Wenn Lebewesen Dinge tun, ist nicht immer ganz klar, wieso
und wozu, besonders wenn es Dinge sind, die irgendwie inkonsequent, wirr oder
komplett wahnsinnig wirken. Zum Beispiel wirkt es komplett wahnsinnig, wenn
eine Maus vor Licht, Geräusch und sämtlichen anderen Phänomenen und Sensationen
der Außenwelt panische Angst hat, nur vor einer Katze plötzlich nicht mehr.
Wenn sie sich ihr vielmehr fröhlich entgegenwirft, als wäre das Krallenviech
der langersehnte Erlöser aus dem Westen.
Das passiert aber, regelmäßig und zwangsläufig. Schuld daran
ist ein anderes Lebewesen, das in der Maus drin lebt und west und gerne in die
Katze hinein möchte, und weil es selber keine Beine hat, benutzt es die Maus
als Vehikel, indem es ihr durch gezieltes Anbohren bestimmter Hirnwindungen
(sorry, Biologen, ich weiß es nicht besser) den dringenden Wunsch, das unstillbare
Bedürfnis einpflanzt, von der Katze mit Haut und Haar einverleibt zu werden.
Manchmal gelangt das fiese Wesen – es heißt übrigens Toxoplasmose – auf dem
Umweg über die Katze auch in einen Menschen hinein. Der verunglückt dann
dreimal häufiger mit dem Auto. Wahrscheinlich weil der entgegenkommende
Lastwagen so zutraulich schnurrt.
Es gibt erstaunlich viele Wesen, die solche Strategien
verfolgen, und erstaunlich viele andere, die drauf reinfallen: Ameisen, die
sich an Grashalmspitzen festbeißen, damit die Kuh sie schluckt (und den
Leberwurm, der die Ameise steuert, gleich mit). Fische, die sich von blinden
Würmern ohne Hirn suggerieren lassen, sie müßten unbedingt an der
Wasseroberfläche herumturnen (weil die Würmer scharf auf das Innere von Vögeln
sind, die scharf auf depperte Fische sind). Raupen, die auf Baumwipfel klettern,
damit sich der Nährschleim, zu dem sie von Parasitenkindern zersetzt werden,
besser verteilen kann. Kakerlaken, die sich widerstandslos von Wespenbabies
aufessen lassen (nachdem ihnen die Wespenmama etwas Gift und damit eine fixe
Idee injiziert hat).
Und, vielleicht, auch Menschen, die sich dem alles
vernichtenden Turbokapitalismus des erwähnten Erlösers aus dem Westen in den
Rachen schmeißen, weil ihnen mediale und propagandistische Leberwürmer den Floh
ins Ohr gesetzt haben, es werde alles besser werden, wenn der sie erst mal in seinen
Entsafter gestopft habe. Dazu zetteln sie dann gerne mal eine „Revolution“ an.
Zum Beispiel damals in der DDR, wo so lange und intensiv Westfernsehen geglotzt
wurde, bis noch das letzte Mecklenburger Hüttenbäuerlein den dringenden Wunsch,
das unstillbare Bedürfnis empfand, unverzüglich eine Bahnhofsmüllpizza zu
verschlingen und in einen Club Mediterranee verschifft zu werden und dafür
notfalls seine gesamte Existenz von der Deutschen Bank zerschreddern zu lassen.
Ist diese moderne Form der „Revolution“ dann vollbracht, ist
vier Wochen später alles beim alten, außer daß die Oligarchen neue
Geschäftspartner und die Regierungsbüttel neue Namen und Gesichter haben. Die
allerdings etwa in der Ukraine gerne mal die vorhergehenden sind und bei Bedarf
(wenn die Leute wieder sauer werden, weil sie nun noch mehr entsaftet werden)
gegen die vorvorhergehenden ausgetauscht werden.
Möglicherweise haben wir auch noch nicht ganz verstanden,
was sich seit einigen Jahren in Europa und weiter südlich abspielt – und zwar
fast immer auf Plätzen (was übrigens auf ukrainisch „Majdan“ heißt, weshalb die
gerne benutzte Bezeichnung „Majdan-Platz“ ungefähr so sinnvoll ist wie
„Baugebäude“, „Trinkgetränk“ und „Bildzeitungslüge“). Da rüpeln zum Beispiel
monatelang Millionen von Griechen und Spaniern gegen ihre korrupten, kaputten,
fiesen Regierungen, die ihnen die Existenz vernichten, um internationale
Großbanken zu „retten“, und die sie noch nicht mal gewählt haben und auch nicht
wählen durften, weil sie ihnen von der EU als sogenannte „Experten“ mehr oder
weniger vor die Nase geputscht wurden.
Weiter südlich und östlich passiert ähnliches, allerdings
mit einem kleinen Unterschied: Hier putscht die EU mehr oder weniger die Regierungen
nicht hin, sondern weg, und zwar meistens nachdem geheimnisvolle
schwarzgekleidete Scharfschützen aufgetaucht sind und auf dem jeweiligen Platz
ein Massaker angerichtet haben. Woher diese Scharfschützen kommen und wer sie
bezahlt, wird nie geklärt; statt dessen stürmt das Volk die arschluxuriösen
Paläste seiner korrupten Exdespoten, die zwar gegen die 3.000-Zimmer-Villen
US-amerikanischer Börsengewinner höchstens schnuckelig wirken, als Ausweis von
Despotismus und Korruptheit jedoch allemal hinreichen: Ob so ein „Despot“
eventuell irgendwann mal frei gewählt worden ist, interessiert dann niemanden
mehr.
Blasen wir das nicht zu sehr auf, seien wir lieber ehrlich:
Was in der Ukraine, in Ägypten, Libyen, Tunesien, Algerien, Syrien etc. genau
passiert und warum, das weiß und versteht keiner von uns. In Griechenland,
Spanien, Italien, Irland und – o ja – Island (das sich als einziges EU-Land der
Verelendung zugunsten der Banken widersetzte, deswegen als einziges gut dasteht
und aus der Berichterstattung folgerichtig komplett ausgeblendet wird) wissen
wir es recht genau. Es hilft aber wenig.
Oder vielleicht hülfe es doch, wenn wir uns ein bißchen
genauer mit Leberwürmern und Hirnparasiten beschäftigten und deren Strategie
studierten. Vielleicht könnten wir dann zumindest stellenweise besser
unterscheiden zwischen Ursache und Wirkung, zwischen Vernunft, Massenhysterie
und Irrsinn. Und zwar bevor wir uns mit festgekrampftem Kiefer auf einer
Grashalmspitze wiederfinden, die Kuhzunge heranschwingen sehen und keine Ahnung
haben, wie und wieso wir hier hingeraten sind, außer: daß wir es unbedingt selber
wollten, aus einem dringenden Wunsch, einem unstillbaren Bedürfnis heraus.
Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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