Es gibt Dinge im Leben, die sind so schlimm, dass man sie
erzählen muss, weil man sie ertragen eigentlich nicht kann.
Vor Jahren war ich mal Schlagzeuger in einer Band, einen
Abend lang. Das ging so: Tags zuvor spielten Almut Klotz und Rev Dabeler auf
einer kleinen Münchner Bühne und sollten am nächsten Tag wieder auf einer
kleinen Münchner Bühne spielen, die zufällig meine Wohnzimmerbühne ist. Es war
(der erste) ein bezaubernder Abend, wie immer, wenn die beiden den Raum und die
Nacht mit ihren schönen, weisen, witzigen, bescheidenen, melancholisch
verdrehten und verwobenen Liedern füllten; nur fand ich die elektrische
Beatbox, die normalerweise die rhythmische Leitplanke bildete, irgendwie schade
und schlug deshalb (es gab auch Bier, ja) vor, sie am folgenden Abend durch ein
lebendiges Schlagwerk zu ersetzen. Prima Idee, fand Almut mit ihrer gewohnt
geduldigen Milde und fröhlichen Neugier, Rev nickte sein gelassenes Nicken, und
schon war ich Schlagzeuger, besorgte mir von einem guten Freund eine dieser
modischen Klopfkisten, und nach einer knappen Viertelstunde Proben waren wir
eine Band, für einen Abend. Es war ein famoser, intimer, höchst belustigender
und fröhlicher Abend, den eine große Wärme erfüllte. Besser kann ich das nicht
beschreiben, tut mir leid.
Ich kannte Almut und Rev damals schon einige Zeit, kannte
ihre Lieder und Geschichten und die Menschen, mit denen ich weiterhin
korrespondierte, schöne Sachen, Gedanken und dies und das austauschte, und ich
freute mich darauf, sie wiederzusehen, was nicht oft ging, weil Hamburg weit
weg ist. Einmal wollten Almut und Rev nach München kommen, mussten aber
absagen; ich weiß nicht mehr warum, habe aber eine schlimme Ahnung, jetzt, im
nachhinein.
Vor zwei Wochen brachte mir die Post ein neues Album der
beiden ins Haus, endlich nach langer Zeit, und da ich gerade einen Kurzurlaub
in den Bergen plante, wollte ich die Platte mitnehmen und freute mich intensiv
und unbändig darauf, sie im Morgenlicht vor felsigen Gipfeln zu hören und die
weisen Worte, schimmernden Akkorde, skurrilen Harmonien in der Erinnerung für
immer mit diesen Bildern zu verbinden. So mache ich das gerne mit Musik, die
mir wichtig ist, die nicht nur so nebenbei mitläuft wie die Waschmaschine:
Musik, die mehr ist als der beliebige Soundtrack zu einem beliebigen Tag und
mehr auch bleiben soll.
Also packte ich meinen Rucksack, und während wir uns
fröhlich lachend Tirol näherten, las ich in der Zeitung, dass Almut Klotz in
der Donnerstagnacht zuvor gestorben war und ist und bleibt, und da war mir, als
fiele die Welt aus meinem Bewusstsein heraus wie der Wolkennebel, der von den
Bergen fällt und sie kahl, felsig zerklüftet, einsam zurücklässt, bestrahlt von
einer gnadenlos metallischen Sonne, die nichts behütet und alles vergehen
lässt, als wäre es nie dagewesen.
Und nun: sitze ich über dem Nebelmeer, mit Liedern im Ohr
wie „Geh in das Licht“, „Oh, wann kommst du?“, „Sommerlied“, „Welt retten“ und
„Tausendschön“, starre in die griffweit über unseren Köpfen dahinfliehenden
Wolken, nebenbei umplätschert von fröhlichem Kinderlachen, müßigem Kuhgemuhe,
Vogelzwitschern, dem verklärten Dröhnen eines fernen Flugzeugs; und alles, was
mir im Kopf herumgeht, ist eine alte Liedzeile von Suede, von der ich nicht
weiß, wo sie plötzlich herkommt und was sie soll: „It’s a shame the plane is
leaving on this sunny day.“
Ja, es ist eine Schande und ein Schrecken, es ist schlimm
und im Grunde unerträglich, und es ist vollkommen absurd. Und damit, als Geste
der Welt, wohl irgendwie auch vollkommen, und eines Tages, wenn ich es doch mal
wieder fertigbringe, mir „Lass die Lady rein“ anzuhören, ohne zu weinen, werde
ich vielleicht, vielleicht verstehen, was die Welt damit will und was ich damit
soll, falls überhaupt. Derweil: ist es schlimm.
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN, diese Folge am 12. September 2013.
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