Meine Kolumne, sagt ein Freund, gerate in letzter Zeit
dermaßen privatistisch, daß es ein Skandal sei: nur noch Herz- und Liebesarien
und philosophisches Gewölk! Ich müsse mich Handfestem widmen, den wichtigen „Themen“
nämlich der Politik, schließlich seien demnächst Wahlen und pi pa po.
Ich spare mir den Einwand, wir wüßten doch seit Meinhof,
Adorno und den Sechzigern, daß das Private politisch und nichts so politisch
sei wie Liebe und daß es ein richtiges Leben im Falschen nicht gebe etc. pe pi
pa po, weil der heißen Münchner Sommerluft nichts hinzuzufügen ist und ich zum
Baden will.
Also gut: Politik. Deren greulichen Emanationen in Form
zerlumpter Plakatständer ist auf dem Weg von Schwabing zum Flaucher so und so
nicht zu entgehen. „Statt abhören zuhören“ fordern die „Grünen“ (von wem, steht
nicht dabei), „Zuhören statt abhören“ empfehlen die „Piraten“ (wem, steht nicht
dabei), und die drittwichtigste neoliberale Flummypartei hält „Politik muß
zuhören, nicht abhören“ für einen guten Rat (an wen, steht nicht dabei).
Freilich, weil für das Abhören sind ja die Geheimdienste zuständig, gelt? denke
ich und ärgere mich sogleich über die sinnlose Verschwendung von Denkkapazität,
die ich ebensogut einem frei assoziierenden erotischen Sinnieren widmen hätte
können; aber aus diesem reißt mich ein gelackter Schnösel von derselben Flummypartei,
der es wagt, „Gerechtigkeit statt Umverteilung“ in die kaputtgeschandelte
Münchner Stadtlandschaft hineinzuplakatieren. Und schon denke ich wieder: Wenn
ein Vertreter der Partei, die seit vierzig Jahren nur einen einzigen Zweck
verfolgt (die Umverteilung der gesellschaftlichen Reichtümer von unten nach
oben) vor vierzig Jahren derart dreist dahergekommen wäre, hätte man ihn
geteert und gefedert auf einer Eisenbahnschiene nach Pullach getragen.
Heutzutage hat er damit vielleicht sogar „Erfolg“.
Und schon habe ich auf „Politik“ ebenso viel Lust wie auf
eine gebackene Weißwurst in Fischsud mit Zigarettenfiltermarmelade. Es gibt,
sage ich dem Freund, der mich zum Besuch einer „politischen“ Veranstaltung
überreden möchte, tausende grimmfotzige Meckerkolumnenschreibsler, die sich mit
wichteligen Bißgurkereien über derartigen Blödsinn ein paar Euros und „Jawoll!
Recht hast!“-Schulterklapse verdienen. Ich möchte damit bitte danke nichts zu
tun haben, weil ich unter dem Wasserfall lieber das Gesicht einer
unerreichbaren Sommerliebe imaginieren und mich auf Bier und Breze vorfreuen
will. Für mich könnte auf diesen Plakaten genausogut „Gulugulu“ stehen, wobei
ich immerhin an eine nette alte Dagobert-Duck-Geschichte dächte und nicht an
die Armee von Deppen, deren Anwesenheit in meinem Leben ich verhindere, indem ich
seit 2012 den Fernseher nicht mehr eingeschaltet habe.
Aber jetzt ist ein anderer Gedanke da und geht nicht mehr
weg: der an den „Erfolg“, den der FDP-Heini mit seinem unverschämten Blödspruch
möglicherweise hat und bei dem ich mich frage, was er eigentlich ist.
Etymologisch ist die Sache relativ klar: Erfolg ist, um H. Kohl zu zitieren,
was hinten rauskommt, also erfolgt. Aber wie kommt es, daß ein Wort, das es vor
hundert Jahren (im Singular) noch gar nicht gab (geschweige denn Ableitungen
wie „erfolgreich“), plötzlich der zentrale Begriff einer ganzen Welt und
ununterbrochen Thema sämtlicher Plappereien ist? Wie konnte aus etwas derart
Banalem wie dem Eintreten einer Wirkung aufgrund Zufall oder Ursache der
heilige Oberfetisch einer den gesamten Planeten buchstäblich zum Kadaver
leersaugenden religiösen Hysterie werden? Schließlich ist das, was erfolgt, im
überwiegenden Normalfall Mist bis Katastrophe; selbst plötzlich eintretender
Millionenreichtum eines glücklichen Lotto- oder Börsengewinners ist untrennbar
damit verbunden, daß das Geld an anderer Stelle weggenommen werden muß und
fehlt.
Ich vermute, das läßt sich mit Georg Francks Ansatz einer
„Ökonomie der Aufmerksamkeit“ erklären: „Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist
die unwiderstehlichste aller Drogen. Ihr Bezug sticht jedes andere Einkommen
aus. Darum steht der Ruhm über der Macht, darum verblaßt der Reichtum neben der
Prominenz.“
Und darum macht man sich in Fernsehstudios zum Wetten-Vollhorst,
hängt sich auf „Galas“ Lumpen aus Speckscheiben um, setzt sich monatelang auf
Pfähle, plärrt auf Mikrobühnen spratzdoofe Witze in fünf Leute hinein, sonnt
sich in beliebigem Blitzlichtgewitter, heiratet fünf Vogelscheuchen
nacheinander und wurstelt sich mit den dümmsten Blödparolen („Bezirkstag
reformieren – Pflege sichern“ – wer über so was eine Minute nachdenkt, dem
platzt das Kleinhirn) in irgendwelche Parlamente: um „eine Rolle im fremden
Bewußtsein zu spielen“. Weil das „Erfolg“ ist und man das braucht.
Und da sind wir wieder bei der „Politik“, wo es einzig darum
geht; wo viertklassige Pfosten den Wecker auf Sonnenaufgang und das Telephon
daneben stellen, um zu welchem „Thema“ auch immer ein herzhaftes „Gulugulu“
abzusondern und den Vormittagsorgasmus dem eigenen Bild im lokalen Reklameblättchen
zu widmen.
Und ich – soll diesem Kasperltheater von „Erfolgen“ auch nur eine Sekunde widmen, in
der ich meine unbezahlbare Aufmerksamkeit einem verträumt funkelnden Augenpaar,
einem sommerabendlichen Berg-und-Tal-Panorama in hauchender Nebelstille oder
einer lustigen Anekdote aus dem Mund eines lieben Freundes schenken (!) könnte?
Sorry: im Geiste auf der Leiste.
Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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