Wichtigster Jahresend- oder -beginnvorsatz für den
umsichtigen, auf das Leserwohl bedachten Kolumnisten: Nie mehr einen einzigen
Lästerartikel über die deutsche Bahn! Das nämlich – das Abfassen von
Lästerartikeln über die deutsche Bahn – ist ungefähr so originell und
interessant, wie wenn der Pfaffe von der Kanzel den Deibel einen rechten
Tunichtgut heißt.
Daß die deutsche Bahn ein Saftladen ist, dessen einziger
Zweck darin besteht, milliardenteure Löcher unter die schwäbische Krume
hineinzubohren, in die das beschauliche Stuttgart dereinst ebenso hineinsinken
wird wie jetzt schon manch ein bäuerliches Anwesen im Umland, dürfte sich
inzwischen herumgesprochen haben. Ebenso ist bekannt, mit welcher Vehemenz man
dort Beschäftigungstherapie für Fahrplanphantasten betreibt, die durch die
manische Erstellung immer noch schnellerer und lückenloserer „Fahrpläne“ – für
die es Züge erst im Jahr 3000 und Bahnhöfe längst vorher längst nicht mehr
geben wird – für ein Ausmaß an Ausfällen und Verspätungen sorgen, das die
schlimmsten Befürchtungen aus den letzten Wochen des Ersten Weltkriegs
übertrifft.
Ja, das wissen wir alles. Wir wissen auch, daß die diversen
„Bahnchefs“ der letzten Jahre – Dürr, Mehdorn, Grube – vor ihrem Amtsantritt
nie etwas mit Bahn zu tun und lediglich „Chef“ gelernt hatten, ebenso wie die
Verkehrsminister Ramsauer und Dobrint übrigens, deren Namen zwar entfernt an
Kosebezeichnungen für frühneuzeitliche Dampflokomotiven erinnern, die aber
ansonsten verkehrspolitisch ebenso schimmerlos sind, im Gegensatz zu den
„Bahnchefs“ indes immerhin so höflich waren, ihr Gehalt nicht innerhalb von
zwei Jahrzehnten zu verzwanzigfachen.
Des weiteren wissen wir, daß in den Zügen der deutschen Bahn
nicht nur die Sitze immer kleiner und enger, sondern insgesamt weniger werden,
damit sich das derweil unermüdlich aufgespeckte Menschengewürm ordentlich
tümmelt, drängelt und mit Grippe ansteckt, während es mit einer halben
Arschbacke auf dem Restmüllbehälter von Garmisch nach Kiel tuckert – was heute
immerhin trotz der Stillegung zehntausender Kilometer Strecke und (seit 1994)
der Hälfte aller Bahnhöfe (in den Gegenden, in die laut Statistik immer mehr
Menschen fahren wollen) kaum länger dauert als 1918.
Aber über was soll man schon sinnieren, wenn man zwei
Winternächte damit verbringt, zwischen München und der Toskana hin- und wieder
herzufahren, in Florenz hocherfreut feststellt, daß die Italiener in ihrem
ebenso idiotischen „Firenze 21“-Milliardenverbuddelungswahn wenigstens so
langsam vorankommen, daß die stinkige alte Sala d’attesa für die Übergangszeit
in einen modern illuminierten Wartebereich mit angeschlossenem (und aber
traditionell geschlossenem) Beauty-Center verwandelt wurde, der aussieht wie
ein Science-fiction-Raumschiff aus den 80ern? Wenn man da drin dann fröhlich
rülpsend und keckernd mit Nastro Azzuro anstößt und den Pecorino teilt, bis
eine höfliche Raumschiffsfrau in Uniform einem erklärt, man müsse die
restlichen zwei oder drei Stunden bis zur verspäteten Abfahrt leider irgendwo
zwischen Gleis, Glasscherben und (immerhin fröhlichen) Bettlern herumhängen,
weil der einst stolz in öffentlichem Auftrag eingerichtete Wartesaal jetzt
einer privaten Aktiengesellschaft namens NTV gehört, die im gesamten Bahnhof
Ausgabestellen für Reklamezettel errichtet hat, auf denen für den selben
Hochgeschwindigkeits-Fernstrecken-Blödsinn getrommelt wird, für den die
deutsche Bahn seit Jahrzehnten unser Geld in schwäbische Erdlöcher und aus
sonstigen Fenstern schmeißt?
