Ich konsumiere sehr selten Stoffe, die nicht zwingend legal
sind. Also sagen wir: nur wenn ich nüchtern und ungestört bin, also circa alle
zwanzig Jahre. Dann aber schon. Neulich zum Beispiel, da dachte ich: Oh, ich
bin ja nüchtern und ungestört! Und habe überhaupt keine Lust mehr, mich damit
zu beschäftigen, welche deutsche Herrenrassenkarikatur heute wieder in die Welt
bellt, irgendein Grieche müsse seine Hausaufgaben machen und Hitler sei der
neue Putin pi pa po. Da werde ich jetzt doch am besten mal das XY rausholen,
das mir XY vor drei Jahren geschenkt hat, und das … ähem, na ja. Was ich damit
tun wollte, darf ich ja nicht sagen, weil das eine Selbstanzeige wäre.
Tat ich aber. Zehn Minuten später, während ich grade
herauszufinden versuchte, ob ich was spüre, klingelt es an der Tür. Draußen
steht das Schwarze Phantom. Ich habe das Schwarze Phantom seit ewigen Zeiten
nicht gesehen, zuletzt in einem Micky-Maus-Heft, und da hat es mich ganz schön
erschreckt.
„Oh!“ sage ich. „Das Schwarze Phantom!“
„Harr!“ sagt das Schwarze Phantom, und da erschrecke ich so,
daß ich die Tür zuschlage und eine Minute lange denke, ich spiele in einem
Micky-Maus-Heft mit. Micky-Maus-Mitspielphantasien kriegt man am besten mit
Buffy weg. Ich lege eine Buffy-Folge ein und wundere mich über den Käse, an den
jemand gedacht hat und der immer wieder auftaucht. Käse! Ich gehe in die Küche,
hole den wundervollen Heublumenkäse aus der Glocke, schneide ihn klein und esse
ihn in circa zwanzig Sekunden komplett auf.
Es läutet. Draußen steht das Schwarze Phantom. Gestärkt vom
Käse, werde ich mutig: „Buh!“ buhe ich es an und schlage die Tür zu. Da bemerke
ich, daß neben der Tür zwei Pizzakartons stehen. Ich habe in meinem ganzen
Leben noch keine Pizza bestellt, also: Was soll das? Ich mag den Käse auf euren
Pizzas nicht, denke ich und denke an den Heublumenkäse, den ich so mag, gehe in
die Küche, schneide den Heublumenkäse in der Glocke klein und esse ihn in circa
zwanzig Sekunden auf, lese dazu einen Roman von meinem zweitliebsten Autor
Frederick Barthelme, der nie auf deutsch erschienen ist, und wundere mich, wie
man in zwanzig Sekunden einen Roman lesen kann. Habe ich aber getan, und ich
könnte ihn jederzeit problemlos nacherzählen, allerdings in zwanzig Stunden.
„Läuft, was?“ sagt das Schwarze Phantom, und ich knalle die
Tür zu. Drei Pizzakartons. Auch egal jetzt, ich will ja noch den Heublumenkäse
essen und einen Leserbrief an eine Literaturzeitschrift verfassen, um mich zu
beschweren, daß in den letzten zwanzig Jahren kein Buch von Frederick Barthelme
auf deutsch erschienen ist. Allerdings kenne ich keine Literaturzeitschrift.
Gibt es so was überhaupt noch?
„Painted Desert“ heißt der nächste Roman. Er ist großartig,
und ich lese ihn, während ich den Käse aufschneide, esse und mich frage, wieso
es nicht dunkel wird.
„Selber schuld“, sagt das Schwarze Phantom, „du bist zu
schnell!“ Ich knalle die Tür zu, registriere den vierten Pizzakarton, schneide
den Käse auf und durchsuche den Stapel vor dem Regal nach mehr Büchern von
Frederick Barthelme. Eines habe ich noch, irgendwo, und ein bißchen dunkel wird
es jetzt doch.
Das Schwarze Phantom klingelt danach noch dreimal, dann
klingelt meine Nachbarin, die mir ihren neuen Bikini vorführen will, weil sie
meint, sie habe in dem Teil da hinten eine Falte. Da hinten, sage ich, hat
jeder eine Falte, mit oder ohne Bikini, und sie schaut mich zwar ein bißchen
seltsam an, ist aber offenbar beruhigt. Ich erzähle ihr noch dies und das von
Barthelme, Micky Maus und Buffy, was sie viel weniger lustig findet als ich,
weshalb ich ihr zu erklären versuche, was genau daran lustig ist, aber das
versteht sie noch weniger, und so frage ich sie zur Aufheiterung, ob sie Lust
auf ein Stück Heublumenkäse hat, aber sie sagt, sie müsse morgen nach Paris.
Als ich wieder in meiner Küche stehe, den Käse aufschneide
und nebenbei Barthelme lese, fällt mir der großartige Satz auf: „When we got
there, there wasn’t any there there.“ Der Satz ist so großartig, daß ich ihn
wieder und wieder lese, bis ich irgendwann bemerke, daß es draußen wieder hell
wird und ich Lust auf Schokolade habe.
Es klingelt, ich öffne die Tür und sage „Buh!“, aber es ist
diesmal nicht das Schwarze Phantom, sondern die Nachbarin, die einen Moment
lang erschrocken schweigt und dann fragt, ob ich vielleicht ein Paket für sie
angenommen habe. „Nur Pizzas“, sage ich und deute auf die Kartons, die sich
jedoch auf wunderliche Weise in Pakete von Amazon, Zalando und anderen
Versandhändlern verwandelt haben. „Oh“, sage ich und überreiche ihr ihr Paket,
ebenso wie den drei anderen Nachbarn, die danach noch klingeln.
Den folgenden Tag habe ich damit verbracht, „Painted Desert“
von Frederick Barthelme zu lesen, Schokolade zu essen und mich mit leise
surrendem Kopf zu fragen, was wohl der Paketbote von mir denkt. Und mir zu
sagen, daß ich eigentlich ganz froh bin, daß ich nur ganz selten Stoffe
konsumiere, die nicht zwingend legal sind. Und diesen Text zu schreiben.
Und hinzuzufügen, daß all dies selbstverständlich vollkommen
frei erfunden ist, wie alle Geschichten, in denen das Schwarze Phantom,
Heublumenkäse, Micky Maus, Buffy, Pizzaschachteln und ein Bikini vorkommen und
in denen es erst gar nicht und dann viel zu schnell dunkel und wieder hell
wird.
Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN und liegt in momentan vier Bänden als Buch vor.
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