Mein Teebeutel hat heute früh zu mir gesagt: „Du musst für
etwas leben, dass (sic!) größer ist als du.“ Normalerweise ist es mir herzlich
egal, was mein Teebeutel so plappert, schließlich plärren heutzutage die
meisten Gegenstände, die einem im Laufe eines Tages über den Weg laufen,
irgendwelche Botschaften in die Welt. So was blende ich automatisch aus.
In diesem Fall bin ich hängengeblieben. Vielleicht war ich
zu früh aufgestanden und im frühvormittäglichen Dunzelzustand der entsprechende
Mechanismus in meinem Gehirn noch nicht aktiviert, vielleicht war es auch der heutzutage
ameisenmäßig über den gesamten landesweiten Textausstoß verbreitete
Neusprechblödsinnsfehler, der sich wie ein fieser Spreißel in meine
Aufmerksamkeit gebohrt hat.
Egal. Jedenfalls begann ich zu überlegen. Zwar ist die
Einbildung, es gebe etwas, was größer ist als man selbst und wofür man zu leben
(und notfalls zu sterben) habe, die zentrale Stützkonserve sämtlicher
Faschismen, aber vielleicht läßt sich, wenn das halt nun mal sein muß,
irgendwas finden, was das Dafürleben tatsächlich wert wäre? Ein Gott? eine
Firma? die Gaucksche Supermarkt-„Freiheit“? Nö, eher nicht.
Wie wär’s mit der Grammatik? fragt mein Teebeutel mit einem
fröhlichen Grinsen. Ein plausibler Vorschlag, aber wenn ich nun minimalerweise
loszöge, um mit flammendem Tipp-Ex-Schwert sämtliche falschen Doppel-s-„dass“e
aus der Welt zu merzen, käme ich höchstens bis zur Ecke Herzog-/Belgradstraße,
ehe ich erschöpft zusammenbräche und zugeben müßte, daß die Grammatik größer
als ich, die Blödschwätzerei jedoch unendlich viel größer als die Grammatik
ist. Sowieso bin ich für exzessive Rechthabereikampagnen viel zu faul, und
außerdem: Es sind zumindest für den Rest meines Einzellebens genug schöne Texte
mit intakter Grammatik verfügbar, und wenn doofe Texte von der Karies der
Reformschreiberei bis zur Unverständlichkeit zerfressen werden, sollte einen
das eher freuen als grämen.
Aber, mahnt der Teebeutel, man kann doch nicht den lieben
langen Tag sonnenbaden, schrulliges Zeug zusammendenken, flanieren,
linksradikale Rockmusik hören und nebenbei in milder Muße am Ewigkeitswerk
Wohnungsrenovierung herumbasteln, indem man quadratzentimeterweise alte
Rauhfasertapeten von der Wand schabt! Während draußen in der Welt zum Beispiel
das Klima zerpludert und die NATO den Krieg gegen Rußland vorbereitet!
Ja nun, auch das mag sein, und ohne Zweifel ist sowohl das
Klima als auch der mythische Weltfriede (der meines Wissens zuletzt einige
Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung gesichtet wurde, was aber auch am Mangel
an Aufzeichnungen oder Menschen liegen kann) größer als ich. Aber wie „lebt“
man „für“ das eine oder den anderen? Soll ich etwa in diese seltsame Partei
eintreten, die einst behauptete, die Umwelt schützen zu wollen, und heute mit
diversen „Energiewenden“ und Grünen Wachstümern dafür sorgen möchte, noch
schneller und effektiver ein menschenfeindliches klimatisches Katastrophentheater
zusammenzudröseln, und in der sich dazu noch die derzeit schlimmsten
Kriegshetzer außerhalb des US-amerikanischen Konglomerats von Waffenherstellern
und Neocon-Fanatikern tummeln (weil sie als alte Maoisten schließlich schon
seit einem halben Jahrhundert überzeugt sind, daß Rußland das Reich des Bösen
ist)? Soll ich mich bei Twitter anmelden und dem rund um die Uhr tobenden Sturm
von Stuß auch noch ein paar aufrufende Zeilen hinzufügen, die ebensowenig
jemand liest wie die Trilliarden anderen, die nicht von Boris Becker oder Kai
Diekmann stammen?
Oder soll ich mich als Sandwichmann an den Autobahnrand
stellen und mit einem einprägsamen Slogan (etwa „Spart mehr Sprit!“) dazu
beizutragen versuchen, daß dieser Irrsinn noch ein paar Jahre länger so
weitergehen kann? Auch keine gute Idee, schließlich bin ich entschieden dafür,
die gesamten Erdölvorräte des Planeten so schnell wie möglich abzufackeln,
damit endlich Ruhe ist, und zwar möglichst noch bevor den Anführern der
Mobilitätsterroristen was einfällt, womit sie auch ohne Benzin weiterrasen
können. Dafür zu werben, zu prangern und Ein-Mann-Menschenketten zu bilden wäre
aber ebenfalls zwecklos, weil es mit Sicherheit falsch verstanden würde und ich
dann in endlosen „Talkrunden“ vergeblich versuchen müßte, das Phrasengeschwafel
von Hans-Werner Sinn, Arnulf Baring und Karl Lauterbach zu unterbrechen, um
„meinen Standpunkt darzulegen“, wofür ich am Ende wahrscheinlich auch noch
Unterstützung von Menschen bekäme, mit denen ich nicht das geringste zu tun
haben möchte.
Und nicht zuletzt ist meine Wohnung zwar kleiner als die angebliche
Welt, aber zweifellos größer als ich. Und wer Tapeten abschabt, kann derweil
nicht in ein Auto steigen, einem sogenannten Ziel entgegenröhren und dabei
Giftgas ausstoßen. Und eine schönere Wohnung macht die Welt schöner; zwar nur
für die, die drinnen sind, aber immerhin. Und wer das Tapetenabschaben nur
unterbricht, um in der Sonne zu baden und durch die Gegend zu flanieren, hat
keine Zeit, zu einem Krieg hinzugehen. Und wer sich dabei mit linksradikaler
Rockmusik volldröhnt, hört zumindest die Befehle, Parolen und Kommandos nicht,
die ihm die akustischen „Medien“ entgegenbrettern.
Da schweigt er, der Teebeutel. Und die Welt tut es ihm nach,
zumindest vorübergehend. Wie schön.
Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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