Musik für bewegte Landschaften ist ein hypermodernes,
immakulat-utopisches Konzept – man darf es aber nicht falsch verstehen: Das
neue Album von Kylie Minogue paßt da sonst auch hinein, weil es sich anhört wie
ein Motor, der mit Sonnenblumensaft läuft, und weil es (wie viele Platten der
letzten Jahre) ausdrücklich für Autobeschallungsanlagen produziert ist und sich
dort, zwischen Blech, Glas, Polster und Elektronik, am besten anhört, am allerbesten
bei hundertfünfzig auf einer vollständig leeren Autobahn zwischen synthetischen
Wäldern und im 3-D-Drucker erstellten Kunststoffburgen. „Into The Blue“,
„Million Miles Away“ … need we say more?
Die ansonsten makellose Synthetik stören aber Elemente alter
Kulturtechniken: die mit Autotune infantilisierte Stimme der alterslosen
Kunstkörperdiva, die reflexartigen Soul- und R-&-B-Muster, die ihre
vollautomatisierten Musiker nicht ablegen können, weil man sie nicht mit Genie
und Zukunftsvitaminen, sondern nur mit Strom und Marktanalysen aus den späten
90ern gefüttert hat. Da hilft die dreifache Betonung von „sexy“ wenig – Sex
geht im Luftzeitalter anders.
Also steigen wir um aufs Fahrrad, das uns geräuschlos durch
noch viel leerere, der Gegenwart vollkommen enthobene Landschaften trägt, die
wie Tableaus der zeitlos vergeblichen Unvergänglichkeit sich uns kokett
entgegendrehen und wieder davonschwingen: Wir waren immer da, scheinen sie zu
sagen, ihr habt uns nur nie bemerkt in eurer Betriebsamkeit. Und dazu lassen
wir uns durchfluten von einer Musik, die ebenfalls weder Zeit noch Ort kennt,
ohne Wurzel schwebend die Atmosphäre von tausend Jahren durchflirrt, die Seele der
Welt entreißt und sie ins Universum fließen läßt. Könnte sein, daß wir in einem
astralgrünen Sonnenuntergang auf dem Uranus erwachen; auch dort wird sie uns
wärmen wie ein Gewebe aus Traumfasern.
„Ask Yourself“: „Is this the life you’ve been waiting for?“
Viele Menschen, unendlich viele Menschen wähnen, ihr Leben mit Warten zu
verbringen, und tun und können doch genau das nicht und nie: warten. Sich auf
einem verlassenen, vergessenen Platz auf eine Stufe setzen, die Augen schließen
und die Sonne durch sich hindurchscheinen lassen, bis irgendwas passiert oder
auch nicht. Zeit braucht keine Ereignisse, um zu sein.
„Feels like a Coming of Age“, singt da einer, dem man auf
den ersten Blick nicht zutrauen möchte, daß er sich solche Gedanken und
Spinnereien je gemacht hat: Mark Foster wirkt äußerlich im schnieken Anzüglein
ebenso wie Cubbie Fink und Mark Pontius dermaßen karrierebrav und
Ami-Mami-tauglich – die maßlosen Drogeneskapaden seiner Teeniejahre sieht man
ihm so wenig an wie man hört, daß er mal Reklamejingles geschrieben hat, weil
er von seinem Kellnerjob nicht leben konnte. Aber wer weiß.
Zudem wollte er nach dem gefeierten Debüt seiner Band
diesmal ein Album mit „mehr Eiern“ abliefern, hat The Clash, die Kinks, David
Bowie und Volksmusik aus Westafrika gehört (und – beiderseits hörbar – die
Local Natives, bei gemeinsamen Konzerten), nennt seine Texte, deren Hauptthemen
der böse Kapitalismus, Konsumideologie, Verwertungsgewalt, Selbstausbeutung und
-dressur sind („Foster The People“ heißt übersetzt: „Unterstützt das Volk“, und
es lohnt sich, die Coverbeschriftung zu lesen), „wütend“.
Aber keine Sorge: Die Musik auf diesem Album ist in erster
Linie schön. Vielleicht zu schön, um ganz ohne Anker auszukommen; immer wieder
sucht man Anhaltspunkte, findet aber nur Dinge, die nicht sind, was sie sind:
War das nicht gerade irgendwie eine Disconummer? Irgendwie wohl doch nicht. Vor
allem ist die Musik von Foster The People mal wieder ein seltener Fall von
„totaler“ Musik: ein alles umfassender Kosmos, in den nichts von außen dringt.
Da ist nicht nur kein Einfluß greifbar, da atmet auch niemand, zählt keiner
ein, fällt nichts um, surrt, schnarrt, knackt nichts, bleibt die Außenwelt der
Störgeräusche so vollständig ausgeschlossen, daß man beim Hören meinen könnte,
sie sei ein animierter Film – bewegte Landschaften aus dem Computer als
optische Begleitung zum wahren Leben.
In dem man dann ruhig über den Kapitalismus nachdenken kann,
ebenso wie über Kylie Minogue. Man sollte nur nicht vergessen: Beides sind
Phänomene, die der angeblichen Außenwelt entstammen, jener seltsamen Sphäre, in
der es nichts gibt.
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen