Es
gibt Zeiten, da bricht die Faulheit mit einer solchen Vehemenz über einen
herein, daß es regelrecht beängstigend sein könnte (wenn man nicht viel zu faul
wäre, um sich zu ängstigen). Da schafft sie es, den Menschen zu lähmen und in
seinen Sessel hineinzulegen wie einen Liter Kefir, den man ohne größeren
Aufwand nicht mehr aus den Polstern herauskriegt. Um solche Wirkungsmacht zu
entfalten, bedient sich die Faulheit perfider Strategien und fieser Werkzeuge
in der realen Außenwelt.
Zum
Beispiel: hat man an einem beliebigen Tag das angeborene Programm an
Prokrastinationsbemühungen (umständliches Kaffeekochen, sporadisches
Geschirrspülen, ergebnisloses Aus-dem-Fenster-Starren, langwierige
Verabschiedung der Übernachtungsgästin, zweckloses Herumzappen zwischen
identischen Radiosendern, Herunterleiern tausender Witzbild- und
Sinnsprucheinträge auf Facebook, Löschen einer knappen Million Spammails mit
dem Betreff „Get slim fast!“ usw. usf.) einen ganzen Vormittag lang absolviert
und sieht sich nun von diversen Abgabeterminen genötigt, doch mal eine
einigermaßen aufrechte innere Haltung einzunehmen, um Buchstaben zu Wörtern und
womöglich einem kompletten, druckbaren Text zusammenzukleben. Und just in
diesem Augenblick gibt die Faulheit der Festplatte den Befehl „Platz!“,
woraufhin diese pfeilgrad und gehorsam platzt. Der Bildschirm verdunkelt sich,
und wiederholte Versuche, ihm wieder Helligkeit und ein geordnetes Aussehen
einzubleuen, enden ebenso erfolglos wie das allabendliche Experiment, die Sonne
mit intensiven Beschwörungen dazu zu bringen, ein paar Stunden später
unterzugehen.
Das ist blöd, läßt sich aber nicht ändern. Vielleicht, meint man,
ist dem Ding ja bloß zu heiß, also wartet man, blättert derweil in der Zeitung
und erfährt, ein Kieler Soziologieprofessor namens Prahl habe darauf
hingewiesen, daß das Recht auf Faulheit in modernen Gesellschaften viel zu sehr
vernachlässigt wird. Diese nämlich sei die Grundlage aller Kreativität, welche
folglich von dem ideologischen Zwang, um jeden Preis aktiv zu sein, bedroht
werde. Da hat er recht! denkt man, und schon liegt man im Sessel wie Kefir und
ist zu faul, um auch nur die Zeitung in der Hand zu halten. Es ist ein brutales
Duell, das sich da abspielt. Um ihren Zwang zum Dauerrödeln und -wuseln
auszuüben, hat die böse Ideologie die Elektronik erfunden, die den Menschen auf
Trab hält, und sei es nur durch das pausenlose Abspielen von „Bing!“-Tönen und
das auffordernde Flackern der Webseiten, die bedient werden müssen. Das
funktioniert mit einer gnadenlosen Effektivität, wie man sie früher nur in der
Welt der Hifi-Freaks kannte, die stundenlang vor Geräten saßen, an die man
heutzutage Räder schrauben würde, um sich damit in den Stau auf dem Mittleren
Ring zu stellen, und an Klirrfaktoren, Abtastelementen, Antiskatingskalen und
Equalizerschiebreglern (oder irgendsowas) herumjustierten, damit sie
demonstrieren konnten, wie phantastisch eine Rex-Gildo-LP klingen kann. Kaum
aber ist die natürliche innere Sperre gegen jede Form sinnloser Tätigkeit
gebrochen und will man sich einreihen ins Heer der Ameisensklaven, kommt die
Faulheit daher und macht die Geräte kaputt und läßt zu allem Überfluß auch noch
EC-Karten verschwinden, so daß man sich nicht mal mehr die Zeit mit
ersatzweisem Konsum von überflüssigen Produkten vertreiben kann (und wenn ein
ganz Vorwitziger meint, er könne mit altmodischem Bargeld kontern, schiebt sie
eben einen tagelangen Schnürlregen daher).
Man muß ihr dankbar sein; man sollte
selbst den Computergangstern dankbar sein, die einem für tausende Euros
wohldesignte Schrotthaufen andrehen, die nach drei oder vier Jahren zuverlässig
und geplant den Geist aufgeben und die Texte, Bilder, Notizen, Töne, Gedanken,
Erinnerungen, Telephonnummern, Adressen, die Arbeit und den Schmarrn und die
Schmarrnarbeit ganzer Tage, Wochen, bei entsprechend laschem Backupverhalten
womöglich eines ganzen Lebens mit sich in den Abgrund reißen und höchstens ein
paar unbrauchbare Schnipsel, Brösel und Fragmente hinterlassen, aus denen sich
nie mehr die letzte Mail an die Exgeliebte, das Erinnerungsphoto vom
letztjährigen Sonnwendfeuer oder die Folge der Reihe „Belästigungen“
zusammensetzen läßt, die eigentlich an dieser Stelle stehen sollte. Man muß ihnen
dankbar sein, weil nach Überwindung des momentanen Schocks nichts so
ausgeglichen, ruhig und zufrieden macht wie zwei, drei Tage lang im Sessel zu
flacken wie ein Liter Kefir, dem Regen beim Regnen und der Zeit beim Kriechen
zuzuschauen.
Oder
zwischendurch, so man sich aufraffen kann, wahllos ein altes Buch aus dem Regal
zu ziehen und mit etwas aktivem Glück den famosen Klassiker „Das Recht auf
Faulheit“ von Paul Lafargue zu erwischen, 1966 neu herausgegeben von dem
kürzlich verstorbenen Iring Fetscher, der im Vorwort schreibt, die „kleine
Streitschrift“ möge „heute einigermaßen veraltet erscheinen, wird doch selbst
in Deutschland nur noch wenig über extremen Fleiß geklagt“.
Das Deutschland, von dem Fetscher da erzählt, denke ich, das hätte ich gerne mal besucht, ho ho. Aber vielleicht war seine Beobachtung gar nicht so arg abwegig, schließlich: besaß damals nachweislich niemand einen Computer, nicht mal einen Taschenrechner; Telephone hatten gemütliche Wählscheiben, Tablets waren aus Papier, in Stoff gebunden, und was man Arbeit nannte, bestand (von gewissen Berufsgruppen abgesehen) darin, daß man zwischen den Brotzeiten irgendwo stand oder saß, gemütlich an etwas herumwerkelte und nebenbei lustig plauderte.
Die Faulenzerei tritt übrigens auch unter dem Decknamen Muße auf und muß sich als solche von kapitalistischen Eiferern als „Müßiggang“ geißeln lassen, mit dem alle Laster ihren Anfang nähmen. Aber das stört sie nicht weiter; eines nicht fernen Tages wird sie mit dem Kapitalismus das gleiche machen, was sie jetzt schon regelmäßig mit Computern und Telephonen macht. Und dann: wird sie uns küssen und in Kefir verwandeln.
Die Kolumne "Belästigungen" erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.
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