Aufgrund von Gründen beschäftige ich mich derzeit intensiv
mit Kosmologie. Beim gedanklichen Ergründen tieferer Strukturen des
eigenartigen Universums, das uns umgibt und dessen Gegenwart möglicherweise
zugleich ewige Vergangenheit und gegenwärtige Ewigkeit ist, klingen hin und
wieder am entferntesten, der Vernunft in Richtung Wüste entfallenden Rand des
Bewußtseins Musikfetzen auf. Immer dann, wenn die Weltformel oder ihre Denkbarkeit
in den Sinn gerät, singt Ian McCullough mit der alles umflorenden Pelzstimme
eines gestürzten Gottes: „What are you going to do with your life?“
Das so betitelte, vor fünfzehn Jahren erschienene und damals
heftig umstrittene Album hat sich als eine Art kosmologische Konstante
erwiesen: Zu gewissen Zeiten bildet es mit „Us & Us Only“ von den
Charlatans ein Zweigestirn, das sozusagen doppelsolitär hineinstrahlt und
-leuchtet in den endlos dunklen Raum des Lebens, ihn füllt mit Sinn, Farbe,
Gefühl und der euphorischen Melancholie (eben) gegenwärtiger Ewigkeit. Nichts,
nicht einmal die schönsten Morrissey-Alben (also alle seit 1994), kommt ihm
gleich an Erhabenheit, und wem heute immer noch ein „Kitsch“-Vorwurf durch die
Lippen rutscht, der möge sich weiter ergötzen im Laufrad der Vergänglichkeiten.
Danach kam manches, aber „danach“ ist im Lichte der
Relativitäten ein unsicherer Begriff; niemand kann sagen, ob nicht alles schon
immer und für immer da und „schon“ und „für“ und „da“ sowieso Hilfsbegriffe
sind. Daß „Meteorites“ fünfzehn Jahre nach „What Are You Going To Do With Your
Life?“ erscheint, könnte also Illusion sein, ebenso wie das radioaktiv
zersetzte Aufscheinen der Melodie von „When It All Blows Over“ in „Grapes Upon
The Vine“ samt geisterhafter Wiederkehr der Streicher – ist vielleicht das
Jetzt der Keim des Früher und letztlich alles eins?
Der Titel „Meteorites“ beschreibt in diesem Sinne gut, was
hier passiert: Überreste von Supernovae, Planetenkollisionen und elliptischen
Annäherungen an schwarze Löcher treiben durch den Raum, durch dunkle Materie
und dunkle Kraft, getragen von Gravitationswellen, fangen Photonen auf,
glitzern und pulsieren, reflektieren und verglimmen. Und wenn all diese
kosmisch-kosmoiden Anspielungen sich als blühender Unsinn erweisen, bleibt doch
nüchtern festzustellen: Irdisch ist nichts an diesem Album, von mancher
Textzeile und ein paar „körperlichen“ (an Spät-80er-Rave erinnernden) Grooves
etwa in „Market Towns“ abgesehen. Gegenwärtig auch nicht, alles strebt,
schwebt, entgleitet in den weiten Himmel und ein fernes Jenseits, das
mißgünstige Kritiker als endlosen Hallraum empfinden könnten.
Bill Drummond, der Echo & The Bunnymen als Manager und
Mentor mitgegründet hat, schrieb 1997, knapp zwanzig Jahre nach dem
bescheidenen Urknall in einem Liverpooler Schlafzimmer oder Hinterhof oder
Bierstüberl, die unübersetzbaren Zeilen: „It’s as if The Bunnymen were going
for some ultimate but indefinable glory. A glory beyond all glories, where the
gates are flung open and all you can see is this golden light shining down on
you, bathing you, cleaning all the grime and shit from the dark corners of your
soul.“
Daran hat sich nichts geändert. Wie sollte es, wo doch die
Gegenwart des Universums, das uns umgibt, möglicherweise zugleich ewige Vergangenheit
und gegenwärtige Ewigkeit ist?
Drummond übrigens erklärte den Ursprung der Band und dessen
Lokalisierung einst in einem Interview mit einer interstellaren „ley line“ –
einer jener „Heiligen Linien“, die Megalithen, prähistorische Kultstätten, mystische
Wasseradern und frühheidnische Kirchen verbinden, nur in diesem Fall eben aus
den Tiefen des Weltraums gezogen und nur drei Punkte auf dem Planeten Terra
berührend: Island, Neuguinea und die Mathew Street in Liverpool. Die weitere
Geschichte, die mit Carl Gustav Jung, Pink Floyd, weißen Flecken auf der
Erdkarte, Etymologie und Jules Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ zu tun
hat, sparen wir uns hier aus Platzgründen. Und weil sie natürlich Unfug ist.
Natürlich. So wie alles Unfug ist in der Kosmologie. Und
jeder Unfug reine Wahrheit in einem Universum, in dem alles, was sein könnte,
ist. Und die tiefste Frage lautet immer noch: „What are you going to do with
your life?“
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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