Aus allen möglichen Richtungen wird mir derzeit mitgeteilt,
meine Freiheit sei in höchster Gefahr, unter anderem weil ein amerikanischer
Geheimdienst meinen SMS-Austausch mitliest und unsere Regierung irgendein
Handelsabkommen aushandelt oder irgendwie so. Hinzu kommen dann noch diese und
jene anderen Bedrohungen und Dings und Dongs, und summa summarum – schwupps,
ist die Freiheit weg.
Das ist blöd, weil eine Freiheit ist schon schätzenswert und
auch ganz chic, und wenn sie weg ist, sitzt man plötzlich im Gefängnis und kann
sich gar nicht mehr erinnern, wie und wieso man da hineingekommen ist. Am Ende
hat man bloß mal zufällig eine falsche Partei gewählt, die dann irgendeine
Zwangsplanwirtschaft oder so was eingeführt hat, was ganz doof ist und die
Freiheit kaputtmacht und so weiter. Oder, auch das wird gern genommen:
irgendwas „Ideologisches“. Zum Beispiel ist es total „ideologisch“ und
freiheitskaputtmachend, wenn eine Regierung „den Staat aufbläht“ und ihren
Bürgern – zu denen nun mal auch internationale Großkonzerne gehören, „Steine in
den Weg legt“, die sie am „freien Wirtschaften“ hindern und all so was. Denn
merke: Wenn erst einmal der Großkonzern nicht mehr tun und lassen und ausbeuten
und zerschreddern darf, wen, was und wie er will, dann ist irgendwann auch das
kleine Kleinbürgerlein dran!
Sowieso ist der Mensch gerne frei, weshalb es eine ungeheure
Errungenschaft ist, daß er heutzutage jederzeit alles über den Haufen werfen
und einen „Neustart“ hinlegen darf und kann – etwa indem er sich einen supi
Billigjob in einer Plattenbaumetropole am Arsch der Welt sucht und diesen bei
Bedarf wieder hinschmeißt, um fünfhundert Kilometer weiter einen noch
billigeren Billigjob anzutreten. Wem dabei Arbeitsrecht, Tarifverträge, Gewerkschaften,
Beziehungen, Freundschaften, Familie, Menschenrechte und sonstige lästigen
Verstrickungen hinderlich sind, der darf solchen Tand rückhaltlos über Bord
werfen und seine Freiheit genießen. Wenn ihn halt nicht grad ein amerikanischer
Geheimdienst abhört. Oder so ähnlich.
Gefährlich wird es indes auch dann, wenn ein hungernder
Elendsflüchtling daherkommt und dem freien Deutschen seinen Billigjob streitig
macht, indem er sich als noch billigeres Ausbeutungsmaterial zur Verfügung
stellt. Da ist es schnell vorbei mit der Freiheit, und deswegen freut es den
freien Deutschen, daß seine Regierung derlei Armutsmigration einen Riegel
vorschiebt und das gierige Lumpenpack schon weit vor der deutschen
Freiheitsgrenze ins Meer schmeißen läßt oder notfalls, wenn es doch mal einer
schafft, durch den Stacheldraht zu schlüpfen, diesen in ein Sammellager sperrt
und bei nächster Gelegenheit ins hinterste Hinterbulgarien verschafft. Wo kämen
wir sonst hin!
Hingegen ist es absolut freiheitskaputtmachend, wenn der
narrische Schweizer neuerdings per Volksabstimmung eine „Masseneinwanderung“
von deutschen Milliardären und Steuerbetrügern verhindern will, weil das geht
schließlich gar nicht. Ein freier Mensch darf hingehen und -ziehen, wo er will,
solange er nicht arm ist und vom Balkan oder aus Afrika oder sonst wo herkommt!
Bedenken muß man da nicht haben, und dumm daherreden tun
auch generell bloß Blockierer, Besitzstandswahrer und sonstige „Ideologen“. Zum
Beispiel: „Kapitalistische Ordnungen sind potentiell faschistisch.“ Das
behauptete 1971 der Generalsekretär der FDP (für die Jüngeren: Das war mal eine
Partei), an den sich nicht nur die FDP am liebsten überhaupt nicht mehr
erinnern mag, weil solche infamen Behauptungen die Freiheit bedrohen und
deswegen streng verboten sind. Ein wahrer Freiheitsliebhaber würde so etwas
nicht mal denken, ohne sich in Grund und Boden zu schämen!
Querulanten wie ich hingegen denken so was schon mal ganz
gerne und kommen dann noch auf ganz andere Gedanken. Dann fragen wir uns zum
Beispiel, was „Freiheit“ eigentlich ist und wieso im Zusammenhang damit gewisse
Leute ständig Vokabeln wie „Leistung“, „Wachstum“ und „Wettbewerb“ herumblöken
und es am Ende noch als Einschränkung der „Freiheit“ anprangern, wenn sich
irgendein Würstchen darüber aufregt, daß ein Sarrazin mit seinen widerwärtigen
„Meinungen“ sämtliche Medienkanäle zukleistert.
Und dann denkt so einer wie ich: Freiheit als Ergebnis
irgendeiner schwammigen Idee von „Leistung“ zu definieren ist nicht etwa
liberal, sondern faschistisch. „Arbeit macht frei“ lautet hierzu der
weltbekannte Slogan, und es hilft wenig, aus Gründen der Inklusion des
Kapitaladels in die Volksgemeinschaft zu behaupten, auch Geld könne neuerdings
arbeiten, wenn das schon seine Besitzer nicht tun. Das „Bürgerrecht“ beginnt
keineswegs erst dort, wo jemand durch den Einsatz von Muskel- oder Gehirnkraft
oder deren geraubtem Niederschlag in Form ererbter Moneten irgendwelche
angeblichen „Werte“ schafft, die dann an der Börse auf wundersame Weise immer
größer werden.
Auch wer seinen terroristischen Ehepartner oder eine
verrückt gewordene Regierung loswird – sei es durch Mord, Flucht oder innere
Emigration –, ist damit noch lange nicht frei, selbst wenn sämtliche
Geheimdienste dieser Welt hoch und heilig versprechen, nie mehr eine SMS
mitzulesen. „Die Ausspähung“ nämlich, um meinen lieben Freund und
Gleichgesinnten Kay Sokolowsky zu zitieren, „beschädigt Menschen nicht mehr als
die Halluzination, sie könnten unter dem Diktat des Marktes autonom über ihr
Leben verfügen.“
Bisweilen lohnt es sich auch, mal wieder in alte Bücher
hineinzuschauen und zum Beispiel von Adorno zu erfahren: „Die Menschen haben
den Begriff der Freiheit so manipuliert, daß er schließlich auf das Recht des
Stärkeren und Reicheren herausläuft, dem Schwächeren und Ärmeren das wenige
abzunehmen, was er noch hat.“ Und sowieso gibt es „keine Freiheit, solange ein
jedes Ding seinen Preis hat“.
Schwupps - schon ist die Freiheit wieder da: indem wir nämlich über den ganzen Käse, der diesbezüglich zusammengefaselt wird, nicht mehr weiter nachdenken müssen.
Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
Schwupps - schon ist die Freiheit wieder da: indem wir nämlich über den ganzen Käse, der diesbezüglich zusammengefaselt wird, nicht mehr weiter nachdenken müssen.
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