Neulich haben wir beraten, wieso das neue Album von Jan
Delay so schlecht und das von Damon Albarn so gut ist. Die Begegnung war reiner
Zufall; ebenso gut hätte es Lily Allen und Matthias Reim treffen können (na
gut, den eher nicht, aber lediglich aus ideellen Gründen). Punkt eins, die Wahl
der Feinde: Delay promotet sein 80er-Rockgeschmonze mit einer
Heino-Nazi-Affäre, die bei aller Lächerlichkeit angesichts der unvermeidlichen
Doppelporträts und Montagen vor allem darauf verweist, wie ähnlich sich die beiden
sind. Albarn verlor, lang ist’s her, die „Schlacht“ um Platz eins gegen Oasis,
verwandelte die momentane Niederlage in eine Serie von Triumphen auf den
unerwartetsten Schauplätzen und hat seitdem schlichtweg keine Gegner mehr, weil
er sich ohne Besitzansprüche alles einverleibte, was hip und cool war, von
Afrofunk (mit Lilys Papa Tony Allen) über generationenumspannende Virtualität
(Gorillaz) bis zum Inbegriff des Rock ’n’ Roll (mit Paul Simonon von The
Clash). Halbgare Blur-Reunionen konnten ihm ebenso wenig anhaben wie
paparazziträchtige Sufftorkeleien am hellichten Tag.
Punkt zwei, der Kontext: Beide Künstler sind aus Szenen
erwachsene Identifikationsfiguren, im Laufe der Jahre irgendwie „klassisch“,
zumindest unverkennbar und konsensfähig geworden. Delay aber reagiert darauf
mit ziemlich hilflosen Griffen ins „amtliche“ Deutschpoprepertoire zwischen
Grönemeyer und Scorpions, läßt beim Zitieren alles aus, was kantig, cool oder
wenigstens „kultig“ sein könnte, verzichtet auf Ironie und endet in einem Berg
von käsigem Zeug, das nicht mal Autofahrer wachhält. Albarn hingegen hat zwölf
Songs geschrieben, denen man anhört, daß sie möglicherweise spätnachts bei
Kerzenschein auf einer Akustikgitarre entstanden sind, sie äußerst behutsam
instrumentiert (E-Piano, Baß, etwas Beat, ein paar Geräuschschleifen, wenig
mehr), und obwohl jeder einzelne davon auf eines seiner letzten vier oder
sieben Alben gepaßt hätte, obwohl jeder davon so vertraut klingt, als hätte man
ihn seit zwanzig Jahren immer wieder gehört, sind alle vollkommen neu (mit
Ausnahme von „Heavy Seas Of Love“, dessen Strophe sich – möglicherweise
unabsichtlich – an „Daydream Believer“ von den Monkees anlehnt, einen Song und
eine Band, die für Damon Albarns musikalisches Leben eventuell eine wesentlich fundamentalere
Rolle gespielt haben und spielen, als man glaubt).
Zudem ist „Everyday Robots“ keine Spielzeugkiste, kein
Sammelsurium von Klimbim, sondern als ganzes Album ein Werk von staunenswerter,
hypnotischer Schönheit, Demut, Gelassenheit, Abgeklärtheit, melancholischer
Ruhe und Weisheit, dessen Qualität sich auf zweierlei Weise zeigt: Den Fachmann
verblüfft, wie das Komplizierteste kinderleicht und das Simpelste höchst
elaboriert wirkt; noch das kleinste Detail steht ohne jede Not der
Rechtfertigung, ohne auch nur augenzwinkerndes „Wow!“ genau an der Stelle, wo
es stehen muß. Das nennt man Genie.
Den Laien (wenn es einen solchen bei Popmusik geben kann)
wiederum fasziniert, fesselt, macht süchtig: die Fülle der Eindrücke, die diese
Platte vermittelt, und die Art, wie sie wach und aufmerksam macht für den
Moment ihres Erlebens – wer das Glück hat, sie in einer Situation zufälliger
(oder von der Musik induzierter) Zärtlichkeit das erste Mal zu hören, ist mit
einer Erinnerung gesegnet, die ihn durchs Leben tragen kann. Das nennt man
Kunst. Hinzu kommen Texte, die dies und das erzählen mögen; es gerinnt dem
reifen Albarn (den ich einst als jugendliche Koksnase in einem Amsterdamer
Hotelzimmer herumhüpfen sah und das dennoch damals schon ahnte oder hoffte) zu
purer Poesie.
Und damit endet jeder Vergleich, weil er beiderseits unfair
wäre: Diese Verschmelzung von Genie, Poesie und Kunst, von Makellosigkeit und
Bescheidenheit nennt man Vollendung, und alles, was dazu darüber hinaus zu
sagen sein könnte, taugt höchstens für romantisch beseelte Tagebucheinträge und
Liebesbriefe.
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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