Ich höre zur Zeit gerne alte Platten von The Clash und frage
mich, woher das kommt. Vielleicht wegen der nostalgischen Sehnsucht nach
Zeiten, als Popmusiker noch die Frage diskutierten, ob im Fall der allfälligen
Revolution das Faulobst der Bourgeoisie, mithin: Leute wie Christian Kracht, an
Bäume oder Laternen zu knüpfen sei.
Mag auch sein, daß es mit dem „Clash of Critics“ zu tun hat,
der seit Wochen durch die Feuilletons tobt und (angeblich) dieses Buch
betrifft. Die Textmenge, die diesbezüglich gedruckt wurde, übertrifft längst
das Buch selbst, täglich schwillt sie an, und immer ist darin vor allem vom
Autor die Rede. Der sei wahlweise Rassist, Genie, Kampagnenopfer, Plagiator
oder, meistzitiert, „der Türsteher der rechten Gedanken“, was ein derart
mißratenes Bild ist, daß es einem die Nasenhaare krümmt – „die rechten
Gedanken“ wären also eine Art Discothek, „nur für Stammgäste“ oder wie?
Egal. Wen solche „Diskurse“ interessieren, der kann sich seine
Meinung aus einem reichhaltigen Menü wählen oder eben bestätigen lassen. Dazu
später mehr.
Ein Buch hat indes das Recht, gelesen zu werden ohne daß es
für die nebenberuflichen Kapriolen seines Autors geradestehen muß. Also was ist
dies für ein Buch? Zunächst einmal ist es ein Imitat, und zwar ein erstaunlich
freches. Man meint, da hätte ein Lektor seinem inspirationslosen Autor Daniel
Kehlmanns „Vermessung der Welt“ in die Hand gedrückt: „Such dir doch mal
irgendeinen kuriosen historischen Sonderling und schreib mir so was!“ Das Thema
war schnell gefunden: Der Zivilisationsflüchtling August Engelhardt, der 1902
auf der Südseeinsel Kabakon einen nudistischen „Sonnenorden“ gründete, um den
Menschen durch ausschließlichen Verzehr von Kokosnüssen zu vergöttlichen, war
in den letzten Jahren Thema mancherlei Bücher und Dokumentationen, und wie auf
Kommando hat sich auch schon Marc Buhl, Autor des 2011 erschienenen Romans „Das
Paradies des August Engelhardt“, gemeldet und Spalten für seinen Vorwurf
freigeräumt bekommen, Kracht habe allzu guttenbergisch von seinen
erzählerischen Ideen genascht, ohne sich im Nachspann zu bedanken. Zudem kommt die
Figur des Autors notorischer Neigung zu exotischen Reisezielen in mancherlei
Hinsicht entgegen; aber da wären wir schon wieder bei Sainte-Beuve, lassen
wir’s also, vorläufig.
„Imperium“ ist auch eine Parodie auf die Reise- und
Abenteuerliteratur der Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende, auf
Sealsfield/Postl, Karl May et al., zieht nebenbei immer wieder
(notwendigerweise unbeholfen) den Hut vor Nabokov, zapft den Kitschbruder
Hermann Hesse und sein Weltverbesserergebimse an (läßt ihn gar kurz anonym
auftreten, in Florenz, ebenso wie andere Zeitgenossen), und die Parodie ist
erstaunlich gut gelungen, vor allem sprachlich: Kracht schafft es, den Ton der
trivialen Vorlagen, die vor dem Fernsehzeitalter Millionen Knabenzimmer in
Sehnsuchtsorte verwandelten, bis in die typische Fallhöhe zwischen erhabenem
Bildwerk, pathetischen Formeln und sprachlichen Unzulänglichkeiten zu treffen –
droben wallt das Welttheater, drunten bricht sich die Grammatik die Zehen, so
kennt man das von den Kolportageschinken, denen das Buch selbst äußerlich eine
ironische Hommage erbietet, vom Halbleinen bis zum Titelbild. Preziös, blumig,
fast lückenlos gefüllt mit Bildgewalt und eben auch den genretypischen,
geschickt eingestreuten Sprachpatzern erzählt der Roman Engelhardts wunderliche
Geschichte mit gnädig fiktivem Ende – statt 1919 kläglich zu krepieren, darf er
weiterhin sich selbst verzehren (und solcherart wundersam seine Lepra kurieren),
den Zweiten Weltkrieg überleben, sich endlich von US-Soldaten durch Cola, Hot
Dogs und „stark rhythmische, doch überhaupt nicht unangenehm klingende“ Musik
aus dem vermutlich als typisch deutsch zu verstehenden Wahn befreien lassen und
friedlich sterben, um sodann verfilmt zu werden, womit sich der Roman zum Bogen
schließt, hübsch und rund. Nett, denkt man am Ende; die Sache ist an sich
skurril, tragikomisch und haarsträubend bizarr, und sie hat das wichtigste, was
ein guter literarischer Witz braucht: ein grauenvolles Ende. Ein wunderbarer
Stoff, den darf man ruhig noch einmal aufgreifen.
Aber so ist das bei Parodien: Wenn man sie einmal begriffen
hat und sie keine neuen Ebenen öffnen, laufen sie sich tot. Die funkelnden
Passagen, die einen die ersten Seiten grinsend halblaut lesen lassen, werden
sehr bald weniger, und wenn zur Hälfte des Romans immer noch nichts Aufregendes
passiert ist, der Erzähler vielmehr ein Brimborium an Banalitäten und Nebensachen
auffaltet, sie mit penetrant genießerischer Detailversessenheit zelebriert,
tiefere Motive, Gründe, Konflikte völlig ausblendet, wird die Langeweile zwischendurch
so nervtötend, daß man sich zwingen muß, das Buch nicht wegzulegen. Auch das
kennt man von vielen der „Originale“ – wer hätte nicht irgendwann bei einem
Indianerroman aufgegeben, weil sich der salbungsvolle Quark gar zu leer
dahinzog? –, und man kennt es von „Bildungsromanen“, mit denen Leute wie
Kolbenheyer einst ihre Leser lähmten und den paralysierten Gehirnen als
Ersatzreiz das Deutschtum einträufelten. Vielleicht steckt dahinter eine
kommentierende Absicht, die indes ohne Erkenntnisgewinn bleibt: Ist ja ein
alter Hut. Im dritten Teil nimmt die Geschichte wieder Fahrt auf, die Erzählstränge
rasseln rasant in ihre Löcher wie Flipperkugeln, dann ist es gut und genug.
Wie Kehlmanns Buch ist auch dieses eine Etüde in Eskapismus;
angesichts des Furors, mit dem das Feuilleton seit Jahren fordert, die
Literatur möge endlich die „Netzwelt“, das moderne Gesumms von Twitter, E-Mail,
SMS und all dieser Kasperei angeblicher „Kommunikation“ realistisch abbilden,
Sprache und Form dafür finden und solcherart „relevant“ werden, ist das nur zu
verständlich. Geschichten funktionieren nun einmal anders.
Der eklatante Unterschied zu Kehlmanns Roman liegt in beider
(fast) allwissendem Erzähler, der bei Kracht weitaus weniger neutral gezeichnet
ist: Einerseits mokiert er sich über virulenten Antisemitismus (dem aus
unerklärlichen Gründen schließlich „unversehens“ auch Engelhardt verfällt) und
Modernitätswahn, die Borniertheit, Wirrnis und Lächerlichkeit von Engelhardts
Zeitgenossen, andererseits ist er selbst in dieser Zeit so vollständig
verfangen, daß man erstaunt und ungläubig registriert, er lebe im 21. Jahrhundert.
Und das macht die ansonsten recht belanglose Sache doch
bedenkenswert: Wieso wählt ein Autor, der diese Geschichte aus heutiger Sicht
erzählen läßt, als Erzähler einen mit Denken, Gestus und Duktus von dazumal
geradezu überladenen, noch dazu bisweilen widerwärtig selbstverliebten
Scharlatan? Wieso stellt er dessen offenbar überwältigendes Bedürfnis, zu
verniedlichen (wenn etwa „ein, zwei Weltkriege durchmessen“ werden), zu
idyllisieren und belustigen, durch einerseits grelle Übertreibung andererseits
zu verharmlosen, mit dem Glanz einer Sprache zu blenden, die er nur als Pose
beherrscht und dabei bereitwillig in die peinlichsten ABC-Schützen-Fettnäpfe
tapst („... die Schanktheke einer Kantine, dessen Wirt ...“ – beileibe kein
Einzelfall!), derart aus? Steckt dahinter eine weitere Ebene der Ironie, die
Behauptung einer Kongruenz, soll hier das frühe 21. Jahrhundert als
Wiedergänger, als eine Art spätwilhelmistisches Rokoko „entlarvt“ werden?
Freilich, Gründe dafür gäbe es, aber sind nicht Christian
Kracht und seine elitär-blasierte informelle Clique haltloser Schnösel – elitegeschult,
aber dumm wie Schiffszwieback und von der naiven Gutheit linker Punkhippies so
gelangweilt, daß sie lieber mit dem Bösen kokettieren und imperiale Kriege
herbeisehnen, – sind die und ihre ubiquitären Geistesgenossen von Baring bis
Gauck und ihre Hegemonie über das deutsche „Kulturleben“ in Zeiten, wo Verleger
nicht mehr lesen, sondern lieber auf Figuren setzen, die per Geburt und
Erziehung eine Vermarktbarkeitsgarantie mitbringen, nicht einer der stärksten
solchen Gründe? Will sich also der Kracht mit diesem Buch sozusagen selbst
demaskieren, und meint er das dann am Ende gar ein drittes Mal ironisch?
Eher nicht, vermutlich. Und deshalb lohnt sich die Frage,
was er denn dann will, und da finden sich schon Argumente für die Antwort: uns
ärgern, sonst nichts. Und wieso? Vermutlich: wegen seiner Anfälligkeit für den
„Reiz des sinnlosen Risikos“ (wie Linus Schöpfer im „Tagesanzeiger“ schrieb).
Das sollte uns nicht weiter interessieren, zurück zum Buch.
Wo Kehlmanns Erzählstimme also den Leser von der ersten
Seite an mit famosem Witz emotional derart an seine skurrilen Darsteller
bindet, daß man sie lieben einfach muß, stellt Kracht die seinen lediglich aus,
mit viel aufgesetzter Empathie zwar vor allem für Nebenfiguren wie den Kapitän Slütter,
der zum Auftragsmord an Engelhardt erpreßt wird, es aber nicht übers Herz
bringt, den vollkommen heruntergekommenen, „von der canard einer jüdischen
Weltverschwörung besessenen Irrsinnigen“ zu erschießen, und mit gebrochenem
Herzen einem absurden Tod in den Wirren des Weltkriegs entgegenfährt (die Figur
ist samt der kindlichen Geliebten Pandora Hugo Pratts Comicroman
„Südseeballade“ entnommen, und daß sich Christian Kracht nicht nur als Kind in
dessen Hauptperson Corto Maltese hineingeträumt hat, darf man gerne vermuten), –
aber ohne innerliche Verbundenheit. Wir verfolgen die wahnwitzige Tragikomödie,
ohne wirklich verstehen zu können, was all die Narren dazu treibt, zu tun, was
sie tun; der mehrmals unternommene Versuch, Engelhardt zu einer Art
Doppelgänger von Adolf Hitler (dem anderen „deutschen Romantiker und
Vegetarier“; fruktivorisches Weltreich hier, militärisches dort) zu biegen,
wirkt höchstens lachhaft (auch wenn sich hieran ein nicht geringer Teil des
Feuilletontheaters entzündete).
Deshalb liegt auch der Witz hier eher in den Bildern als in
der Groteske selbst; wenn der kurzzeitig ebenfalls dem Kokoswahn verfallende
Musiker Max Lützow (eine historische Figur, der Kracht ein grell-bizarres Ende
andichtet) mit der schillernden „Queen Emma“ Forsayth (auch sie gab es) den
Geschlechtsverkehr vollzieht und „der Mond die beiden hüpfenden Kugeln von
Lützows blond behaartem, emporgereckten Hinterteil“ bescheint, wissen wir,
weshalb wir kichern. Deshalb auch erinnert das Buch nicht nur per Titelbild an
„Tim & Struppi“; es bleibt auf dem geistigen Niveau dessen, was es
parodiert, weil alle Anspielungen, Bezüge, Deutungsangebote nicht mehr sind als
nicht existierende Bällchen, mit deren scheinbarem Wurf man einen Hund foppt:
Zwei-, dreimal läuft er los, dann hat er’s kapiert. Daß „Imperium“, wie manch
ein Kritiker meinte, den Sieg des anglo-amerikanischen Realitätszynismus über
den schwärmerischen Wahn der deutschen „Rasse“ zeige (oder so ähnlich):
geschenkt. Ebenso gut kann man den Roman für ein Lehrstück über die
Sinnlosigkeit jedweden Strebens halten – anders als kreuzbanal fallen die
Früchte solcher Interpretationen nicht aus. Das macht die Sache nicht schlecht,
es macht sie nur zu dem, was sie ist: zu einer netten, streckenweise etwas
faden, insgesamt amüsanten Belanglosigkeit, einer hübschen Stilübung, die man
gerne liest und bald wieder vergißt.
Das heißt: vergäße; denn da ist ja noch der Affencircus; leider
nämlich darf das Buch nicht für sich stehen, weil es in seiner Harmlosigkeit sonst
verschwände im Schatten seines „Autors“. Drum wird zum Beleg für dessen
angebliche Motivation anderes herbeigezogen, speziell der in der Tat dubiose
Briefwechsel mit dem US-Neo-Rechts-Esoteriker Goodard, in dem sich (auch) Kracht
höchst eigenartig und ziemlich verdächtig äußert. Aber ehrlich: einen solch
abstrusen, offensichtlich unter dem Aspekt „Wie weit kann man gehen, bis man
eine draufkriegt, aus ästhetischen, politischen oder psychopathologischen Gründen?“
zum Kunstwerk inszenierten Briefwechsel mit all dem „O je, das darf niemand
erfahren!“-Getue erst als Buch zu veröffentlichen und es ein Jahr nach seinem
unbemerkten Erscheinen plötzlich ins Blitzlichtgewitter zu rücken – wenn das
nicht noch mehr nach plumper Inszenierung stinkt als der Spiegel-Skandal, will
ich hinkünftig Michael Rummst heißen.
Zudem wird man beim Durchblättern dieser Korrespondenz das
Gefühl nicht los, daß mit dem esoterischen Geraune und Getue um Verschwörungen,
angebliche Geheimbünde, Totalitarismus-Sammelbildchen,
verstiegene Theorien und ähnlichen Kram, bei dem eigentlich nur noch Jan „van
Helsing“ Holey, Illuminaten, Hohlwelt-Spekulationen und Nazi-UFOs aus
Neuschwabenland fehlen, alle verarscht werden: Leser, Kritiker, Verlag und
David Woodard selbst, dem Kracht immer mal wieder ein paar einschlägige Phrasen
von „leftists“ und „post-feminists“ hinwirft, um ihm krude bis widerwärtige Statements
zu entlocken, ihn dann wieder staucht (indem er sich als „Zionist“ bezeichnet,
der in seiner „zionistischen“ Zeitschrift keine antisemitischen Beiträge
druckt) und kriechen läßt. Mit diesem Lehrstück zur Frage „Wo kommen wir hin,
wenn wir Liebe und Vernunft aus unserem Leben suspendieren und durch kaltes
Interesse ersetzen?“ wird, so ahnt man, ein „Christian Kracht“ erfunden, den es
gar nicht geben kann. Man stelle sich versuchsweise die freiwillig idiotischen Portraits
daneben, die sein öffentliches Bild prägen: Der „Reiz des sinnlosen Risikos“,
klar, kindischer Unfug oder provozierender Scherz (oder alles davon) – man weiß
es nicht und will es nicht wissen; zum Großteil ist die Sache unangenehm privatisch-verstiegen
und noch unangenehmer langweilig. Daß die Kritiker, die sich darauf beziehen,
den ganzen Wust studiert haben, mag ich nicht glauben; daß er ansonsten viele
Leser findet, die dann auch noch bereit wären, sich von dem Schmarrn
„infizieren“ oder manipulieren zu lassen, erst recht nicht.
Aber da sind wir wieder beim „Türsteher der rechten
Gedanken“ und der Frage, worum es eigentlich geht bei dem hirnrissigen Geplärr.
Ja, wer mag, kann aus Krachts multivalentem Erzähler und
seinen Beschreibungen von „malayischen Boys“ und „Kanakenkindern, barfuß,
nackend“ (aber auch „an Erdferkel erinnernden Deutschen“) eine rassistische
Weltsicht herauslesen, auch ein antimodernistisches Ressentiment gegen eine
Zeit, in der „die Dichter plötzlich atomisierte Zeilen“ schreiben, „grelle, für
ungeschulte Ohren lediglich atonal klingende Musik vor kopfschüttelndem
Publikum uraufgeführt, auf Tonträger gepreßt und reproduziert“ wird, selbst die
wohltuende alte Rechtschreibung ließe sich als Indiz hierfür heranziehen (in
Krachts letztem Roman gab es, ganz schweizerisch, kein einziges „ß“); was sich
eventuell sogar – anläßlich der Frage, weshalb Kracht ausgerechnet diese
Geschichte so erzählt – gegen den Autor richten läßt, der meinetwegen die
gescheiterte Idylle deutschkolonialer Naturseligkeit wehmütig in Stellung zu
bringen versuche gegen die Banalitäten der technokratischen, kulturlosen (aber
nun einmal siegreichen) Fast-Food-Moderne.
Ich denke jedoch, der Kern des Problems ist ein anderer. Daß
das Buch bei aller oberflächlichen Schönheit und Kunstfertigkeit ein schales
Gefühl von Leere hinterläßt, daß man sich tatsächlich (mit Georg Diez) fragt,
was Kracht eigentlich erzählen will, liegt an einer zentralen Leerstelle, die
es von Kehlmanns Vorlage unterscheidet: Bei Kracht entspringt der Ironie kein
Witz, sondern Humor, comichafte Komik, und was ihm (seinem Erzähler) fehlt,
faßt dieser selbst in einem Satz zusammen, der vollkommen für sich und als
offensichtliche Botschaft an den Leser außerhalb jedes erzählerischen
Zusammenhangs steht, auf Seite 90: „Ich glaube nicht, daß er jemals einen
Menschen wirklich geliebt hat.“
Wir hätten es demnach bei dem Erzähler und bei „Christian
Kracht“ mit einem zu tun, der die, von denen er erzählt, ebensowenig empathisch
erreichen kann wie die, für die er erzählt, einer tragikomischen Figur, die als
selbststilisierter „Held“ den Roman zu einer Art „Gesamtkunstwerk“ runden möchte
oder soll. Aber darauf hereinzufallen und das gar für „gefährlich“ zu halten,
ist, milde gesagt, Schwachköpfigkeit. In Zeiten, in denen das mittlere
Management zu zwei Dritteln aus Skinheads in Panzerautos besteht, die im Chor
mit der Politik wirtschaftsfaschistische Parolen blöken, die zentrale Botschaft
der Popmusik nicht mehr Emanzipation, sondern Unterwerfung ist, die Meinung,
man müsse den gesellschaftlichen Reichtum gerecht(er) verteilen, direkt ins
regierungsamtliche Aussteigerprogramm für Linksextremisten führt und der Krieg
aller gegen alle das ideologische Fundament der Vorschulpädagogik liefert, ist
solche Poserei einfach nur lächerlich. Christian Krachts letzte Bücher waren
unerfreuliche Beispiele dafür, was herauskommt, wenn jemand esoterisch-totalitaristische
Obsessionen aus purem Ennui, ohne die Mühe der Reflexion, ohne großes Talent in
„Literatur“ umsetzt. „Imperium“ aber gibt schlichtweg nichts her, was solche
Diskussionen lohnte, im Gegenteil, und wenn die, die damals schwiegen, nun aus
allen Wolken fallen, muß man sie entweder für steindumme Ignoranten halten oder
andere Motive hinter dem vielkehligen wechselseitigen Bocksgesang vermuten. Dieses
Theater hätte es durchaus verdient, selbst einen Roman zu füllen. Nur soll den
bitte keiner der Beteiligten schreiben.
Nein, „rechte Gedanken“ (die ja nicht solche, sondern deren
Ersatz durch schwammiges „Empfinden“ sind) kommen nicht in die Welt, weil oder
indem hier einer den Wiedergänger des deutschen Kolonialreichsbürgers schwätzen
läßt, wie ihm Schnabel und Hirn gewachsen sind. Das besorgen vielmehr, wie Kay
Sokolowsky im März-Konkret umfassend und gründlich dargelegt hat, die
„Megatonnen“ düsterlicher, reaktionärer Kriminal- und insbesondere Fantasy-Mythologien,
die die Bestsellerhalden füllen und fast täglich aus dem Fernseh quellen, um die
Volksgemeinschaft der Ausgebeuteten zusammenzuschweißen in Treue fest gegen den
un(be)greifbaren Feind dort im Dunkel. Mag sogar sein, daß die Erregung der
Kritiker daher rührt, daß sich da manch einer an der Nase durch den Ring
geführt und allzu frech als nackter Depp verspottet fühlt.
Das ganze Getue erinnert an die Debatten, die in England (wo
kein junger Mann volljährig wird, ohne irgendwann einmal eine Naziuniform
getragen zu haben) regelmäßig um den Dichter und Sänger Morrissey (noch so ein
Vegetarier und Romantiker, übrigens, der Christian Kracht bei der Konstruktion
von „Christian Kracht“ durchaus als Vorlage gedient haben könnte) entfacht
werden, wenn er sich in eine Flagge einwickelt (Nationalismus!), von Mördern, Boxern,
Hooligans (Gewaltverherrlichung!) oder Immigranten (Rassismus!) singt. Mit
einem entscheidenden Unterschied: Morrissey ist ein Genie, dessen poetische
Werke sich vielfältig deuten und auslegen lassen, weil sie aus künstlerischer Notwendigkeit/Getriebenheit
und Logik empfindliche Bereiche aufsuchen, Kracht hingegen ein übermäßig
publiker Schriftsteller, dessen künstlerische Botschaft lediglich lautet, daß
alles, auch er selbst, lächerlich ist.
Es bleibt, wenn sich Roman und Briefwechsel eine zeitlang
gesetzt haben, das Motiv der Lieblosigkeit, des kalten Interesses und wohin es
führt, das ein kurzes Echo von Ödon von Horváths Romanen aufklingen läßt. Aus
dem eisblauen Kaltlicht der wirtschaftsfaschistischen Hölle gibt es für den Dissidenten
anscheinend nur zwei Auswege: Er kann sich die Mühe aufladen, an der
(Re-)Zivilisierung zu arbeiten, in dem sicheren Wissen, daß diese Arbeit
weitgehend vergeblich ist. Oder er sucht sein Heil noch weiter „rechts“, in
Mythos, Verschwörung, romantischem Urgetümel und nihilistischem Pathos.
Und vielleicht ist es deswegen so schön und so verlockend,
wenn man dieses Buch gelesen hat, alte Clash-Platten zu hören, Zeilen wie „If
Adolf Hitler flew in today, they’d send a limousine anyway“ fröhlich mitzuträllern,
ein Bier aufzumachen und sich einer anderen, naiven Romantik hinzugeben: weil
das Leben ohne Liebe dunkel und öde ist. Wenn es das war (und wenn auch nur
unter anderem), was vermittelt werden sollte, dann war’s das wert.
(geschrieben im Februar 2012 zum Erscheinen der gebundenen Ausgabe des Romans, gedruckt in KONKRET 4/12)
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