Es gab einmal eine Zeit, da war Dracula nicht die ausgelutschte Blutlutschgestalt, als die er durch tausende langweilige Viertelgruselfilme und Kitschromane stiefelt, angebliche Jungfrauen erbleichen und sich selbst endlich einen Holzscheit ins Brustgehäuse hämmern läßt, immer mit irgendwelchen angeblichen erotischen Symbolen und Metaphern als Hintergrundtapete. Nein, da war Dracula ein Lebensmodell für tausende Großstadt-Jungmenschen, die sich in Kellerclubs versammelten, mit weißgepuderten Gesichtern, schwarzen Vogelnestern auf der Birne und in lange Third-Hand-Mäntel gehüllt eigentümliche tanzähnliche Bewegungen durchführten und ansonsten in Denkmalpose am Tresen standen, Bier tranken und per Zehn-Minuten-nach-dem-Suizid-Gesichtsausdruck ausdrückten, was für ein Untergang alles war.
Es gab einmal eine Zeit, da war Bauhaus nicht das Wort, das
beim typisch deutschen Kulturspießer so ungefähr alles zusammenrepräsentiert,
was sich in seinem Synapsensieb an Small-Talk-Rückständen zur
Themenschnittmenge Architektur/Design/Moderne angesuppt hat. Nein, da war
Bauhaus der seltsam weltekle Krach, der in den Kellerläden der Draculas dröhnte
und jugendkulturabgrenzungsmäßig den Vorteil hatte, daß ihn selbst die ärgsten Spätpunks
für ödeblöde hielten und der Rest der Welt keinen Schimmer hatte, was daran
Musik sein sollte.
Nein, im Ernst – die Band um den oberdraculösen Jammersänger
Peter Murphy für Firlefanz zu halten, das war damals wirklich ziemlich leicht.
Das kaum geprobte, in immerhin cooler Scheiß-drauf-Manier heruntergeklumperte
Goten-Getöne, das sie auf Schallplatten pressen ließen, und das Gemenge aus
Posen, Faschingsmaskerade, Zitaten, Großgesten und Wichtiggetue, das sie von
1979 bis 1983 veranstalteten, roch immer sehr künstlich und hohl, sah besser
aus, als es klang, und war verglichen mit Konkurrenten wie (den frühen) Adam
& The Antz, The Cure und Japan entschieden zweitklassig und derivativ – ihr
größter Hit war nicht umsonst ein Bowie-Cover, „Ziggy Stardust“, noch dazu in
einer eher einfallslosen Rumpelbumpel-Kupferversion. Irgendwann waren Bauhaus
dann weg, und was als Erinnerung blieb, war äußerst überwiegend optischer
Natur, höchstens.
Wenn sich eine solche Band nach vielen sicherlich irgendwie ehrbaren,
aber kommerziell nicht eben millionenträchtigen Solo- und anderen Projekten
wieder vereint, liegt der Gedanke an den Klingelbeutel nicht fern; schließlich
sind die damaligen Draculas inzwischen meistenteils
sozialversicherungspflichtig tätig und kaufen am liebsten das, was sie
irgendwie an die gute alte Zeit erinnert, als alles das passierte, wovon sie
heute noch gerne renommieren und wunschträumen. Aber schon die Vorankündigung,
das Album sei in 18 Tagen in der sonnigen Kleinstadt Ojai an der kalifornischen
Küste entstanden, enthalte ausschließlich First Takes und sei der definitive
Abschiedsgruß der Band (ohne Welttournee und all das), klang doch ziemlich
wagemutig. Und dann bleibt einem beim Hören vor Staunen der Mund offen: Freilich,
„echte“ Songs schreiben haben Bauhaus nicht gelernt (Gott sei Dank), ihre Riffs
scheppern wie rostiger Schrott, und gespielt ist das alles immer noch mit einer
brutalen Scheiß-drauf-Attitüde; aber die wirkt jetzt auf einmal saucool. Schon
die ersten zwei Songs knallen dermaßen primitiv, zynisch und spaßig, als hätte
David Bowie mit den Stooges ein hypermodernes Dance-Rock-Album aufnehmen
wollen. Mit „Undone“ feiert das Pathos der 80er ein Comeback – hätten die
damals wirklich so geklungen, wünschten wir sie uns sofort zurück, und bei
„Endless Summer Of The Damned“ kann man nicht mehr anders als konstatieren, daß
man da das beste Bowie-Album seit 27 Jahren hört (mit dem kleinen
Nebengedanken, daß man sich so wie das hier wahrscheinlich Tin Machine
vorgestellt hat, bevor man sie hörte). Da wird experimentiert, probiert und
frei assoziiert, ohne Konzept und Grenzen, spannend, erfrischend, charmant,
perfekt futurmodern und erfüllt von pulsierender Aufbruchsstimmung. Spätestens die
trümmermelancholische, wild mäandernde, salzseeweite Ballade „Saved“ verlangt
nach einer Entscheidung: Entweder man verweigert sich und hält das alles weiterhin
für unnützen Blödsinn ohne „Tiefe“, „Wertigkeit“, instrumentale „Viruosität“
und moralische Aufbauwirkung (und was man Musik noch so alles zuschreiben mag),
oder man öffnet die Ohren und das Herz und läßt sich hineinsinken in eine
große, unwiderstehliche Leere, an deren triumphalem Ende die Erkenntnis
dämmert, daß Bands manchmal 30 Jahre brauchen, um herauszufinden, was sie
wollen und was sie sind. Und wenn sie’s dann wissen, schmeißen sie’s hin und
sind wieder weg. Ist das cool oder was?
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN. Diese Folge erschien im Februar 2008.
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