Wenn der Mensch spinnt, gibt er ein Zeichen, pflegte meine
Oma zu sagen. Ich füge hinzu: Wenn es ihm das Hirn komplett verdröselt und er
gar keinen Weg hinaus mehr sieht aus dem Wirr, dann gibt er ein Fragezeichen.
Weil das Fragen (scheinbar) weniger peinlich ist als sich hinzustellen und zu
plärren: „Kann bitte jemand die Zukunft wieder in Gang setzen, damit ich
vorankomme und diese peinliche Gegenwart verlassen und vergessen kann?“ Was im
Grunde auch eine Frage wäre, aber eine sogenannte rhetorische, auf die man
keine Antwort, sondern ein „Handeln“ (A. Merkel) erwartet; egal, es wird
sowieso nicht geäußert, eben.
Statt dessen: „Nichts wissen, aber fragen!“, wie man dem
nervtötenden Zufallsgast am Tresen zu attestieren pflegt, wenn er nicht mehr
aufhört, das gesamte „Bist du öfter hier?“-Repertoire herunterzukurbeln und
zwischendurch ein paar Deklarationen aus dem „Nämlich!“-Genre hineinzuwürzen. Auf
diese Weise erfährt jedermann in seiner späten Jugendzeit von den drei Ks, die
eine Marlboro-Schachtel als Produkt des Ku-Klux-Klans kenntlich machen, und
fängt sich ein paar sogenannte „Bekannte“ ein, mit denen man hinterher
jahrzehntelang je zwei „Hallo!“-Rufe austauschen muß, wenn man ihnen zufällig
begegnet, und sich womöglich noch fragen lassen, wie „es“ gehe, worüber man
notfalls einen langen Winter lang nachgrübeln kann, ohne zu einer Antwort zu
kommen.
Das kommt vom Fragen. Davon können aber auch noch ganz
andere Sachen kommen. Zum Beispiel ist dies ein enorm langer Winter (bei
Erscheinen dieses Heftes hoffentlich: gewesen, aber danach frage ich lieber
nicht), und wenn der winterschlafentfremdete Mensch in einem solchen Ende März
immer noch eingeschneit im Kämmerchen sitzt und inzwischen gar nichts mehr zu
tun weiß, weil sämtliche Bücherregale dreimal umgeräumt und sortiert, die Wände
tapeziert und die Teelöffel poliert sind, dreht es ihm sozusagen
selbstgenerierte Fragen ins Hirn hinein.
Dann wundert er sich zum Beispiel, wieso man die Angehörigen
jenes Volkes, das sich zur Zeit so renitent weigert, durch Hungern und Darben
deutschen und russischen Oligarchen den Zinseszins ihrer Milliarden zu
garantieren, „Zyprioten“ nennt, wohingegen selbst der verschwurbeltste Esoteriker
niemals auf die Idee käme, seinen Guru als Angehörigen des indiotischen Volkes (und
einen deutschen Oligarchen als solchen, by the way) zu bezeichnen.
Die Erklärung ist zunächst eine ganz einfache etymologische:
Das Wort kommt von den Griechen, zu denen der deutsche Fußballkommentator auch
gerne mal „Hellenen“ sagt, ohne damit auf Wilhelm Buschs wüste Comicgeschichte
von der Frommen Helene anspielen zu wollen. Da hat man die Erklärung sozusagen
schon auf der Hand: Weil der Mensch generell zu viel sinnfreien Mist in die
Welt hinein brabbelt, braucht er ab und zu ein paar „lustige“ Synonyme, damit
sich sein Gebrabbel in den Phasen zwischen der Reklame nicht in den monotonen
Sermon eines Staubsaugers verwandelt, weil sonst irgendwann auch der
talkshowgestählteste ZDFiot abschaltet und lieber seiner
Ikea-Schmetterlingsorchidee lauscht.
Wer über diese simple Erkenntnis hinaus noch weiter fragt
und womöglich laut antwortet, der braucht sich nicht wundern, wenn plötzlich
der Praktikant von der Zeitung vor der Tür steht und ihn mit
Berufsbezeichnungen belegt, von denen er noch nie gehört hat. So kam neulich
zum Beispiel ein naseweiser SZ-Bubi auf die lustige Idee, einen indischen Unternehmer,
den er zu diesem Zweck zum „Globalisierungs-Theoretiker“ ernannte, mit einem
Kübel von Fragen zu übergießen, für die sich Staubsauger und
Schmetterlingsorchidee zu schade wären, und schließlich noch zu deklamieren:
„Mobilität ist aber doch eine Grundbedingung für individuelle Freiheit!“ (Man
beachte das drängende Vibrieren des fordernden Fragezeichens im Hintergrund.)
Da endlich quellen auch in uns Fragen auf: Ist Dioxin eine
„Grundbedingung“ für ökologische Landwirtschaft? Kommt man schneller ans
„Ziel“, wenn man mit drei Autos gleichzeitig fährt? Ist eine Gehirnamputation
unerläßliche Voraussetzung, um ein Praktikum bei einer Zeitung zu ergattern und
„Globalisierungs-Theoretikern“ die sinnlosesten denkbaren Kombinationen
dreivierteldeutscher Wörter entgegenschleudern zu dürfen? Der entrechtete
Hartz-Opferiot, der zwecks restloser Demoralisierung jahrelang von „Standort“
zu „Standort“ mobilisiert wird, könnte eines Tages eine Antwort wissen, die
sich mit der Faust trefflicher formulieren läßt als mit dem Mund.
Aber den fragt keiner, jedenfalls nicht das, weil seine
Antwort das Gefüge von Umverteilung, Ausbeutung, Anhäufung und Demütigung, auf
dem die derzeit in Europa herrschenden gesellschaftlichen Prozesse beruhen, ins
Knirschen und Stocken bringen könnte. Den fragt man höchstens
Systemstabilisierendes: „Sind Sie bereit, noch mehr Verzicht zu leisten? Wieso
nicht?“
Das Fragen, stellte einst der kluge Psychiater Aron Ronald
Bodenheimer fest, sei als solches eine Belästigung und grundsätzlich obszön.
Oder, um erneut etymologisch zu argumentieren: Das hebräische Wort fürs Fragen
(„scha’ol“) bezeichnet auch die Hölle, in die man den Befragten unweigerlich
versetzt, wenn man damit erst einmal anfängt.
Aber ach (und um diesen Winter dann doch abzuschließen): Noch
die obszönste Frage läßt sich rückwirkend im Keim ersticken, indem man sie ganz
simpel beantwortet: „Wie geht’s?“ – „So jedenfalls nicht.“
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