Eine
Seifenblase ist etwas sehr Schönes. Sie schimmert und leuchtet in schwimmenden,
zerfließenden, silbrigen Farben, und je genauer man hinsieht, desto mehr
glitzernde, bunte Details entdeckt man. Wenn die Sonne sich darin spiegelt,
strahlt die Blase in zeitvergessenem Glanz, und der ganze Himmel leuchtet aus
ihrer unendlichen Rundung. Der ganze Himmel. Vor beinahe zwanzig Jahren waren
Oasis zwei Jahre lang eine Seifenblase; schon ihr Name ließ daran denken, zumal
in einer Zeit, als Rockbands mit Vorliebe Gruntruck, Brainslaughter oder
Scattergun hießen.
Ihre
Singles hielten die Uhr der Welt an – time of our lives –; zwei Jahre lang
waren Oasis mit einiger Sicherheit die größte Band des Universums. Dann, mit
dem dritten Album, platzte die Blase. Übrig blieb ein kleiner Fleck
Feuchtigkeit, weniger als von einer Träne bliebe. So geht das aber immer mit
dem Rausch, den man nur wirklich genießen kann, wenn man nicht an die Folgen denkt
und daran, dass er vorbeigehen wird.
Und
daran dachte kein Mensch, als im April 1994 die erste Oasis-Single erschien.
Sie hieß „Supersonic“ („mit Überschallgeschwindigkeit“), und der Titel war
Programm. Dabei waren diese fünf Durchschnittstypen die denkbar
unwahrscheinlichsten Popstars: Sie sahen aus wie ganz normale Heinis, die sich
im Glasscherbenviertel am Zigarettenautomaten treffen, um ihre Mofas aufheulen
zu lassen und sich gegenseitig zu erzählen, was sie alles machen täten, wenn. Ende
der 80er als The Rain gegründet, rumpelten sie einige Zeit im Proberaum herum,
ersetzten ihren aussichtslosen Sänger durch den großmäuligen Rabauken Liam
Gallagher, benannten sich nach einer Konzerthalle in Swindon und holten
schließlich, als gar nichts vorwärtsgehen wollte, Liams Bruder Noel dazu, der
mit dem Anspruch kam, sie zu den neuen Beatles oder vielmehr den neuen Slade zu
machen.
Dazu
zimmerte er klassische Hitvorlagen zu vage vertrauten und doch irgendwie neuen
Lärmbrettern zusammen, bedeckt mit einem Teppich von Dröhngitarren und
überschallt von Liams unwiderstehlich desinteressierter Plärrstimme, einer
Mischung aus Johnny Rotten und John Lennon, in die eine ganze Generation von
biertrinkenden Sitzenbleibern, die sich für Fußball, Weiber und Prügeleien interessierten
und keine Lust mehr hatten, sich von intellektuellen Pfeifenköpfen verarschen
zu lassen, ihre sämtlichen Sehnsüchte projizieren konnte.
Dann
war es, als hätte sich ein Vakuum geöffnet: Auf „Supersonic“ folgte
„Shakermaker“ (so geschert geklaut, dass es auffiel und Noel 500.000 Dollar an
die New Seekers überweisen musste), derselbe Krach in grün, und mit „Live
Forever“ der erste Top-ten-Hit und die erste echte Hymne, bei der man am
Horizont schon die Stadien sah. „Cigarettes And Alcohol“, „Whatever“ (für das
diesmal sinnigerweise Neil Innes von der Beatles-Parodiegruppe The Rutles einen
Haufen Geld und einen Autorencredit einklagte) … es wurde immer besser, größer,
unverschämter. Oasis pfiffen auf alles, was an Anstandsregeln und sonstigem
Kram im Weg stand, und sie hatten das Glück des Bankräubers, der nicht weiß,
dass er seine Pistole vergessen hat, und deswegen so überzeugend wirkt, dass
man ihm trotzdem den gesamten Geldbestand aushändigt und vor lauter Verblüffung
nicht mal die Polizei holt.
Schon
die Covers ihrer ersten Platten waren zufällige Meisterwerke: scheinbar
rätselhafte, hyperrealistische Stillleben, in die jeder alles hineindeuten
konnte, was er wollte, und in denen doch auch irgendwie die ganze Geschichte
der Rockmusik enthalten und zugleich ausgelöscht war. Es mochte scheinen, als
wären Oasis nicht nur die größte, sondern auch die erste, die einzige Rockband
der Welt.
Die
echten (musikalischen) Geniestreiche („Some Might Say“, „Wonderwall“, „Don’t
Look Back In Anger“ usw.) folgten im Jahr darauf. Da war „Definitely Maybe“
längst ein Klassiker, das am schnellsten verkaufte Debütalbum aller Zeiten und
die Nummer eins des größten Sommers, den britische „lads“ je erlebt hatten. Die
Stadien tobten, die Zeit flog dahin, und zugleich schien sie stehenzubleiben,
und die Seifenblase wuchs auf Globusgröße, was, wie jeder im Grunde weiß, nicht
gutgehen kann. Aber wen kümmert das in einem solchen Moment, wenn der Himmel
leuchtet, die Gitarren dröhnen und der Rausch reinhaut, als wäre man tatsächlich
unsterblich?
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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