Moralapostel mag niemand gerne (und keine Angst, ich werde
in den folgenden Zeilen ganz bestimmt keinen solchen geben). Denen ruft man ein
gehässiges „Mäh! Mäh! Mäh!“ entgegen und schaut vergnügt zu, wie sie geteert
und gefedert auf einer Eisenbahnschiene aus dem Dorf getragen werden. Mit einer
Ausnahme: Wenn die Zeigefingerburschen einer Gesellschaftsschicht, oder sagen
wir ruhig: Klasse entstammen, die man von Haus aus für eine schmierig schillernde
Bande von Schwerverbrechern hält und für ihre maßlose Gier, Verantwortungs- und
Rücksichtslosigkeit insgeheim bewundert („Hund’ sans scho!“), dann zieht man
den Hut, wenn sie mal was annähernd Vernünftiges sagen.
So brachte es der Wurstfabrikant, Börsenspekulant und
Vereinspräsident Ulrich Hoeneß zu einigem Ansehen, weil er neben einem Haufen
Blödsinn immer mal wieder Sachen sagte, von denen wir alle wissen, daß sie
richtig sind, die sich aber sonst keiner sagen traut, weil es sonst schlagartig
aus ist mit der Medienkarriere und den Talkshowhonoraren. Deutsche Medien
brauchen Durchhalteparolen, neoliberale Propaganda, Unterschichtbeschimpfung
und Leistungsgefasel; etwas anderes wird weder gedruckt noch gesendet, und wenn
doch, dann nur umgeben von solchem, das dann immer in der Mehrheit sein,
hochamtlich tönen und die jeweilige Frau Wagenknecht niederbrüllen muß.
Anders Hoeneß: Der darf zum (und am!) 11. September 2001
Dinge äußern, die man ansonsten nur aus Bekennerbriefen kennt, der darf den
Wirtschaftsfaschismus (vorsichtig, aber immerhin) kritisieren, der darf manch
anderes kluge Wort sprechen, ohne daß ihm ein Hundt oder Henkel oder sonst ein
Kläffer dazwischenkläfft – und erstaunlicherweise tut er das auch noch höchst
gerne. Daß er nebenbei die Unterschicht mit Billigwürsten mästet, blenden wir
aus, schließlich muß jeder irgendwie Geld verdienen. Daß er mit dem FC Bayern
den deutschen Fußball vernichtet, blenden wir ebenfalls aus, schließlich
gewinnt der wenigstens und ist im Fernsehen ab und zu nett anzusehen. Daß er
ebenso gerne mal den Staat abschaffen und die Steuern für Großverdiener senken
möchte, ist schon etwas haariger, weil da die reale Gefahr besteht, daß ihm
gewisse Leute das nachplappern, je nach Gemütslage wg. FCB, wg. Wurst oder wg.
seiner im übrigens doch so demonstrativen Vernunft.
Das riecht dann nicht nur nach einem verdammt schlechten
Gewissen (kann sich noch jemand an Michel Friedman erinnern?), sondern, vor
allem, nach Schirrmacherei. Für Nichteingeweihte sei kurz beschrieben, worum es
sich beim „Schirrmachern“ handelt: Zunächst beginnt eine bestimmte Erkenntnis
aufzukeimen und sich (sozusagen „viral“, also gegen jede Gegenteilspropaganda)
durchzusetzen, die gewissen mächtigen Leuten unangenehm oder gar gefährlich
werden könnte. Wenn sie gar nicht mehr tot- und stummzukriegen ist, bleibt
denen dann nichts anderes übrig, als einen „Schirrmacher“ vorzuschicken, der
die Erkenntnis in scheinbar flammendem Zorn in einen Bestseller hineinschreibt,
den dann alle lesen und losgrölen: Jawohl! und recht hat er! Nieder mit dem
Schweinesystem!
Dann kommt Phase zwei: Man schickt einen einigermaßen echten
Experten, der der eigenen Ideologie anhängt oder zumindest als gekaufter Lakai
verläßlich ist, (oder am besten viele) zu Fernsehen, Radio und Zeitungen und
läßt ihn – ohne auf Grundsätzliches einzugehen - von hoher expertöser Warte aus
belegen, was für ein Idiotengeschreibsel der „Schirrmacher“ da fabriziert hat:
randvoll mit Rechtschreib-, Grammatik-, Rechen-, Ableitungs- und Recherchefehlern,
dazu noch falsch abgeschrieben, ungeordnet, wirr, unlektoriert und insgesamt
inkommensurabel. Und schon weiß ein jeder: Wenn das so ist, dann ist
logischerweise auch die Grundthese falsch!
Und schon haben uns die Mächtigen mal wieder davor bewahrt,
einem „populistischen“ „Rattenfänger“ „auf den Leim zu gehen“. Und schon sitzen
wir da und sagen: Herrgott, Herr Hoeneß! Daß Geld immer da hingeht, wo schon
Geld ist, das weiß doch ein jeder! Das ist wie mit den Kaninchen: Wenn man da zwei
in einen Stall setzt, sind es nach einem Jahr sieben und nach zwei Jahren nicht
etwa vierzehn, sondern etwa hundert! Es ist doch klar, daß es die Leute ärgert,
wenn jemand ohne jede Arbeit hunderte Millionen in die Schweiz schiebt und
denen, die dafür arbeiten (bzw. verzichten), nicht einmal steuermäßig was
abgeben will! Und es ist doch klar, daß Ihnen dann auch niemand mehr Ihre
menschenfreundliche Predigerei abnimmt! Die muß doch genauso falsch,
hintertückisch und depperlbläd sein!
Und schon ist mal wieder eine nützliche, wichtige, dringend
notwendige Erkenntnis noch im Aufkeimen geschirrmachert, diskreditiert und
perdu. Dann dauert es ewig, bis sich wieder jemand die Erkenntnis aussprechen
traut, weil ja jeder meinen könnte, man wolle sich durch das Aussprechen auf
die Seite eines windigen Würstlhinterziehers schlagen.
Ach so, Herr Hoeneß, wenn Sie mir bis hierher gefolgt sind,
werden Sie sich fragen, wo die Fragen bleiben. Die kommen hier, und es sind nur
zwei: Was haben Sie eigentlich gedacht, wem die hunderte Millionen, die Sie da
irgendwo gebunkert haben, gehören, wo doch ein Geld per se et definitionem
einem Menschen gar nicht gehören kann, zumal wenn es so viel ist, daß er es in
tausend Jahren nicht ausgeben kann? Daß die irgendwo anders fehlen, das werden
Sie sich doch gedacht haben? Und zweitens und eigentlich am wichtigsten, weil
wir uns das wirklich nicht vorstellen können: Was wollten Sie eigentlich mit
dem ganzen Geld machen?
(Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.)
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