„Wenn du heute gehst, nimm mit die Nacht“: Ein Mann ist aus
der Wüste gekommen, geritten auf einem weißen Pferd, das man aus weiter Ferne
zwischen den Kakteen und Agaven nahen sah, schwankend irgendwie, was aber vielleicht
auch an der kochenden Luft liegen mag, die in Bodennähe die Sicht trübt,
weshalb die Menschen hier dazu neigen, nach oben ins Weltall zu blicken, von
dem sie sich seit Jahrhunderten, seit sie wissen, daß es da oben ein Weltall
gibt, fragen, wieso es blau ist.
„Der Tag kommt von hinten“, sagt der Mann. Vielleicht.
Der Mann ist in der Wüste Joe Strummer begegnet; das ist
lange her, und es gibt nichts davon zu erzählen, weil nichts passiert ist. Es
passiert ja eigentlich nie etwas, wenn Menschen in der Wüste einander begegnen.
Doch, manchmal: Musik oder etwas ähnliches, was verfliegt, wenn sich der Blick
von der blauen Magie des Weltalls herab senkt und festzuhalten versucht, was in
der kochenden Luft nicht festzuhalten ist.
Der Mann ist unterwegs ins Inland Empire, ein Land, das es
nicht mehr gibt, weil dort jetzt Menschen wimmeln und Produkte und Smog
erzeugen, damit sie Häuser bauen können, mit Fenstern, die man zumachen kann,
damit der Smog nicht hineinkommt. Früher gab es hier Orangenbäume, von Horizont
zu Horizont fast nichts als Orangenbäume, ohne Produkte, Smog und fast auch
ohne Menschen, und damals gab es vielleicht auch Musik, die aber niemand je
gehört hat. Bis heute.
Vielleicht ist Inland Empire aber ein anderer Ort, zum
Beispiel die ehemalige Insel San Fernando an der spanischen Südküste, die keine
Insel mehr ist und die in die Geschichte einging, weil sie sich 1810, als
Napoleon ganz Spanien und Europa erobert hatte, dennoch zu kapitulieren
weigerte – der Anfang vom Ende der napoleonischen Herrschaft. Vielleicht wurde San
Fernando, nach dessen Observatorium man heute noch in ganz Spanien die Uhren
stellt, damit zum Vorbild für ein gallisches Dorf, das jeder kennt und keiner
je gefunden hat, weil es nicht zu finden ist, nur in der Phantasie, die sich
gegen die Besatzung durch Produkte, Smog und wimmelnde Menschen wehrt.
Auch das Inland Empire, von dem hier die Rede ist, ist nicht
zu finden, weil es nicht mehr existiert, vielleicht nie existiert hat. Es ist (immer)
ein anderer Ort oder kein Ort. John Lennon sang davon: „It’s my mind, and
there’s no time when I’m alone.“ Stephen Sondheim ließ davon singen in der
„West Side Story“: „Peace and quiet and open air wait for us somewhere.
We'll
find a new way of living. We'll find a way of forgiving. Somewhere.“ David
Lynch erzählt davon in seinem Film „Inland Empire“, den niemand je verstanden
hat: von dem „Universum, das wir alle im Hirn haben“.
Davon erzählt auch der Mann, der auf seinem weißen Pferd aus
der Wüste kam und von wir vielleicht kurz erwähnen könnten, daß er mal Sänger
bei einer Band war, die „berühmt“ wurde, weil eines ihrer Mitglieder später bei
Franz Ferdinand spielte und einen so etwas gerne mal unabsichtlich „berühmt“
macht, weil Musikjournalisten was zu schreiben brauchen, um nicht über Musik
schreiben zu müssen.
Oder nein, wir erwähnen es einfach mal nicht. Wir lassen den
Mann lieber selbst erzählen, lassen es aus ihm erzählen, das Universum, das wir
alle im Hirn haben, während um ihn herum die Gitarren, Ukulelen, Geigen,
Trommeln und Saxophone ein Land bilden, das Inland Empire heißen könnte. Dort
lassen wir uns nieder im Sand und in der kochenden Luft, richten den Blick ins
blaue Universum und vermeinen, da sei vielleicht doch etwas passiert mit Joe
Strummer, ein Teil von ihm vielleicht hineingeschlüpft in den Mann auf dem
weißen Pferd, damals, als Joe so lange ins blaue Universum gestarrt hat, bis es
ihn eingesaugt hat.
„Mein Name ist große Freiheit, und ich war schon immer hier“,
sagt der Mann. Vielleicht.
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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