Das Schlimmste am Winter ist seine Länge: Er dauert und
dauert, kommt zurück, wenn er weg scheint, dauert und dauert wieder und will
nicht mehr weggehen. Das ist aber auch das Schöne am Winter: wenn die Hoffnung
auf den Frühling immer wieder wie ein hellblauer Schleier in die Seele weht,
greifbar scheint, mit einem milden, melancholischen Lächeln vergeht, sobald man
ihn fassen möchte. In diesen Momenten pulsiert die Seele, schwillt das Herz,
und eigentlich kann man davon kaum genug bekommen – wie schnöde dagegen der
„echte“ Frühling, wenn er dann brettlbreit in den Schlammpfützen der
Schneeschmelze sitzt.
In Schweden ist der Winter nicht nur schöner, sondern auch
länger, deshalb gibt es dort auch mehr Hoffnung, mehr fröhliche Melancholie. In
Schweden dauert überhaupt alles länger, was automatisch dazu führt, daß es
vieles gleichzeitig gibt – zum Beispiel sind dort die 70er, 80er, 90er und
andere Epochen der Musikgeschichte selbstverständlicher Teil der erweiterten
Gegenwart, die wie ein hellblauer Schleier um die Rasierklingenkante des
Augenblicks weht. Man lacht und weint dort zur selben Zeit, oder zumindest
möchte man das meinen, wenn man schwedische Popmusik hört, der wie kein anderes
Regionalidiom der Seiltanz zwischen Genie und Banalität, zwischen Peinlichkeit
und hinreißender Vollkommenheit, zwischen Plagiat und Zeitlosigkeit gelingt –
von Abba bis Monster, von Komeda bis Mando Diao, von Popsicle bis Lykke Li, von
den Cardigans bis … sagen wir mal:
Lacrosse, deren drittes Album wie eine auf Genregrenzen
pfeifende Zufallscompilation wirkt. Eine Portion Sandstranddisco, ein Batzen
Schäfchenwolkengitarrenpop, ein Haufen Elektroindie, eine Scheibe
Post-New-Wave, ein Hauch von fast klangloser Balladerie – man meint, es sei
eine ganze Batterie von Bands und Projekten, die hier ihre vor Hoffnung und
Lust überströmenden Demos zusammengestellt und manchmal – etwa in dem
hinreißenden „If Summer Ends“ – auch miteinander verklinkt und ineinander gemixt
haben. Einziges verbindendes Merkmal: Es müssen Songs sein, aus denen sich
theoretisch Spielmaterial für sämtliche Radiosender der Welt und Futter für die
Top ten des Gesamtplaneten destillieren ließe.
Theoretisch? Demos? Genau, das nämlich ist das Schöne an
diesem Album: Es klingt so charmant unfertig, offen und experimentell suchend –
es ist alles das noch drin und dran, was bei einer „richtigen“ Produktion
wegfällt und rundgeschliffen wird. Keine Idee, von der irgend jemand dachte
„Das könnten wir doch auch noch machen, und zwar am besten ganz anders!“, ist ersetzt
worden durch Gängigkeit, Schlüssigkeit und Kohäsivität. Instrumente, Effekte,
Klänge, Breaks und Gimmicks rasseln derart wild durcheinander, daß man sich mit
mundoffener Verblüffung fragt, wie ein derart disparater Brummkreisel so eins
sein kann.
Das liegt vielleicht daran, daß der erste Eindruck täuscht:
Es dauerte drei lange Jahre und Winter, diese Songs weniger zu schreiben als
sie wachsen zu lassen wie wilde Gebüsche, die dann unter der pflegenden Hand
des Produzenten Henrik Svensson (dem es schon gelungen ist, aus dem
Erzplagiator Moneybrother einen echten Popstar zu machen) genau im richtigen
Moment in einer Pracht erblühten, gegen die im Moment des Hörens alles andere
wie fad-monochromes Geraniengestrüpp wirkt.
Aber was ist schon alles andere? „This Is Not A War, No Winners No Losers“ (das aktuelle Lieblingslied des Autors dieser Zeilen: Es beginnt als bezaubernd naives Lagerfeuer-Kammerpop-Minijuwel und wird zur Gebirge überspannenden Hymne, die in einer selbstironischen Stadionrock-Kanonade gipfelt) – wenn Popmusik wirklich „gut“ ist, steht sie in der erweiterten Gegenwart der Albumspielzeit ganz für sich allein, so als hätte es überhaupt noch nie etwas anderes gegeben. So wie dieses Album.
Aber was ist schon alles andere? „This Is Not A War, No Winners No Losers“ (das aktuelle Lieblingslied des Autors dieser Zeilen: Es beginnt als bezaubernd naives Lagerfeuer-Kammerpop-Minijuwel und wird zur Gebirge überspannenden Hymne, die in einer selbstironischen Stadionrock-Kanonade gipfelt) – wenn Popmusik wirklich „gut“ ist, steht sie in der erweiterten Gegenwart der Albumspielzeit ganz für sich allein, so als hätte es überhaupt noch nie etwas anderes gegeben. So wie dieses Album.
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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