Warpaint, vier Damen aus Los Angeles, hatten da ein Stück Glück: Sie waren tatsächlich mal ein „next big thing“ (2009 mit ihrem Debütalbum „The Fool“), aber das bekam damals niemand so richtig mit, und so konnte es geschehen, daß sie 2014 anläßlich des zweiten Albums (mit dem smarten Pseudodebüttitel „Warpaint“) noch mal zum „next big thing“ erklärt wurden und auf einer Woge von Wichtigkeitsbehauptungen durch die Medien surften. Und sie waren clever genug, bald darauf in Nischen und Nebenzimmern zu verschwinden, mal hier eine Kollaboration, mal dort ein Soloprojekt – der Name Warpaint blieb so frisch genug, um niemandem bei den Ohren herauszuhängen.
Album Nummer drei zeigt eindrücklich die Probleme, die es aufwirft, als „next big thing“ ein „next big thing“ abliefern zu müssen, und wie man sie lösen kann: Es beginnt mit „Whiteout“ recht unspektakulär – der Track, der sicher nicht zufällig nach der weißen Flüssigkeit benannt ist, mit der man in Zeiten vor Bildschirmschrift und Löschtaste Tippfehler übertünchte, ist schon vorbei, ehe man bemerkt, daß er einen irgendwie an Sommerendhits aus den späten 70ern erinnert. „By Your Side“ öffnet dann einen großen Hallraum, in dem Fetzen vager Melodien und Geräuschbrösel herumschwirren wie Herbstlaub in einem verlassenen Swimming-pool, zusammengehalten nur von einem steten, ziemlich (gewollt) käsigen Beat mit antiker Klatschmaschine. Das, denkt man, kann doch irgendwie nicht funktionieren und gutgehen. Aber das tut es dann doch: Mit der Single „New Song“ kommt plötzlich ein so richtig genialdoofer Ohrwurm mit Tanzzwang daher, der noch dem verstocktesten Melancholiker das Herz erweicht und es schweben läßt wie eine Flocke rosa Zuckerwatte über dem Lüftungsschacht.
Und danach stimmen dann auch die Beats, und obwohl die Harmonien und Melodien weiterhin fragmentiert und vage bleiben, ist das Gesamtbild stimmig und rund wie eine Nebellandschaft von Caspar David Friedrich, durch die eine einsame Eisenbahn ihre unbeirrbar gerade Bahn zieht. Wann immer einem das Album aus der Aufmerksamkeit zu gleiten droht, kommt ein kompakter und dennoch nicht auf ein Signal oder einen Chorus reduzierbarer Track wie „So Good“ daher, der bei aller Ungreifbarkeit und experimenteller Unschärfe bis ins Detail so perfekt erscheint wie eine neapolitanische Korallenkamee. Und dann geht es mit „Don't Wanna“ wieder in den Nebel der gelassenen Melancholie, aber nun weiß man sich sicher: Das Wechselbad hat eine verläßliche Mitte der Stabilität. Da kann auch mal der gitarrenballadeske Anfang von „Don't Let Go“ in einen psychedelischen Lavastrom mit Led-Zeppelin-Anklängen ausufern – insgesamt fügt und integriert sich alles wie Steinbröckchen in den Ringen des Saturn.
Nein, „Heads Up“ ist kein „next big thing“, aber das vielleicht bildmächtigste, suggestivste, widersprüchlichste, stimmigste und stimmungsreichste Herbstalbum, das es zumindest in diesem Jahr geben kann. Ob wir nächstes Jahr oder in zehn Jahren noch verstehen, wieso es das war (oder noch ist), spielt dabei (und überhaupt) keine Rolle.
Die Kolumne "Frisch gepreßt" erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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