Am besten über etwas ganz anderes. Zum Beispiel kann man
dank der segensreichen Erfindung des Internets (von dem man sich nicht
auszumalen wagt, es werde von der deutschen Bahn betrieben) endlich mal wieder
wahllos in alten Büchern herumblättern und dabei in Franz Xaver Remlings
„Geschichte der Bischöfe zu Speyer“ die haarsträubend faszinierende und
belustigende Biographie von Damian August Philipp Karl Reichsgraf von
Limburg-Stirum (1721–1797) entdecken, einem offenbar absolut maßlosen
Streithansel, der sich mit Freund und Feind sowie seinem Domkapitel derart ausdauernd
und vehement fetzte, daß sich das geistliche Gremium zu einschneidenden
Maßnahmen gezwungen sah: Es „ließ den Koch desselben, in Mitte des Winters und
vor Ablauf der Miethzeit, durch Ausheben der Thüre und Fenster aus dessen
Wohnung im Fürstengarten verdrängen.“ Im Gegenzug verfügte August die
Neuerrichtung einer Stadtmauer um Bruchsal, weil er „nicht ohne Befremden
wahrgenommen“ hatte, daß dort „ohne einige Beschwerniß ein- und auspassiert
werden könne und dahero dem lüderlichen und boshaften Gesindel, besonders zur
Nachtzeit, gleichsam der Paß offen stehe“.
Über das äußere Erscheinen des Fürstbischofs berichtet
Remling: „Seine Stimme war stark und durch lurpfende Gurgeltöne eigenthümlich.“
Aus Johannes Nasts „Teutschem Sprachforscher, allen Liebhabern ihrer
Mutersprache zur Prüfung vorgelegt“ (1777) wissen wir: „Vile Menschen können
das r nicht rein sprechen, und das heist man Lorpfen, oder Lurpfen.“ Aber das
ist egal, denn während der mittlerweile greise Bischof auf der Flucht vor den
wilden Horden der französischen Revoluzzer bereits zwei Testamente gemacht hat
und korrespondierend immer noch tobt, er verbitte sich „für die Zukunft derley
Gewäsche“ und lasse sich „ein für alle Male nicht am Narrenpfeile herumführen“,
bis endlich am 26. Februar 1797 „ein Stickkatarrh die Auflösung herbei“ führt
und er leider verscheidet – derweil sitzen wir endlich doch im vollkommen
überfüllten Zug.
Und während die Reisegefährtin trotz qualvollem Gewimmel
entschlummert, formt sich in meinem reisenden Gehirn auf traditionell wirr
mäandrierende Weise ein kolumnistisches Lehrstück über Leben und Schicksal des
Herrn Limburg-Stirum. Allerdings haben wir den Fehler gemacht, keine der
schweinsteuren Liegen im furzschweißsudgesättigten Liegeabteil zu mieten,
sondern ganz normale Sitze, und eine derartige Verweigerungshaltung muß bestraft
werden; deshalb passirt in den folgenden Nachtstunden gefühlt alle zehn Minuten
lüderliches und boshaftes Gesindel daher, um mit lurpfenden Gurgeltönen das
Vorzeigen von wahlweise Fahrkarten oder Ausweisen oder beidem zu fordern,
selbige zu betrachten und manchmal mit einem zwecklosen Zwackstempel
zwackzustempeln, bis wir uns endlich nicht mehr am Narrenpfeile herumführen
lassen und uns solche Beschwerniß, besonders zur Nachtzeit, verbitten.
Was antwortet darauf der Kerl, der momentan mit dem
Zwackstempeln dran ist? „Hätten Sie eben im Liegewagen reserviert, hä hä!“
Tja. Und weil wir die Horden der Störenfriede leider nicht durch Ausheben von Thüren und Fenstern verdrängen konnten, ist aus dem schönen Vorsatz leider nichts oder vielmehr eine Kolumne über die deutsche Bahn geworden. Immerhin: die letzte, Ehrenwort.
Tja. Und weil wir die Horden der Störenfriede leider nicht durch Ausheben von Thüren und Fenstern verdrängen konnten, ist aus dem schönen Vorsatz leider nichts oder vielmehr eine Kolumne über die deutsche Bahn geworden. Immerhin: die letzte, Ehrenwort.
Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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