Eine Bekannte von mir erlebte erstaunliche Abenteuer mit
Internet-Dating-Seiten. Jedes Wochenende traf ein mittelalter Bursche mit
Koffer oder Tasche bei ihr ein, aus Dinslaken, Grevenbroich, Visselhövede oder
Stuttgart. Mit dem ging sie essen, in Konzerte und Museen und lotete
zwischendurch die Möglichkeiten einer Lebenspartnerschaft aus. Zwei von den
Burschen kamen mehrmals. Bei dem einen stellte sich heraus, daß er bereits
verheiratet war: Seine Frau rief die Bekannte an, ob sie die Kinder am
Hauptbahnhof abholen wolle. Der zweite kam eines Tages nicht, weil er wegen
Kreditbetrug inhaftiert worden war. Die optimistische Freundin konnte das nicht
verdrießen; sie präsentierte mir auf ihrem Laptopbildschirm freudig immer neue
Optionen: Männer mit Haarausfall in unterschiedlichen Stadien und Gesichtern,
die bei Ikea als Eierbecher erhältlich sind. Egal, sagte sie, sie habe nun mal
einen Kinderwunsch, und ein solcher Eierbechermann laufe ihr wenigstens nicht
bei der nächsten Gelegenheit davon.
Dann verließ mich meine sogenannte Partnerin, und die
Schwärmerei der Bekannten über ihre Internetdates wurde vehement. Ich müsse das
unbedingt probieren, sagte sie. Meinen Einwand, ich wolle von Frauen erst mal
nichts mehr wissen, tat sie mit einem wehmütigen Blick und dem Hinweis ab, ich
solle nicht so romantisch sein. Ich sagte, ich könne mir nicht vorstellen, daß
es lebende Menschen gebe, die sich zum Flirten in der Unterhose an den Computer
setzen und Formulare ausfüllen, und wenn doch, dann wolle ich mit diesen
Menschen jedenfalls nichts zu tun haben.
Weil ich mich so stur wehrte, wollte sie mir einen Gefallen
tun und meldete mich ohne mein Wissen bei einer Internet-Dating-Seite an. Davon
erfuhr ich erst, als mich eines Tages eine Mail mit dem Betreff „Neue Nachricht
für Sie!“ erreichte. Man teilte mir mit, ich hätte eine Kontaktanfrage von
„Susi123“ erhalten und müsse nun den nächsten Schritt tun.
Ich beschloß, Susi123 eine Chance zu geben. Um ihre
Nachricht lesen zu können, mußte ich allerdings zunächst 19,90 Euro auf ein
Konto in Luxemburg überweisen. Ich hatte nicht viel Erfahrung mit Prostitution,
wußte jedoch, daß in anderen Bereichen der Branche wesentlich höhere Preise verlangt
wurden, selbst wenn man nur „reden“ wollte. Dann erstellte ich mein Profil. Da
ich kein Foto von mir besaß, auf dem ich so aussah, wie ich mich aus dem
Spiegel kannte, lud ich aus dem Internet ein Bild des jungen Robert de Niro
runter, auf dem er mir ähnlicher sah als sich selbst.
Susi123 sah auf ihrem Bild aus wie Scarlett Johansson, was
meine Neugier wachsen ließ. Was ich sonst von ihr erfuhr, war weniger
erheblich: Alter 26, normale Größe, normale Figur, blaue Augen, Aussehen:
„attraktiv“. In ihrer Nachricht fragte sie, ob ich mit ihr Kontakt aufnehmen
wolle – was ich etwas ungeschickt fand, schließlich hatte sie ja bereits
Kontakt mit mir aufgenommen – und ob ich einen Kinderwunsch hätte.
O ja, antwortete ich, und zwar nicht nur einen: Matchbox-Autos!
eine Piratenpistole! Donald-Duck-Hefte! Im übrigen sei ich ein ganz normaler
Mann und an Kontakten immer interessiert, selbst wenn es nur ums „Reden“ gehe.
Vielleicht war ich zu ungeduldig: In den folgenden Wochen
wurde ich überschwemmt mit Kontaktanfragen von Frauen höheren Alters, die auf
ihren Fotos aussahen wie die Behälter, in denen man Milch aus dem Allgäu nach
Holland transportiert, und die ich als offensichtliche Irrläufer ignorierte.
Dann lief mein „Probeabonnement“ aus, ohne daß Susi123 geantwortet hätte. Ich
war so frustriert, daß ich am letzten Abend doch noch eine der Milchtransporteranfragen
beantwortete: Ich schrieb an „KuschelxxFl“, ich sei an Sex interessiert und ob
sie nicht heute abend nach München kommen wolle. Da die Angeschriebene in
Flensburg wohnte, fühlte ich mich einigermaßen sicher.
Tatsächlich bekam ich eine Antwort, allerdings von einer
Danielle, die sich als „Administrator“ bezeichnete und mir mitteilte, mein
Profil sei wegen Unangemessenheit gelöscht worden.
Meine Bekannte hatte mehr Glück: Kurz darauf erzählte, sie
habe einen seriösen Bewerber gefunden, mit dem sie zusammenziehen und umgehend
an der Erfüllung des gemeinsamen Kinderwunsches arbeiten werde. Sie wünschte
weiterhin Glück beim Internetdaten und riet mir, ich solle mich vor unseriösen Spaßvögeln
in acht nehmen, die mit Bildern von Models und Schauspielern Jagd auf
Unbedarfte machten. Weil sie mich gar so wehmütig ansah, fragte ich, ob sie
wirklich glücklich und verliebt sei. Da schaute sie noch sehnsüchtiger und sagte,
Verliebtheit sei ein romantischer Unsinn. Und weil ich jetzt doch neugierig
wurde, wollte ich wissen, unter welchem Namen sie eigentlich bei dem
Datingportal angemeldet gewesen sei.
„Susi123“, sagte sie, und aus ihrem rechten Auge rollte eine
winzige Träne, die sie schnell abwischte, als es an ihrer Tür läutete und freudestrahlend
ein glatzköpfiger Mann mit Koffer und Eierbechergesicht ins Haus stürmte. Zwei
Wochen später half ich beim Auszug.
Dann hörte ich lange nichts von meiner Bekannten. Erst nach
einem guten Jahr kam eine Mail, in der sie mir von der Geburt ihres Sohnes Anton
berichtete. Das Kind sei gesund, die Wohnung in einem Neubauviertel in
Wuppertal bezahlbar und hell, der Mann viel auf Reisen, ihr gehe es gut.
Ich habe nicht geantwortet. Das Baby auf dem beigefügten
Bild hatte einen irgendwie wehmütigen Blick.
(erschienen im IN MÜNCHEN, Heft 05/2013)
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