bestgekleideten Frauen über 50 (sie trägt meist Jeans und
T-Shirt).
Daß sie die ganze Zeit über (35 Jahre, fucking hell!) immer
zumindest angeblich nicht mehr als Teil einer Rockband war, trug dazu bei: Es
ist dieses Gang-Ding, das den Rock ’n’ Roll so faszinierend macht (eine
Weisheit, die z. B. Mick Jagger in den 80ern fahrlässig über Bord warf); die
verschworene Bande von Outlaws ohne Allüren, in die sich jeder Mensch Ende 30
(oder spätestens beim ersten Klassentreffen) zurücksehnt. Und jetzt also
„startet“ Chrissie Hynde mit fast 63 eine „Solokarriere“, und was soll man
davon halten?
Viel, sehr viel sogar: Die Platte klingt mehr nach den
echten, alten Pretenders von 1979, nach ihrer Frische, Unbekümmertheit, ihrem
seiltänzerischen Groove, ihrer Coolness als fast alles, was seither unter
diesem Namen erschienen ist. Und damit ist sie – auch sie – zeitlos: Wer „Dark
Sunglasses“ hören kann, ohne es die nächsten zwei Stunden vor sich
hinzupfeifen, dem fehlt was. Und wären „House Of Cards“, „Sweet Nuthin’“,
„Adding The Blue“, „You Or No One“ damals erschienen, wären sie die nächsten
Hit gewesen und durch alle Sommerstraßen aller Städte der westlichen Welt
geschallt.
„Ich war nie Solokünstlerin und wollte nie Solokünstlerin
sein. Ich spiele gerne in einer Band. Aber was ist schon ein Name?
Interessanterweise gibt es auf diesem Album mehr Zusammenarbeit als auf den
letzten Pretenders-Sachen – viel mehr“, sagt Frau Hynde.
Vielleicht wär’s Zeit, mal wieder eine Band zu gründen, nach
35 Jahren?
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen