Lustige Koinzidenz: Gestern nacht versuchte ich einer spät
nachgewachsenen Zeitgenossin zu erklären, dass und weshalb The Clash die
größte, wenn nicht die einzige (okay, es war spät) Rock-’n’-Roll-Band aller
Zeiten waren (und, phänomenologisch betrachtet: sind). Keine paar Stunden
später erinnert mich eine Veröffentlichungsanzeige daran, dass sie auch ihre
Schwächen hatten, wie sich das gehört, was ihren Kampf gegen die ganze dumme,
böse Welt vielleicht noch heroischer macht, aber egal.
Rückblende: Mit sechzehn kannte ich ein Mädchen, war rauschhaft
und vermeintlich unsterblich verliebt, stellte indes nach zwei abendlichen
Begegnungen (ein Tanz, ein Kuss) fest (wie man heute postet): „Es ist
kompliziert.“ Nämlich stand jemand dazwischen, der wegzugehen sich weigerte, da
mochte sie Sehnsuchtsblicke wie Photonentorpedos nach mir schleudern, während
er ihre Hand klammerte. Die versengten mich nur und machten meine Ratlosigkeit
zum Sumpf, in den ich schließlich sank, während sie an ferne Sommerferienorte
entschwand oder sich entführen ließ; ich weiß es nicht.
Ein Vierteljahr später, noch mit nachglühenden Narben, sah
ich zufällig ein Musikvideo, und Flash! – das war doch sie! Wie kommt die
plötzlich ins Fernsehen? Wieso heißt sie plötzlich Ellen Foley? Gelähmt
schwebend starrte und lauschte ich dem tosenden Pathoslärm, dessen Slogan sich
mir auf ewig einbrannte: „Baby, we – we belong to the night!“ (Man stelle sich
diese Worte von einer Feuerwehrsirene gesungen vor.)
Wiederum ein Jahr später hatten diverse Verstrickungen (ihr
Album produzierten Ian Hunter von Mott The Hoople und Ex-Bowie-Gitarrenzwilling
Mick Ronson, derweil produzierte der genial-wahnsinnige Mott-The-Hoople-Produzent
Guy Stevens das Jahrhundertalbum „London Calling“ von The Clash, deren
Gitarrist Mick Jones unsterblicher Mott-The-Hoople-Fanatiker war, usw.) dazu
geführt, dass Ellen Foley das vielköpfige Kifferensemble erweiterte, aus dessen
monatelangem Studio-Zeltlager irgendwie das Clash-Dreifachalbum „Sandinista!“
entstand. Und weil fünf LPs in zwölf Monaten noch nicht genug waren, nahm die
größte Rock-’n’-Roll-Band aller Zeiten samt ihrer wüsten Kommune inkognito noch
ein sechstes auf, besungen von Ellen Foley und produziert von (Covernotiz) „my
boyfriend“.
Die Beziehung zwischen Foley und Mick Jones war „kompliziert“,
stürmisch und turbulent; wir wissen nicht viel darüber, und das wenige weiß die
ganze Welt, weil Jones in dem Song „Should I Stay Or Should I Go“ sein Herz
ausschüttete und hinterher mit The Clash eine erst viel später veröffentlichte tränendurchweichte
Version von „Every Little Bit Hurts“ aufnahm. Die Musikpresse, die schon von
„Sandinista!“ überfordert war, trat „Spirit Of St. Louis“ unter üblen Beschimpfungen
in die Mülltonne, und Ellen Foley wechselte nach einer weiteren Flop-LP von der
pararevolutionären Gegenkultur in eine annähernd bürgerliche
Broadway-Film-TV-Karriere, während The Clash nach einer Reihe von
Pyrrhus-Triumphen und historisch katastrophalen Fehlern explodierten und zur
unwiederbringlichen Legende wurden.
Apropos Musikpresse: Die deutsche Oberschüler-Hipster-Gazette
„Sounds“ setzte Ellen Foleys „Kitsch-Machwerk“ damals auf ihre monatliche
„Ätzliste“. Lustigerweise ist das meiste, was sich dort findet, zumindest im
nachhinein interessanter, spannender, kurioser und wiederentdeckenswerter als ein
Großteil von dem Käse, den die Redaktion lauthals propagierte. Das gilt auch
für Ellen Foley: Freilich quellen und fluten diese Alben nur so über vor
pompösem Kitsch, donnerndem Pathos und tornadoartig über den Hörer
hereinbrechender Schulhofromantik. Man kann das aber auch epochal glamourös,
überschäumend naiv und superheroisch finden – von da bis zur Grenze von Pein-
und Lächerlichkeit war es schon bei Mott The Hoople nur ein kleiner, diverse
Male passierter Stolperer.
Und abgesehen davon: Wenn eine amerikanische
Schnulzensängerin (mit Meat-Loaf-Vergangenheit) Songtitel wie „The Shuttered
Palace“, „Theatre Of Cruelty“, „In The Killing Hour“ und „The Death Of The
Psychoanalyst Of Salvador Dali“ (alles Strummer/Jones-Kompositionen!) auf ein
Album schreibt und sich weder totlacht noch vor Scham im Boden versinkt,
sondern es schafft, nach zwei Glamrock-Superhelden die größte
Rock-’n’-Roll-Band aller Zeiten ins Studio zu locken und das schon ein Jahr
zuvor mit klassischen Worten der Rolling Stones („Look at that stupid girl“)
kommentiert, dann muss man sie mindestens bewundern, wenn nicht lieben. Ganz gleich,
ob man mal in ihre Doppelgängerin verknallt war (und phänomenologisch
betrachtet immer noch ist).
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN, diese Folge am 11. Juli.
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