Daß Männer nicht multitaskingfähig sind, ist eine
Binsenweisheit, für die ich jederzeit als Lehrmodell herhalten kann. Zum
Beispiel stehe ich bis zu zehnmal täglich vor einem Gegenstand, ohne zu wissen
weshalb und was der Gegenstand nun mit mir anfangen sollte oder umgekehrt oder
beides. Dann ruft jemand an und erklärt mir in rauschendem Knisteramerikanisch,
daß mit meinem „Microsoft“ was nicht stimmt, und nachdem ich ihn kurz
beschimpft und aufgelegt habe, halte ich einen Zettel in der Hand, der leer ist,
auf den ich aber vielleicht was schreiben wollte, wovon ich nicht mehr weiß,
was es war.
Daß die Wohnungstür angelehnt ist, merke ich erst, als sich
der Paketbote draußen räuspert. Ich trage die Sendung, die für irgendeinen
möglicherweise längst verzogenen oder verstorbenen Nachbarn bestimmt ist, in
das Zimmer, das vollgestellt ist mit Sendungen für möglicherweise längst
verzogene oder verstorbene Nachbarn, und stelle fest, daß es dort Pflanzen
gibt, die ich seit Wochen nicht gegossen habe, weil ich das Zimmer selten
betrete, höchstens um Pakete für Nachbarn hineinzustellen. Jemand geht an mir
vorbei, sagt „Wenn du eh nicht mehr kommst, gehe ich“; der Geruch von verbranntem
Gummi aus der Küche teilt mit, daß der Kaffee vor einer halben Stunde fertig
gewesen wäre; und daß ich beim Einkaufen nicht bezahlen kann, stößt bei der
Kassiererin auf großes Verständnis: Schließlich haben Schlafanzughosen keine
Taschen, in die man Geldbeutel stecken könnte.
Und das alles nur weil gleichzeitig der Kopf rotiert und aus
dem Angebot an Welt, das auf mich einströmt, was zu machen sucht, womit sich
eine Kolumne füllen läßt, die zu lesen nicht nur Sinn, sondern am besten auch
Freude erzeugt. Oder anders herum, weil Sinn vielleicht sowieso nicht
hineinzuklopfen ist in eine Welt, die unablässig auf der Suche ist: Erst pflügt
sie zwei Monate lang die Ozeane durch, um ein Flugzeug zu finden, von dem sich
am Ende erweist, daß es weg ist; dann plappert sie zwei Wochen lang von
entführten „OSZE-Beobachtern“, die keine OSZE-Beobachter sind und nie waren und
ebenfalls weg waren und jetzt wieder da sind und von denen niemand weiß, was
sie sind und sollten, nicht mal die Truppentante von der Leyen, die dennoch
„betont“, daß sie sie jederzeit wieder losschicken täte, egal ob sie sie beim
ersten Mal losgeschickt hat oder nicht oder jemand anderer.
Weil solches Kuddelmuddel nur dazu führt, daß man sozusagen
im Vorbeigehen die halbe Wohnung verwüstet, ohne es zu wollen, während man zu
begreifen versucht, wie und warum eine Handvoll Leute sich anschicken, halb
Europa zu verwüsten, (vielleicht) ohne es zu wollen, bin ich dazu übergegangen,
nur den Teil der medialen Weltmitteilungen zu registrieren, der damit rein gar
nichts zu tun hat.
Ist aber nicht leicht. Zum Beispiel wird aus dem Magdeburger
Stadtteil Buckau gemeldet, ein 79jähriger Herr mit Rollator habe plötzlich
nicht mehr gewußt, wo er ist und wie man von da am besten heimkommt. Drum habe
er sein Radgestell „kurzerhand“ (Vorsicht, nicht zu lange über solche Wörter
nachdenken, sonst geht das „Microsoft“ kaputt und der Kaffeebote trinkt den
Kaffee!) auf die Bahnschienen gestellt und sei als lebender Regionalzug in
Richtung Hauptbahnhof losgezockelt, was nicht nur sämtlichen
Sicherheitsvorschriften widerspricht, sondern auch grundlegenden Regeln des
öffentlichen Nahverkehrs – weil er sich standhaft weigerte, weitere Passagiere
aufzunehmen.
Kurz vor dem Hasselbachplatz wurde die menschliche Draisine
von der Polizei „aufgegriffen“ (noch so ein Wort), und damit wäre der Fall
weitgehend erledigt, wenn nicht aus dem hinteren Teil des verschwurbelten Hirns
die Erkenntnis herausquölle, Hasselbach sei der Name eines notorischen Münchner
Naziumtreibers, womit die ganze Geschichte plötzlich in einem anderen Licht
schimmert und man eine verwinkelte Verschwörungstheorie zusammenzimmert, in der
es von Nazis nur so wimmelt und die aber selbst dem Paketboten, der sich immer
alles geduldig anhört, weil er außer „Nämä Pakätt fur (unverständliches
Rudiment des Namens eines möglicherweise längst verzogenen oder verstorbenen
Nachbarn)“ nur ukrainisch spricht, lediglich ein kurzes Kopfkratzen und eine
Wiederholung der Botschaft „Nämä Pakätt fur …“ entlockt.
Vielleicht läßt sich daraus was lernen: Vielleicht bedeutet
überhaupt nichts irgend etwas außer sich selbst. Wenn irgendwo jemand einen
Stein wirft oder eine Fahne spazierenträgt, auf der „Nein!“ steht, dann
entsteht dadurch weder eine Tendenz noch eine Bewegung noch sonstwas, sondern
dann wirft jemand einen Stein bzw. trägt ein „Nein!“ spazieren, und das war’s. Irgendein
anderer, der zufällig zuschaut und der zu diesem Zweck kein „Dritter“ und auch
kein „OSZE-Beobachter“ sein muß, könnte dann sagen: „Aha! Der trägt ein ‚Nein!‘
spazieren!“, und das wär’s gewesen. Er darf nur ja nicht anfangen, in das
„Nein!“-Spazierentragen eine Bedeutung hineinzuhubern, weil er sich sonst über
kurz oder lang in einem multitaskerischen Wirrwarr wiederfindet und beim
Versuch, mit dem Rollator zum Mariahilfplatz zu gondeln, von der Trambahn
überfahren wird.
Ergibt das Sinn? Der knisternde kalifornische „Microsoft“-Mahner weiß es nicht, ich kann nicht mehr denken, und Pakete werden am Sonntag nicht geliefert. Vielleicht sollte ich trotzdem mal die Blumen gießen, und da ich nicht sicher bin, ob ich noch mal komme, darfst du inzwischen ruhig schon mal gehen.
Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
Ergibt das Sinn? Der knisternde kalifornische „Microsoft“-Mahner weiß es nicht, ich kann nicht mehr denken, und Pakete werden am Sonntag nicht geliefert. Vielleicht sollte ich trotzdem mal die Blumen gießen, und da ich nicht sicher bin, ob ich noch mal komme, darfst du inzwischen ruhig schon mal gehen.
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