Der soeben absolvierte Kommunalwahlkampf hat eine
eigentümliche Stimmung (wahrscheinlich nicht nur) in mir hinterlassen. Zwar war
vieles wie üblich: Das neoliberale Bleichhendl, das sich im Namen der FDP ein
paar Wochen lang als „OB-Kandidat“ bezeichnen durfte, reckte seinen
Sozialsargnagelkragen gewohnt forsch und wettbewerbsgeil aus dem Plakat, während
die grüne Laugenstange zach-drahtig gestylt Prima-Klima-Parolen für die
Halligallimeute der Hipster-Kreativlinge absonderte, die am liebsten noch das
letzte stille Örtchen der Stadt zur tobenden Eventarena umbauen wollen. Die
diversen Naziparteien blähten wie automatische Hupen ihr Anti-Moslem-Kontra-Kriminalität-Muezzingeschrei
zu neuen Absurditätsrekorden auf, weil es ihnen offenbar großen Spaß macht,
ihre Plakatständer mit Kehrschaufel und Besen zusammenzukehren und sich von mittelgroßen
Menschenmengen öffentlich verlachen zu lassen. Der Linken hat wahrscheinlich
niemand Bescheid gesagt, daß Wahlkampf ist, und so konnte sie nur noch schnell
ein paar alte Zettel mit Aufschriften wie „sozial“ irgendwo dazwischenkleben,
wo Platz war, weil wieder mal jemand einen Naziparteiplakatständer zu Fetzen
und Bröseln verarbeitet hatte.
Aber mittendrin in dem harmlosen Getöse, das im Grunde
sowieso nur Radfahrer interessierte, die alle zwei Meter von so einem
Parolendings gewatscht wurden, gaben sich die zwei Kandidaten, um die es
eigentlich ging, größte Mühe, jede Art von Wahlkampf gänzlich zu vermeiden,
indem sie sich als vorösterliche Fondanteier in sahnigen München-72-Hippiepastellfarben
photographieren ließen und Sprüche dazuschrieben, vor denen, wer sie zufällig
wahrnahm (da sie gar so geschmeidig zwischen Frühlingswiese und Blauhimmel
gecremt waren), in stiller Verwunderung verharrte: „Laßt uns neu denken“,
empfahl der Mann der vermeintlich betonkonservativen Partei, die traditionell
im Verdacht steht, derartige Post-68er-Landkommunenslogans mit reflexhaftem Haberfeldtreiben
zu beantworten. Der andere wiederum, dessen Laden einst versuchte, sich als
zentrale Anlaufstelle für Aufbruch und Fortschritt zu inszenieren, mochte
(„fordern“ kann man das nicht nennen), daß München München und überhaupt alles
bleibt, und fügte zwecks eventueller Präzisierung ein mildes, gleichwohl ebenso
surreal Woodstock-grooviges „Ja!“ zu schwammigen Themenwolken wie Familie,
Beruf und öffentlichem Nahverkehr hinzu.
„Ja zum Beruf“ hier, „Ich habe viel gelernt, danke“ dort –
was ist nur aus der sogenannten Politik geworden, fragen wir uns verwundert und
gedenken der Zeiten, als fiese Semmelknödel-Pistoleros, Law-and-Order-Banditen
und hyperkorrupte Herrenreiter wie Kiesl, Klein, Uhl, Podiuk und der inzwischen
zum wunderlichen Berghütten-Dalai-Lama gereifte Peter Gauweiler mit
Terrorsprüchen und Stammtischkanonaden das langhaarige Linkspack von
RAF-Sympathisanten und Anti-Atom-Luftballonfreaks aus der Stadt hinauszufegen
antraten, während verträumte Juso-Idealisten den gesamten Voralpenraum mit
bonbonbunten Hochhaustrabantenstädten und Fußgängerzonen in ein Paradies der
utopischen Multikultidemokratie transformieren wollten.
Ich habe von den beiden nur Josef Schmid mal flüchtig
kennengelernt und bei unserem Händedruck krampfhaft nicht daran zu denken
versucht, daß mich sein unseliger Gottkönig Franz Joseph der Erste und Letzte
wahrscheinlich ohne mit der Wimper zu zucken in ein chilenisches KZ deportiert
und mein damaliges „Milieu“ im Falle einer freundlichen Begegnung mit einem
CSU-Dunkelmann ein ebensolches Vorgehen ebenso energisch befürwortet hätte.
Ist nun also nach Deutschland endlich auch Bayern in ein
Stadium der Zivilisation eingetreten, in dem man sich eine lesbische
Öko-Bürgermeisterin in Oberammergau genausogut vorstellen kann wie einen
CSU-Chef mit Marxbart und Wasserpfeife, in dem sich alles mit allem versöhnt
und verbrüdert und beim gemeinsamen Peace-Ringelreihen im Chor „Laßt uns neu
denken! Ja!“ singt?
Oder geht die allgemeine Harmonieduseligkeit eher darauf
zurück, daß deutsche Soldaten inzwischen in mehr Ländern Krieg führen als im
gesamten 19. Jahrhundert, daß der alltägliche inländische Sozialkrieg um die
Umverteilung des gesamten Volksvermögens von unten nach oben ein Ausmaß und
eine Intensität erreicht hat, von denen man damals nur alpträumen konnte, daß
der kolonialistische Massenmord derart institutionalisiert und verheerend ist,
daß man sich fragt, was all die Naziparteien eigentlich überhaupt noch wollen?
Mag dies sein, mag das sein. Ich fürchte, der Frühling läßt
auch mich nicht ungeschoren, und bevor ich mich mal wieder von aufgebrachten
Lesern als unverbesserlicher Misanthrop und ewiggestriger Schwarzmaler
ausschimpfen lasse, verliere ich mich lieber ebenfalls in fondantfarbenen
Traumschleiern: Möge, welcher der beiden Hippies auch immer als – nicht
„Sieger“, sondern sagen wir mal: demutsvoller Erwählter – aus dem
Wahlkampf-Love-In hervorgegangen ist (und selbst wenn’s die grüne Laugenstange
war), mit Milde, Weisheit, neuem Denken und einem umfassend freundlichen „Ja!“
dazu beitragen, daß von münchnerischem Boden Friede, Liebe, Verzeihung und
Verständigung ausgehen, bis dereinst die ganze Welt ihre Kriegsbeile in
Endlagerstätten deponiert und sich feuertrunken in den Armen liegt.
Illuminieren können wir das Festival ja mit erneuerbarer Energie: gewonnen aus dem Rotieren des unseligen Großkönigs in seinem Grab.
Illuminieren können wir das Festival ja mit erneuerbarer Energie: gewonnen aus dem Rotieren des unseligen Großkönigs in seinem Grab.
Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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