Indien, habe ich heute erfahren, hat gestern eine „Sonde“
zum Mars geschossen (oder das zumindest versucht). Das ist an Sinnhaftigkeit
kaum zu überbieten – schließlich soll das Ding von dort aus ab September 2014
„Daten senden“. Davon, das weiß inzwischen jedes Kind, kann man nie genug
haben. Und nachdem die Geheimdienste von uns Homo-sapiens-Würsteln schon
sämtliche Daten eingesammelt haben, sind nun eben die Marsmöpse dran, von denen
man seit der legendären Dokumentation von Orson Welles vor 75 Jahren nicht mehr
allzu viel gehört hat. „Unsere Daten“, verkündet Udipi Ramachandra Rao, der (wegen
allzu vieler beim Start geplatzter Raketen) ehemalige Chef der indischen
Raumfahrtbehörde, „waren und sind von großer Bedeutung für Land- und
Fischereiwirtschaft.“
Das ist freilich Blödsinn. Herrn Welles’ Radiobeitrag war so
echt und glaubwürdig wie ein beliebiges Fernsehfilmchen zu Politik und
Wirtschaft, und den Indern geht es ebensowenig wie allen anderen
Raketenballerern darum, die Forellenzucht und das Kompostwesen auf fremden
Planeten zu studieren. Die paar Wassermoleküle, die eine indische Sonde vor
fünf Jahren angeblich auf dem Mond entdeckt hat (und die wahrscheinlich der
zerstäubten Notdurft amerikanischer Astronauten entstammten), sind sicherlich
auch kein hinreichender Anlaß für ein Land, in dem etwa 660 Millionen Menschen
an kapitalismusbedingter Unterernährung leiden (und alljährlich 2,1 Millionen
Kinder vor dem fünften Lebensjahr sterben), 660 Millionen Euro pro Jahr für
Sonden auszugeben.
Schließlich haben wir genug Berichte über die Raumfahrt
gesehen, um zu wissen, worum es dabei geht und worauf nun auch die Inder scharf
sind: Auf so ziemlich jedem Himmelskörper in Reichweite menschlicher Raketen fahren
beziehungsweise rosten inzwischen Autos herum, vom „Lunar Roving Vehicle“
(einer Art moderner Großstadtpanzerkarre ohne Blech) bis hin zu diversen
Roboterschnauferln, die sich zur Schadenfreude ihrer per Kamera verbundenen
Hersteller quietschend und ruckelnd über planetare Sanddünen quälen.
Der Mensch, lernen wir daraus, muß das, was ihm am
wichtigsten ist, überall tun, sogar da, wo er selber gar nicht hinkommt,
sondern nur Raketen hinschießen kann. Schließlich geht es hier um die Zukunft:
Weil die müde alte Erde infolge des Autofahrens (und ein paar anderer
menschlicher Aktivitäten) in absehbarer Zeit zwar nicht für Autos, aber für
Menschen unbewohnbar sein wird, muß dann eben auf dem Mars, der Venus, dem
Pluto und in allen möglichen fernen Galaxien herumgegurkt und im Stau gestanden
werden, bis auch dort alles vergast, verlärmt, vergiftet und zugeschrottet ist.
Dann wird’s schwierig, aber das geht uns nichts mehr an – bis dahin werden die
Autos sicherlich einen Weg gefunden haben, ganz ohne dieses überempfindliche
organische Kroppzeug auszukommen, das bei jeder windigen Umweltvernichtung
gleich ausstirbt.
Ein paar andere Sachen sind dem Menschen auch noch wichtig,
zum Beispiel eine Wohnung, damit er sich hin und wieder vom Autofahren ein
bisserl ausruhen und Fernsehmeldungen über das unerläßliche Wachstum der
Autoindustrie entgegennehmen kann. Wohnen hat, soweit ich informiert bin, auf
fremden Planeten noch niemand ausprobiert. Das ist erstaunlich, selbst wenn man
berücksichtigt, daß der Mensch oft und gerne in Gegenden Auto fährt, wo er
nicht wohnt und teilweise nicht mal wohnen kann.
Aber es läßt sich erklären, wenn man die selbstverständlich
absolut unparteiischen Informationen berücksichtigt, mit denen uns unser
Oberbürgermeister im Namen des Stadtrats dankenswerterweise anläßlich des
bevorstehenden „Bürgerentscheid“ brieflich versorgt hat: „Das neue Olympische
Dorf (inkl. Mediendorf) in München“, steht da zu lesen, „würde z. B. dazu
führen, daß nach den Spielen den Bürgerinnen und Bürgern dauerhaft circa 1.300
dringend benötigte und bezahlbare Wohnungen zur Verfügung stehen.“
Nun haben wir endlich verstanden, woher diese merkwürdige
„Wohnungsnot“ kommt, die in München (und anderswo) seit Jahrzehnten ihr übles
Unwesen treibt: Es ist schlichtweg verboten, „dringend benötigte“ Wohnungen
„zur Verfügung zu stellen“, wenn man nicht vorher einem autokratischen,
mutmaßlich mafiösen, korrupten, halbkriminellen und gemeingefährlichen Verein
ein paar Milliarden in den Hintern schiebt, damit der ein paar Tage lang ein
lächerliches Wettbewerbspropagandatheater abzieht und hinterher mit den
Profiten abhaut, ohne auch nur einen Pfennig Steuern zu zahlen. Nun wissen wir
auch, weshalb Zaragoza, Barcelona, St. Moritz und Davos auf den teuren Irrsinn
lieber verzichtet haben: Dort gibt es bereits genug Wohnungen!
Die gibt es in München allerdings auch, nur stehen in einem
Großteil davon (und zwar vor allem in den schönen) nachts, wenn der Mensch am
liebsten wohnt, nur Schreibtische, Computer, Drucker und ausgeschaltete
Kaffeemaschinen herum, mit denen tagsüber menschliche Besucher Dienstleistungen
leisten und das Wachstum ankurbeln. In einem kleineren Teil davon wiederum
steht überhaupt nichts, die stehen selber – und zwar leer, aus diversen
seltsamen Gründen, die kein Mensch versteht, die aber auch irgendwas mit
Wettbewerb, Leistung und Wachstum zu tun haben.
Beides müßte nicht sein und wäre leicht zu ändern, und dann
müßte München auch keine „Olympischen Winterspiele“ über sich ergehen lassen.
Sondern diesen Schmarrn könnte man dann dorthin verlegen, wo es tatsächlich
keine Wohnungen gibt, wo diese aber eines Tages dringend gebraucht werden,
damit sich jemand um die Autos kümmern kann: auf den Mars, die Venus, den Pluto
und in alle möglichen fernen Galaxien.
Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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