Daß der menschliche Körper Öffnungen hat, ist an sich eine
segensreiche Fügung, das muß man nicht extra betonen: es wäre ein Elend, wenn
eine ganze Biergartenbesatzung hungertriefend und durstzerknittert vor Schenke
und Auslage stünde und die Schweinshaxen nicht mal riechen könnte, geschweige
denn hinunterspülen, weil sich die Evolution den Jux gemacht hätte, Nase, Mund und
Restkörper als in sich geschlossenes System zu konzipieren.
Indes will es gelernt sein, mit der Semipermeabilität des
eigenen Echtwelt-Avatars umzugehen. Das klassische Beispiel für sozusagen
intuitive Souveränität wäre die legendäre Zeitungsmeldung, derzufolge ein
blinder Inder (der vielleicht ein Chinese oder Alabamer war, aus poetischen
Gründen aber ein Inder sein sollte) sich einst in den Kopf schoß, um seiner
elenden Existenz ein Ende mit Hoffnung auf Wiedergeburt als Pandabär oder
Milliardär zu bereiten. Leider oder zum Glück führte der Schuß nicht zum
Exitus, sondern quasi eine hirnchirurgische Operation durch: Nach kurzer
Bewußtlosigkeit erwachte der vormals blinde Suizidant, konnte plötzlich sehen
und wurde vollends irrsinnig angesichts einer Welt, die seine schlimmsten
Vorstellungen exponentiell übertraf.
Indes war in diesem Fall die Körperöffnung, in die da etwas
drang und Wirksamkeit entfaltete, ja gewaltsam erst entstanden; ein Sonderfall
mithin. Interessanter, weil alltäglicher ist, was Menschen ganz ohne Schnitt-,
Schuß-, Stich- und sonstige Werkzeuge in ihren Körper hinein bugsieren, oft
offenbar ganz ohne es zu bemerken. Damit meine ich nicht die hirnzersetzenden „Informations“-Gifte,
die Springerverlag, Fernseh, Plakatwände und illustriertenbelesene
Zufallsbekanntschaften tagtäglich in unser Hirn hineindüngen, wenn wir nicht
rechtzeitig das Weite suchen, sondern Handfestes.
Z. B. wurde neulich in der Aachener Uniklinik ein 24jähriger
Afghane (der diesmal wirklich ein solcher war) behandelt, in dessen Kopf sich
ein zehn Zentimeter langer Bleistift befand. Leider sind die gängigen
Mitteilungswege in solchen Fällen immer recht ungenau, und so erfahren wir nur,
der Mann sei „offenbar im Kindesalter“ auf das Schreibwerkzeug „gestürzt“. Wie
so was vonstatten geht, wüßten wir gerne genauer. Schließlich kann es jedem von
uns beim Radlfahren passieren, daß er mal auf etwas stürzt – und sei es nur ein
Haufen Bauschutt. Fünfzehn Jahre später bei der tomographischen Klärung des
chronischen Gefühls von Schwermut und mentaler Last festzustellen, daß man die
ganze Zeit mit einem Pflasterstein im Hirn herumgelaufen ist, wäre eine höchst
sonderliche Erfahrung.
Daß die Aachener Ärzte laut Nachrichtenagentur den erwähnten
Bleistift „in einer aufwendigen Operation ersetzt“ haben sollen, macht die Sache
noch bedenklicher – durch was? fragen wir und denken an die viel beredete
Schere im Kopf von Schreiberlingen, die immer dann zum Einsatz kommt, wenn es die
Herrschenden bei ihren Bemühungen, die Welt zu verwerten und zu vernichten, gar
zu frech treiben und man eigentlich mal kritisch darüber berichten müßte.
Schnippel schnippel wird daraus ein flammendes Jubelplädoyer für Wachstum und
Deregulierung. Ein Mann mit einem Bleistift in der Birne könnte in solchen
Fällen moralzermürbend wirken; vielleicht deshalb mußte das Ding heraus.
Spaßiger ist eine neue Mode, von der aus Spanien und
Portugal berichtet wird: Dort stopft sich die weibliche Jugend neuerdings mit
Wodka getränkte Tampons in die Vagina, wovon sie via Schleimhaut in
nullkommanichts bombig berauscht wird, ohne daß bei Mundgeruchskontrollen ein
verräterischer Schnapsdunst auffiele. Jede sechste Befragte zwischen achtzehn
und neunundzwanzig, so erfahren wir von der wie üblich „besorgten“ Ärzteschaft,
hat schon mal mit einem solchen „Tampodka“ „experimentiert“. Die Vorstellung,
wie es etwa einem Herrn Brüderle gelingt, seinen Zustand ganztägig zu halten,
ohne viertelstündlich mit einer Rieslingpulle an der sechstoberen Körperöffnung
photographiert zu werden, drängt sich geradezu auf, soll hier indes aus
geschmackshygienischen Gründen nicht näher erörtert werden.
Statt dessen möchte ich ein Gespräch, das ich unlängst mit
befreundeten Angehörigen derselben Generation zum Themenbereich Liebe und Sex
führte, zum Anlaß nehmen, die iberische Methode der effektiven Nutzung von
Körperöffnungen für konsequent zu halten: Da nämlich wurde unter ihres- und
seinesgleichen eine neuartige Prüderie und Spießigkeit beklagt, die darauf
zurückgehe, daß im Dauerhagel von Formatierungsbefehlen (zu dünn, zu dick, zu
groß, zu klein, zu lang, zu kurz, zu hell, zu dunkel oder sonstwie
unproportioniert bzw. verwachsen) kein Mensch mehr seinen Körper für
wettbewerbsfähig halte, was dazu führe, daß kein Mensch sich mehr traue, ihn
auch nur vor dem Spiegel zu entkleiden, von souveränem Umgang und Freude an
dem, was man damit machen kann, gar nicht erst zu reden.
Eine ganze Generation, die in Jeans und Schlabberpulli zum
Baden geht, die nur noch Sex hat, um sich zu beweisen oder soziale Vorteile zu
erlangen, die dazu aber das Licht ausmacht oder, falls das nicht geht, den
Schlabberpulli und die Socken anbehält – diese Vorstellung ist so erbärmlich,
daß man sich am liebsten Augen, Ohren, Nase, Mund, Nabel und die in solchem
Umfeld höchstens vulgär zu benennenden weiteren Öffnungen mit Tampodkas und entsprechender
Gerätschaft befüllen möchte, um nichts mehr davon mitzukriegen.
Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin In München, diese Folge in Heft 12 vom 13. Juni 2013.
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